: Das Wunder von Teheran
VON MARTIN MACHOWECZ
Sie fühlt sich wie eine Taucherin. Als Valerie Assmann den Rasen des Teheraner Ararat-Stadions betritt, drückt ihr das knalleng geschnürte Kopftuch auf die Ohren. Die Welt um sie herum klingt, als befände sie sich unter Wasser, ganz dumpf. Die Berliner Mittelfeldspielerin muss dieses Kopftuch tragen, wenn sie hier kicken will. Dass sie eine Deutsche ist, spielt dabei keine Rolle. „Durch das Kopftuch hört man sehr wenig, spürt aber ganz intensiv, was innerhalb des eigenen Körpers passiert“, sagt Valerie. Ihre Atmung ist flach, in Teheran, 1.500 Meter über dem Meeresspiegel, ist die Luft dünn. Valerie sieht, wie die iranischen Zuschauerinnen toben. Es sind ausschließlich Frauen, und sie erleben das erste Fußballspiel ihres Lebens live in einem Stadion. Sie machen beim Feiern die gleichen Geräusche wie Männer, wundert sich Valerie. Aber unter ihrem Kopftuch klingt ja ohnehin alles gedämpft.
Weil Hussein Karaduman keine Frau ist, darf er das alles nicht sehen. Männer haben heute keinen Zutritt zum Stadion. Dabei spielt hier seine Mannschaft: das Frauenteam des BSV Al-Dersimspor, eines deutsch-türkischen Vereins aus Berlin-Kreuzberg, gegen die iranische Damen-Nationalmannschaft. Dersimspor-Präsident Karaduman würde natürlich gern zuschauen: „Die Frauen sind doch mein Lieblingsteam“, sagt er, voll integriert in seinen männerdominierten türkischen Verein. Nun steht Karaduman vor dem Teheraner Ararat-Stadion und beschmiert sich bei dem Versuch, durch einen kleinen Spalt im Eingangstor das Spiel seiner Mannschaft zu beobachten, das Gesicht mit alter, grüner Farbe. Dass Männer Frauen beim Kicken zugucken, ist im Iran ein Tabu. Genauso, wie es eigentlich tabu ist, Frauen außerhalb geschlossener Räume Fußball spielen zu lassen.
Dass die iranischen Nationalspielerinnen heute zum ersten Mal den Duft des Rasens in der Nase haben, dass sie gegen eine Amateurmannschaft aus Berlin antreten dürfen, ohne in muffige Sporthallen eingepfercht zu sein, könnte man ein Wunder nennen. Das Wunder wurde möglich durch den Einsatz dreier Schwestern, die Spielerinnen des Berliner Frauenteams sind: Corinna, 23, und ihre Zwillingsschwestern Marlene und Valerie Assmann, beide 25 Jahre alt, wollten dieses Spiel. Sie wollten, dass die iranische Nationalmannschaft der Damen nicht mehr – zum Schutz vor Blicken – hinter verschlossenen Türen spielen muss und in ihrem eigenen Land von keinem Menschen als Sportlerinnen wahrgenommen wird. Sie haben den Kick organisiert.
Nun ist der große Tag da – Höhepunkt eines schweißtreibenden Kampfs zwischen den Assmanns, ihren Helfern und ihren Gegnern.
Der Anpfiff zum Sturm in Richtung Teheran ist länger als ein Jahr her. Als Filmschnittstudentin Marlene mit einem Spaßfilm über ihr Multikultiteam Al-Dersimspor am Talentcampus der Berlinale 2005 teilnimmt, lernt sie dort Ayat Najafi kennen. Der iranische Filmemacher ist mit „Move it“, einem Beitrag über Frauenfußball in seiner Heimat, angereist. Dass Frauenfußball im Iran quasi nichtöffentlich stattfindet, schockiert Marlene, sie beschließt, einen Film zu drehen über ein Spiel in Teheran: Al-Dersimspor gegen die iranische Damen-Nationalmannschaft. Marlene überzeugt auch Valerie und Corinna davon.
