: Psychisch Kranke werden ausgeforscht
Der Bundesrat will den Behörden Ermittlungen im persönlichen Umfeld von Alten und psychisch Kranken ohne Zustimmung der Betroffenen erlauben. Bundesregierung begrüßt entsprechenden Gesetzentwurf der Länder, Verbände und FDP protestieren
VON CHRISTIAN RATH
Die Behörden sollen künftig das persönliche Umfeld von Alten und psychisch Kranken ohne deren Wissen und Zustimmung ausforschen können, um eine Betreuung vorzubereiten. Dies sieht ein Gesetzentwurf des Bundesrats vor, den die Bundesregierung unterstützt. „Das erinnert an Methoden einer Geheimpolizei in totalitären Staaten“, kritisiert René Talbot von der Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrieerfahrener das Vorhaben.
Etwa eine Million Menschen stehen derzeit in Deutschland unter rechtlicher Betreuung (siehe Kasten). Das heißt: andere Menschen verwalten ihr Vermögen, bestimmen über ihren Aufenthaltsort und über ärztliche Maßnahmen. Wenn das Vormundschaftsgericht Hinweise erhält, dass eine Person eventuell Betreuung benötigt, dann wird die örtliche Betreuungsbehörde beauftragt, die Situation zu überprüfen. Im persönlichen Umfeld des Betroffenen, also bei Verwandten, Nachbarn oder an der Arbeitsstelle, darf die Behörde bisher aber nur Erkundigungen einholen, wenn der vermeintlich Kranke zustimmt. Hier setzt die geplante Änderung des Betreuungsbehörden-Gesetzes an. Wenn der zu Überprüfende (nach ärztlicher Feststellung) schon so verwirrt oder krank ist, dass er gar keinen rechtlich bindenden Willen mehr bilden kann, soll die Behörde auch ohne seine Zustimmung mit Menschen aus seinem Umfeld sprechen können. Die Länder wollen so „Verfahrensverzögerungen“ verhindern. Die neuen Befugnisse der Behörden seien im Interesse des Betroffenen.
Das sehen Psychiatriekritiker aber ganz anders. „Auch als psychisch Kranker hat man ein Recht darauf, dass nicht alle Nachbarn und Arbeitskollegen von der Krankheit erfahren“, kritisiert Matthias Seibt vom Landesverband Psychiatrieerfahrener NRW. „Die Betreuungsbehörde kann, ohne dass der Betroffene irgendetwas davon erfährt, dessen Ruf zerstören.“
Initiiert hat den Gesetzentwurf das CDU-regierte Land Hamburg. Im März stimmten die anderen Länder im Bundesrat zu. Nach der Sommerpause soll der Bundestag über das Vorhaben beraten. Die Bundesregierung hat den Gesetzentwurf in einer ersten Stellungnahme „in seiner Zielrichtung begrüßt“.
Widerspruch kommt aber von der FDP. „Staatliche Fürsorge gegen den Wilen der Betroffenen darf nicht zum Regelfall werden“, betont Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die rechtspolitische Sprecherin der Fraktion. „Der Gesetzentwurf sieht im Datenschutz offensichtlich nur ein Verfahrenshindernis.“
Schon vor zwei Jahren war eine Verschärfung des Betreuungsrechts gescheitert. Damals wollte der Bundesrat die Möglichkeit für ambulante Zwangsbehandlungen einführen. Doch eine entsprechende Klausel wurde im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens wieder gestrichen. Deshalb sind die Verbände der Psychiatrieerfahrenen durchaus zuversichtlich, dass sie auch die jüngsten Verschärfungspläne kippen können.
Selbst Fachleute, die den Psychiatriekritikern nicht nahe stehen, zweifeln am Bedarf für die geplante Änderung: „Wir haben noch nicht gehört, dass die Behörden Probleme haben, die Situation im Vorfeld einer Betreuung zu klären“, sagt etwa Annette Reinders vom Bundesverband der Berufsbetreuer.