kulturerbe, welt etc. : Warum eigentlich bewahren?
Es sind bizarre Streits, die rund um die Liste des Weltkulturerbes toben und nun auf der Unesco-Sitzung im litauischen Vilnius ausgefochten werden. Bizarr vor allem deshalb, weil über all den Details, um die es dort immer wieder geht, nie die grundlegende Frage gestellt wird: Wer sagt eigentlich, dass bewahren besser sei als verändern?
Im Fall des Kölner Doms lässt sich die Konfliktlage immerhin noch nachvollziehbar beschreiben. Vor zehn Jahren wurde er auf die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen, um 2004 auf die „rote Liste“ der gefährdeten Gebäude zu kommen – auf der anderen Rheinseite sollten Hochhäuser gebaut werden, die die Silhouette Kölns und somit das „Gesamtbild“ des Doms verändert hätten. Das Bedürfnis nach Büroflächen im Stadtzentrum stand gegen das Interesse der Tourismusindustrie.
Wahrscheinlich ließ sich der Streit wegen dieser Beschreibbarkeit auch lösen: Nun werden die Häuser ein bisschen weniger hoch, der Dom ist von der roten Liste genommen und kann weiter von all den Tagestouristen besucht werden, die der Kölner Hauptbahnhof fortwährend ausspuckt – der glücklicherweise schon 1952 gebaut wurde, lange vor Erfindung der Liste des Weltkulturerbes. Das „Gesamtbild“ des Doms hat dieser Bau (plus der dazugehörigen Eisenbahnbrücke) nämlich sehr viel stärker verändert als jedes Hochhaus auf der anderen Rheinseite es je könnte.
Komplizierter (und verrückter) der Streit um die Waldschlösschenbrücke. Sie soll die Verkehrsprobleme der Stadt Dresden lösen und gleichzeitig die Elbtal-Kulturlandschaft zerteilen, die sich seit 2004 ebenfalls auf der Liste des Weltkulturerbes findet. Sogar einen Bürgerentscheid über die Brücke hat es schon gegeben, indem sich die Dresdener mehrheitlich für ihren Bau aussprachen. Mit welcher Argumentationszusammenhang möchte man einer Stadt im Namen einer Kulturlandschaft untersagen, eine Brücke zu bauen? Einer Kulturlandschaft, die sich in ihrer vollen Schönheit überhaupt nur von einigen Aussichtspunkten aus erschließt?
Tatsächlich funktioniert dies bloß, weil sich die Verantwortlichen bei der Unesco darauf verlassen können, dass bewahren als kulturell wertvoll durchgeht, während verändern als barbarisch gilt. Als eine Art stellvertretendes Weltkulturgewissen nehmen sie sich das Recht heraus, Entwicklungen an bestimmten Punkten einzufrieren, zu fixieren und für den Rest der Zeit museal auszustellen. Das kann man verstehen, gerade aus einer deutschen Perspektive heraus, wo man nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs und dem Modernismus des Wiederaufbaus wahrscheinlich ein erhöhtes Bedürfnis nach übrig gebliebener und zur Besichtigung frei gegebener Vergangenheit hat. Es ist aber auch resignatives Zeichen einer Gesellschaft, der der Blick ins Gestern wichtiger ist als der ins Morgen. TOBIAS RAPP