Die Schwestern ähneln sich. Sie sind quirlig und manchmal trotzig verschwiegen, aber wenn sie etwas sagen, ist es die brutale Wahrheit. Außerdem sind sie spontan, alle. Es kann passieren, dass Marlene in der Berliner S-Bahn die Hosen hochkrempelt und ihre Stutzen zeigt, die extra fürs Iranspiel angefertigt wurden und die sie so oft trägt. „Guck mal hier, in Rot!“ Es ist immer noch nicht selbstverständlich, dass es dieses Spiel im Iran geben konnte. „Wenn ich davon erzähle, dass es geklappt hat, habe ich immer das Gefühl, ich würde mir alles nur ausdenken“, sagt sie.
Schließlich hätte das Match auch platzen können. Von Anfang an lief die Sponsorensuche in Deutschland schlecht. Wer bezahlt denn auch die Reise einer deutsch-türkischen Damenmannschaft nach Teheran, ihre Unterbringung, das Spiel und nebenbei noch die Produktion eines Dokumentarfilmes? „Nach einem Radiointerview hat mal jemand 30 Euro gespendet“, sagt Marlene.
Immerhin, es gibt 50.000 Euro vom RBB und dem Medienboard Berlin-Brandenburg. Das reicht für die Postproduktion des Films über die Tour nach Teheran und das Spiel dort. Aber nicht für die Flüge. Die übernehmen die Eltern der Assmann-Geschwister: Sie zahlen dem kompletten Team die Reise. Stellen keine Forderungen, weil sie das Projekt gut finden. Die beiden, Aleida und Jan Assmann, sind anerkannte Wissenschaftler, Ägyptologen, ihretwegen ist die Familie vor Jahren nach Berlin gezogen. Sie sind wohl die größten Fans ihrer Töchter.
Es ist nicht so leicht, weitere Unterstützer zu finden. Zumal die Idee mit dem Spiel in Teheran von Anfang an ein Politikum ist, ein heißes Eisen, an das sich nicht jeder heranwagt. Auch die iranische Botschaft in Berlin will es verhindern: Sie erteilt den Frauen von Al-Dersimspor keine Visa. Warum, weiß keiner. Vielleicht will man sich vor Ahmadinedschad, dem erzkonservativen iranischen Präsidenten, als Hardliner profilieren, denken manche der iranreisenden Berlinerinnen.
Kurzentschlossen fliegt das Team samt Klubpräsident Karaduman ohne Einreisegenehmigung. Die Spielerinnen hoffen, ihr Visum auf dem Teheraner Flughafen zu bekommen. Dort geht tatsächlich alles einfacher: Ausländer aus Europa können viel bewegen, ihre Öffentlichkeit ist Macht. Iran will sich darstellen.
Die deutschen Frauen nutzen das aus. Dafür akzeptieren sie die Regeln vor Ort, spielen mit Kopftüchern, tolerieren sogar die Präsenz zweier Sittenwächterinnen. Man kann das als Niederknien vor dem Regime interpretieren. Man muss es nicht. „Wir durften auf den Platz, das ist wichtig“, sagt Marlene.
Ein weiterer Helfer kommt eher zufällig hinzu: Der iranische Fußballverband Iriff übernimmt die organisatorische Seite des Spiels. Wohl weil hohe Sportfunktionäre die Idee nicht schlecht finden und vielleicht auch, weil der Verband eine Präsidentin hat. Außerdem will sich der Iran darstellen. Mahmud Ahmadinedschad scheint in dem Spiel eine Chance zu sehen, sich bei seinem Volk beliebt zu machen. Er schickt Al-Dersimspor sogar ein Begrüßungstelegramm.
