Kunstrundgang
: Brigitte Werneburg schaut sich in den Galerien von Berlin um

Sparwasser HQ: bis 15. Juli, Mi-Fr 16-19, Sa 14-18 Uhr, Torstr. 161

In den räumlich, freundschaftlich und ausstellungstechnisch verbundenen Galerien Tammen und Seitz & Partner trifft man derzeit auf einen großartigen Schwarzweissfilm. Der Film – eine umfangreiche Fotoausstellung – zeigt nicht wenige Ikonen eines weltweit geteilten Bildgedächtnisses: Das Hissen der Sowjetflagge auf dem brennenden Berliner Reichstag, den fallenden republikanischen Milizionär im Spanischen Bürgerkrieg, Mao, der 1966 den Jangtse durchschwimmt und so fort. Abe Frajndlichs knallbunte Promi-Porträtfotografie markiert interessanterweise keinen Bruch im Schwarzweiss von Robert Capa, Jewgeni Chaldej, Micha Bar-Am, Robert Lebeck und Ernst Volland (der es konzeptuell überarbeitet) oder dem trunkenen, tanzenden, bewegungsunscharfen Schwarzweiss von Buenos Aires wie es Thorsten Warmuth bei Seitz & Partner zeigt. Eine kurze Geschichte des Dokumentarismus vor seinem Ende im Zeitalter der Digitalisierung könnte der Titel dieses sehenswerten Fotofilms sein.

Meine These wäre nun aber, dass dieser Dokumentarismus, den das ikonische Bild oder die elaborierte Fotoserie nicht mehr trägt, in den fünf künstlerischen Positionen von „Public Services“ bei Sparwasser HQ neu formuliert und offensiv verteidigt wird. Er materialisiert sich in Textsammlungen, Archiven, Entwürfen, Planskizzen und Modellbauten. Anstelle der Fotoreportage über Prostitution entwickelten die Architektin Anja Planiscek und die Historikerin Petra Hoblaj das Projekt „Code:Red“, ein mobiles Modul für Sexarbeit, inklusive Energie und Sanitäranlage. Ähnlich Marjetica Potrc, gegenwärtig eine der international interessantesten Künstler, die Toiletten in Favelas bringt; oder Paula Rousch mit ihrem Notfallkeks für London. Auch Berlin braucht den Keks. Kurz vor Schluß unbedingt noch eine Tüte ergattern!

Galerie Tammen: bis 29. Juli, Di-Sa 12-18 Uhr, Friedrichstr. 210; Galerie Seitz & Partner: bis 21. Juli, Di-Sa 12-18 Uhr, Friedrichstr. 210