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Archiv-Artikel

Das Zentrum des Abseitigen

FESTIVAL Der Club Transmediale (CTM) feiert dieses Jahr das experimentelle Label-Netzwerk Editions Mego mit einem eigenen Schwerpunkt. Und ist damit ganz bei seinem Thema „Dis Continuity“

Kontinuierliches und Diskontinuierliches

Der Club Transmediale (CTM) wird 15 Jahre alt! Da gilt es, Traditionslinien zu ziehen oder Zusammenhangloses nebeneinander zu stellen. Einige übliche Verdächtige sind zu Gast, so der Finne Mika Vainio oder der Japaner Yasunao Tone. Die für den CTM wichtigen Label Editions Mego und PAN bekommen eigene Schwerpunkte, ebenso das Projekt Sound Exchange, das elektronische Musik aus Mittelosteuropa präsentiert. Das Abschlusskonzert im HKW – in Zusammenarbeit mit dem Partnerfestival transmediale – bestreitet am 2. Februar der Techno-Klangkünstler Robert Henke.

■ CTM: 24. 1.–2. 2., verschiedene Orte, Programm und Tickets unter www.ctm-festival.de

VON TIM CASPAR BOEHME

Eigentlich hat der CTM jedes Jahr einen Editions-Mego-Schwerpunkt. Okay, das ist vielleicht übertrieben. Aber die Musik des Wiener Labels für experimentelle Klänge digitaler und analoger Herkunft gehört mittlerweile zum festen Bestand des Festivals für abenteuerliche Musik. Zur Feier der 15. Ausgabe werden sich die Mego-Künstler diesmal so zahlreich wie noch nie zum CTM einfinden.

Editions Mego – in den Neunzigern zunächst unter dem Namen Mego begonnen – ist eigentlich längst kein Label mehr, sondern ein kleines Imperium für abseitige Klänge – für sich genommen schon ein Kuriosum. Denn während die Musikindustrie sich mit dem Verkaufen von festkörperlichen Tonträgern weiterhin schwertut, hat Betreiber Peter Rehberg expandiert, mehrere Sublabels gegründet, die von verschiedenen Künstlern kuratiert werden, und sich auf hochwertige Schallplattenausgaben spezialisiert. Downloads gibt es selbstverständlich auch, sogar CDs, doch die meistens nur, wenn die Künstler es ausdrücklich wünschen.

Anderes erscheint ausschließlich in limitierten Vinyl-Editionen. Der US-amerikanische Experimental-Großmeister Jim O’Rourke etwa hat bei Editions Mego ein eigenes Sublabel, Old News, auf dem ältere und neuere Schätze aus seinen Archiven gehoben werden, die entweder unveröffentlicht oder vergriffen waren. Die Reihe ist inzwischen bei Ausgabe Nr. 9 angelangt, alle vorangegangen Nummern sind ausverkauft. O’Rourke kommt zwar nicht persönlich nach Berlin, eines seiner Stücke wird gleichwohl zu hören sein.

CoH erzeugt am Rechner einige der spröde-schönsten Digitalcollagen überhaupt

Wie groß der Editions-Mego-Anteil am CTM ist, kann man schon am Eröffnungskonzert sehen. Dort wird unter anderem ein gemeinsamer Auftritt von Alt-Minimalist Charlemagne Palestine und Mittelalt-Minimalist Mika Vainio erwartet. Vainio ist mit diversen Projekten bei Mego vertreten, ohne dass dies extra im Programm hervorgehoben wäre – und er ist praktisch jedes Jahr in irgendeiner Form beim CTM zu Gast. Nicht umsonst heißt der Titel dieser Ausgabe „Dis Continuity“.

Ein guter Eindruck von der Vielfalt des Verschrobenen lässt sich am Dienstag gewinnen, an dem gleich drei Editions-Mego-Termine angeboten werden. Nachmittags kann man im HAU 2 die musikhistorischen Verdienste der Reihe Recollection GRM kennen lernen. In Zusammenarbeit mit der Pariser Groupe de recherches musicales (GRM), 1958 vom Musique-concrète-Pionier Pierre Schaeffer gegründet, veröffentlicht Labelchef Rehberg Klassiker und Raritäten des renommierten elektroakustischen Instituts. Dessen künstlerischer Leiter Christian Zanési wird die durchaus akademische Musik in einem Vortrag mit Hörbeispielen präsentieren.

Aktuellere Arbeiten gibt es abends, ebenfalls im HAU 2, zu hören, mit Kassel Jaeger, dem abstrakten elektronischen Projekt des GRM-Toningenieurs François Bonnet, oder dem minimalistischen Drone-Duo Main, dessen jüngstes Album ebenfalls im Studio der GRM aufgenommen wurde. Im Berghain folgt der US-Amerikaner Chris Madak alias Bee Mask, der mit seinen schwirrenden Freiform-Synthesizer-Exkursionen maßgebliche Beiträge zum Sublabel Spectrum Spools liefert.

Ferner spielt KTL, das Dröhn-Duo von Rehberg höchstpersönlich und Stephen O‘Malley, der insbesondere mit der Doom-Drone-Metal-Band Sunn 0))) auf sich aufmerksam gemacht hat. Malley betreibt nebenbei nicht nur das Sublabel Ideologic Organ, sondern ist auch für das Design der Veröffentlichungen von Editions Mego zuständig. Und der in Schweden lebende Russe Ivan Pavlov alias CoH (sprich „Son“) erzeugt am Computer einige der spröde-schönsten Mego-typischen Digitalcollagen überhaupt. Im Berghain wird er mit der österreichischen Videokünstlerin Tina Frank zu erleben sein.

Wie groß der Editions-Mego-Anteil am CTM ist, sieht man am Eröffnungskonzert

Damit kein falscher Eindruck entsteht: Dieses Jahr wird der CTM keinesfalls von Editions Mego im Alleingang bestritten. Andere Höhepunkte gibt es reichlich. Sei es das senegalesische Projekt Jeri-Jeri, mit dem die Elektronik-Legende Mark Ernestus schon im vergangenen Jahr für Furore sorgte, der hierzulande noch zu entdeckende US-amerikanische Synthesizer-Improvisator Charles Cohen, die aufstrebende Hamburger Techno-Produzentin Helena Hauff, die mystisch-halluzinogene Elektronik des britischen Duos Cyclobe oder das generationenübergreifende Klangkunst-Duo Kontakt der Jünglinge, bestehend aus dem seit den siebziger Jahren immens produktiven Hamburger Komponisten Asmus Tietchens und Ambient-Ikone Thomas Köner, die zur Eröffnung spielen werden.

Kontakt der Jünglinge veröffentlichen übrigens auf dem ehrenwerten kleinen Bremer Label Die Stadt.