Dann ist der Tag des Spiels gekommen. Die Sprechchöre der Zuschauerinnen hallen durch das Ararat-Stadion: „Iran! Iran! Iran!“, rufen sie, ihre Schreie wandern durch die Arena, die Stimmen bäumen sich auf. Eine iranische Zeitung wird später schreiben: „Alle waren nervös. Nur die Deutschen nicht.“
Dabei stimmt das gar nicht. „Wir waren vor dem Spiel am Ende mit den Nerven“, sagt Corinna Assmann. Schon aus Angst, zu versagen: erst ein Spiel mit großem Brimborium zu organisieren und dann haushoch zu verlieren. Zum Glück kommt es anders. Al-Dersimspor schießt in der ersten Halbzeit zwei Tore, schöne Tore, finden alle. Dann geht die Kraft verloren, und die Iranerinnen gleichen in der zweiten Halbzeit aus.
„Während des Spiels habe ich mich über die Treffer der Gegnerinnen richtig geärgert“, sagt Marlene. Nett ist das Spiel trotzdem: Ihre Gegenspielerin streichelt Marlene immer über die Wange, wenn sie die Deutsche deckt. So zärtlich luchst ihr sonst nie jemand den Ball ab. Am Ende steht es 2:2 im Ararat-Stadion, ein Traumergebnis für ein Freundschaftsspiel.
Gut, dass die Iranerinnen nicht verloren haben. Denn Fußball ist im Iran eine Volksdroge: berauschend und mächtig. Mit Fußball kann man etwas bewegen in einem Staat, dessen Bevölkerung sich ins Privatleben zurückgezogen hat. Dessen Bürger nicht zur Wahl gegangen sind und so Ahmadinedschad möglich gemacht haben. Momentan tun sie nichts, manche Intellektuelle und Studenten warten förmlich auf einen Krieg, damit sich etwas verändert. Der Iran ist ein gespaltenes Land. Das Fußballspiel soll Mut machen. Zeigen, dass die Iraner selbst etwas bewegen können: von innen heraus.
Das Match ist ein Anstoß. Vom Anstoß an – denn die Frauen im Ararat-Stadion erleben es, und nun kann ihnen diese Erfahrung niemand mehr nehmen. Sie werden mehr Frauenfußball im Stadion sehen wollen. „Was einmal gegeben ist, kann nicht mehr genommen werden“, sagt Corinna Assmann, „was man einmal erlebt hat, will man wiederhaben.“ Dass man die Fußballfrauen jetzt wieder in die Turnhalle sperren kann, glaubt keine derer, die in Teheran dabei waren.
Vor allem die Kreuzberger Mannschaftskolleginnen der Assmann-Schwestern sind guten Mutes. „Es hat sich für uns selbst so viel verändert“, sagt Dersimspor-Torfrau Paraskewi Boras. „Meine Familie hatte vorher noch Angst vor dem Iran. Jetzt nicht mehr.“ In Deutschland kennt man das Land aus Medienberichten, die immer wieder suggerieren: Dort ist alles böse. Mehr nicht. Man sieht düstere Bilder. Paraskewi aber hat Teheran während der Reise in ihr Herz geschlossen: Was sie von der Stadt gesehen hat, war schön. „Diese Berge!“, sagt sie und meint das Elburs-Gebirge nördlich der Stadt. Für die Torfrau ist der Iran nicht mehr das Land aus dem Fernsehen. Sie hat seine Frauen gesehen. Wie sie jubeln, wie sie feiern. Singen, schreien, tröten und sich freuen. Das Spiel in Teheran habe den Frauen so viel bedeutet. Ob sie nun wegen eines einzigen Matchs Hoffnung auf politische Veränderungen haben, sei dahingestellt: Manche Berliner Iranfahrerinnen sehen es so.
Vielleicht haben die Iranerinnen auch einfach nur dieses eine Spiel genossen. Ohne es politisch einordnen zu wollen, nur der Freude wegen. In der allenfalls vagen Hoffnung, dass sich im iranischen Frauenfußball etwas tut, dass er sich etabliert – so, wie es in Berlin-Kreuzberg schon vor Jahren passiert ist. Dass die Iranerinnen jetzt zum Rückspiel nach Kreuzberg kommen, wäre der nächste Schritt. Dazu müsste die Odyssee von vorn beginnen. Und das wird sie auch. Daran zweifelt wohl keiner, der die Assmanns kennt.