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Archiv-Artikel

Großer Lauschangriff gefährdet Grauwale

ÖLSUCHE Seismische Sprengungen vor Pazifikinsel Sachalin könnten bedrohte Meeressäuger verjagen

STOCKHOLM taz | Gerade noch 130 Exemplare des westpazifischen Grauwals gibt es. Und dieser vom Aussterben bedrohte Mini-Bestand ist jetzt durch die Suche der Ölkonzerne nach neuen Gas- und Ölvorkommen akut gefährdet. Entgegen einer Empfehlung der Internationalen Walfangkommission (IWC) und trotz der Proteste zahlreicher WissenschaftlerInnen und Umweltschutzorganisationen hält der staatliche russische Energiekonzern Rosneft an seinen Plänen fest, seismische Sprengungen in dem Meeresgebiet vorzunehmen, in dem die Grauwale derzeit ihre Jungen aufziehen.

Das hat die Bundesregierung und elf weitere Staaten nun veranlasst, in einem gemeinsamen Schreiben an das Ministerium für Naturressourcen und Umwelt in Moskau dringend um eine zeitliche Verlegung dieser Sprengungen bis 2011 zu bitten. Unter Hinweis auf die Stellungnahme des IWC und einer Reihe wissenschaftlicher Gremien wird die Besorgnis geäußert, denn „das Überleben und die Erholung des Bestands sind ansonsten ernsthaft bedroht“.

Doch Rosneft scheint das nicht zu beeindrucken. Die russische Nachrichtenangentur RIA-Novosti zitiert einen Konzernvertreter: Eine Verschiebung der seismischen Untersuchungen auf einen späteren Zeitpunkt sei „unmöglich“. Bei diesen Untersuchungen werden durch Air Guns („Luftpulser“) kräftige unterseeische Schallwellen erzeugt. Aus der Art und Weise, wie diese sich im Meeresboden ausdehnen, können Geologen einen Hinweis darauf erhalten, wo es sich lohnen könnte, mit Öl- und Gasbohrungen zu beginnen.

Doch diese Schallwellen töten oder vertreiben gleichzeitig kilometerweit alle Fische. Und sie stören nicht nur zeitweise die Möglichkeit von Walen, miteinander zu kommunizieren, sondern sie könnten deren Gehör auch auf Dauer schädigen.

Im fraglichen Meeressektor vor der Pazifikinsel Sachalin, wo diese Sprengungen nun vorgenommen werden sollen, liegt das Hauptnahrungsgebiet des westpazifischen Grauwals. „Die seismischen Aktivitäten könnten der letzte Sargnagel für diesen Bestand sein“, befürchtet Wendy Elliot von WWF: Es gebe vermutlich gerade noch 30 bis 35 zeugungsfähige Weibchen. Die Schallwellen könnten die Weibchen verstören und sie veranlassen, ihre Jungen zu verlassen.

Es gibt nicht zum ersten Mal Konflikte zwischen den seismischen Untersuchungen der Ölkonzerne vor Sachalin und den Bemühungen zum Schutz der dortigen Grauwale. Im vergangenen Sommer verzichtete das „Sakhalin Energy“-Konsortium, zu dem Shell und Gazprom gehören, nach entsprechenden Protesten in den kritischen Sommermonaten auf diese Sprengungen. Und seit 2004 berät die internationale Naturschutzorganisation IUCN die dort aktiven Energiekonzerne. „Alle bisherigen Bemühungen könnten nutzlos gewesen sein, wenn man jetzt nicht auf diese seismischen Aktivitäten verzichtet“, sagt Justin Cooke, Walspezialist beim IUCN.

REINHARD WOLFF