Geschichten vom Lande

Berlin zieht Menschen aus aller Welt an. Auch aus Niederbayern. Das liegt im Osten des Freistaats, mit Städten wie Passau, Landshut oder Straubing darin. Aus dieser Region stammt auch Lorenz Brunner, der seit 2011 von Berlin aus Schallplatten unter dem Namen Recondite veröffentlicht.

Mittlerweile ist er bei seinem zweiten Album angelangt. Es heißt „Hinterland“ und teilt sich diesen Titel mit der kurz zuvor erschienenen Platte eines beliebten deutschen Rappers. Da hören die Gemeinsamkeiten mit Casper aber auch schon auf, und Brunner hat gut daran getan, seine Entscheidung nicht rückgängig zu machen. Denn dem Hinterland, dem niederbayrischen Hinterland, um genau zu sein, ist Recondites Album nicht bloß gewidmet, es ist direkt von dieser Gegend inspiriert.

Brunner schreibt allerdings keine Volksmusik, er produziert auch keinen HipHop mit etwaigem lokalen Bezug, sondern House und Techno. Was das mit bewaldeten Berglandschaften wie der auf dem Cover abgebildeten (das Foto stammt von Brunners Freundin und zeigt den Blick vom Ranzenberg) zu tun haben soll, erschließt sich erst beim Hören der Musik. Denn Recondite produziert weniger für den Club als für das abgeschiedene Lauschen zu Hause – oder am besten gleich unter freiem Himmel mit Kopfhörern.

Die Tracks auf „Hinterland“ gehorchen zwar dem Gebot des geraden Beat, dieser schlägt jedoch langsam, fast zögerlich, als wolle er sich selbst beim Voranschreiten hinterherhorchen. Melancholisch muss man die Melodien nennen, die Brunner über seine bedächtig gebauten Fundamente legt. Sie liefern keine Werkzeuge zum Tanzen, vielmehr dienen sie als verdichtete Geschichten zum Selber-Ausschmücken und -Bebildern.

Brunner hat sich für „Hinterland“ nicht ausschließlich auf seine elektronischen Gerätschaften verlassen, er hat zudem seine Heimat bereist, um dort Aufnahmen von Naturgeräuschen zu machen. Dass diese nicht als solche zu erkennen, sondern allem Anschein nach bearbeitet sind, tut der Platte gut, meditative Vogelstimmen-Elektronik ist Brunners Sache ganz sicher nicht nicht.

Stattdessen wählt er seine Klänge mit Sorgfalt, hält ihnen genug Raum frei, gibt Hall und Echo dazu, ohne zu übertreiben. Am Ende hat Recondite die regionalen Grenzen seiner Inspiration hinter sich gelassen und ist bei durchaus universalen Themen gelandet – wie Introspektion, Einsamkeit und Eskapismus.

TIM CASPAR BOEHME

■ Recondite: „Hinterland“ (Ghostly International / Cargo), live: 30. 1., Panorama Bar