: „Die Reinigungskräfte sind ein Symbol dessen, was alles schiefläuft“
LONDON Die Putzkräfte wurden noch nicht mal gegrüßt, jetzt sind sie Verbündete. Die Professorin Nadje Al-Ali erklärt, wie es dazu kam
■ ist Professorin für Gender Studies mit Schwerpunkt Nahost an der School of Oriental and African Studies (SOAS), London. Seit 2013 ist sie Präsidentin der Hochschullehrergewerkschaft (UCU) dieser Universität. Zuvor war sie Diversity- und Gleichstellungsbeauftragte.
taz: Frau Al-Ali, es ist beeindruckend, dass sich Studenten, die vermeintliche Elite, ausgerechnet mit den Schwächsten in der Universitätshierarchie, den Reinigungskräften, verbünden. Passiert das öfter in Großbritannien?
Nadje Al-Ali: Nun, das ist nicht an allen Universitäten passiert, sondern an solchen, die bereits eine eher progressive Studentenschaft haben. In Sussex, in Manchester und in London zum Beispiel an unserer Universität. Hier sind die Studenten bereits recht aktiv und so auch die Studentenvertretungen.
Warum bilden sich diese Allianzen gerade jetzt?
Dafür gibt es, denke ich, verschiedene Gründe. Zum einen sind da die Sparmaßnahmen seit der Krise und die Verschärfung der konservativen Politik in der britischen Regierung. In solchen Hochphasen konservativer Politik gibt es dann oftmals die Erkenntnis, dass man sich vereinen und Gemeinsamkeiten herausbilden muss. Das ist auch bei den Studenten so, die mit Unigebühren von bis zu 9.000 Britischen Pfund konfrontiert wurden.
Es gibt also einen Zusammenhang zu den Protesten von heute und denen gegen Studiengebühren im Jahre 2010?
Die Proteste 2010 waren ziemlich brutal. Das ist zwar eine Weile her, aber die Studenten haben das nicht vergessen. Daher rührt auch teilweise die Affinität zu dem Fall Mark Duggan. Die Wut auf die Polizei kommt definitiv aus dieser Zeit.
Wieso unterstützen die Studenten nun die Anliegen der Reinigungskräfte so stark?
Hier an der SOAS zum Beispiel hat sich noch vor ein paar Jahren niemand um die Reinigungskräfte geschert, geschweige denn sie auf den Fluren gegrüßt. Jetzt sind sie Verbündete. Ich denke, zum einen haben es die Reinigungskräfte in den letzten Jahren erfolgreich geschafft, sich zu organisieren. Zum anderen sind die Leute wegen der derzeitigen Politik radikalisiert worden und somit empfänglicher für Anliegen aus dem linken Spektrum. Die Reinigungskräfte sind zu einem Symbol dessen geworden, was alles schiefläuft in der konservativen Regierung, angefangen bei der Einwanderungspolitik über den Rassismus in der Gesellschaft bis hin zu den Arbeitsbedingungen.
Könnte es auch an einem wachsenden Gefühl der Prekarität unter den Studenten liegen?
Ja bestimmt. Ich sehe da eine Veränderung bei den Studenten, ein wachsendes Gefühl, sich in einer prekären und schwachen Position zu befinden. Daher kommt auch ein wachsendes Einfühlungsvermögen für die Probleme außerhalb der klassischen Welt der Universität.
Beobachten Sie eine solche Entwicklung zum ersten Mal?
Wie gesagt, die Universitäten, um die es hier geht, sind schon immer politisch engagierter als andere Universitäten. Sie haben es leichter, die nötige Aufmerksamkeit und Unterstützung zu erlangen. Dennoch muss ich sagen, dass dies die radikalste politische Agenda außerhalb der klassischen Studententhemen ist, seit ich im Jahre 2000 zu lehren begonnen habe.
Wie bewerten Sie das Engagement der Studenten bei den „3 Cosas“?
Das ist schon eine gute Sache. Als Vorsitzende der UCU habe ich mir so meine Gedanken gemacht, warum ich mich engagiere und warum das überhaupt erst zu einem solchen Thema herangewachsen ist. Wenn man es ernst meint mit Gleichheit und Fairness, kann man nicht für die eigenen Löhne streiken, wie es Lehrende in den letzten Monaten getan haben, und gleichzeitig bekommt die Person, die hinter mir sauber macht, nicht einmal Krankengeld. INTERVIEW: SBB