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Archiv-Artikel

Vorreiter ohne Vorgaben

ZUKUNFT Brüssels neue Energiepolitik: weniger Regeln und mehr Markt. Verlierer sind das Klima und die Erneuerbaren

„Die neue Politik bedeutet weniger grüne Jobs, und mehr Importe teurer fossiler Brennstoffe“

GREENPEACE

AUS BRÜSSEL ERIC BONSE

Die Klima- und Energiepolitik der Europäischen Union soll wirtschaftsfreundlicher und liberaler werden. Gleichzeitig bleiben verbindliche Vorgaben für erneuerbare Energien und den Umgang mit Schiefergas auf der Strecke – genau so, wie es der britische Premier David Cameron gefordert hatte. Dies ist das Ergebnis des wochenlangen Tauziehens um die neuen Klimaziele der EU für das Jahr 2030.

EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso gab sich zwar große Mühe, das neue europäische Klimapaket als großen Erfolg zu präsentieren. „Wir sind ehrgeizig und realistisch“, sagte Barroso bei der Vorlage seiner Pläne am Mittwoch in Brüssel. „Wir werden unserer Vorreiterrolle gerecht“, sekundierte Klimakommissarin Connie Hedegaard. „Die Europäisierung der Klima- und Energiepolitik geht weiter“, verkündete Energiekommissar Günther Oettinger.

Doch die EU-Vorschläge sprechen eine andere Sprache. Nach den Plänen soll der CO2-Ausstoß bis 2030 um 40 Prozent gegenüber 1990 verringert werden. Allerdings landet die EU nach Berechnungen der Beratungsfirma Ecofys schon mit den bisherigen Maßnahmen bei minus 32 Prozent. Um den Klimawandel auf 2 Grad Celsius zu begrenzen, sei eine Reduktion von 52 Prozent bis 2040 nötig, meinen die Experten von Ecofys.

Die Vorgabe für die Erneuerbaren fällt enttäuschend aus. Sie sollen 2030 mindestens 27 Prozent der Gesamtenergieerzeugung ausmachen – doch nur im EU-Durchschnitt, nicht in jedem einzelnen Mitgliedsstaat. Damit erhalten Großbritannien und Polen, die auf Kernkraft bzw. Kohle setzen, viel Spielraum. Auf eine Vorgabe für die Energieeffizienz, wie es sie für 2020 noch gibt, hat die Kommission in ihrem Vorschlag für 2030 gleich ganz verzichtet. Dafür sei es noch zu früh, man müsse erst einmal die Umsetzung der bisherigen Pläne überprüfen, sagte Oettinger. Im Juli werde eine „Review“ fällig, im Herbst plane man „weitere Schritte“. Doch neue verbindliche Ziele sind damit offenbar nicht gemeint.

Das bisher gültige 20-20-20-Ziel für CO2, Erneuerbare und Effizienz verschwindet im Mülleimer der Geschichte. 2007 hatten die EU unter deutscher Führung beschlossen, bis 2020 den Ausstoß von Treibhausgasen um 20 Prozent zu reduzieren, 20 Prozent der Energie aus Erneuerbaren zu erzeugen und die Energieeffizienz um 20 Prozent zu verbessern. Diesen Beschluss sehen Experten heute als „Glücksfall“. Seit der Wirtschafts- und Eurokrise seit 2008 und dem gescheiterten Klimagipfel von Kopenhagen 2009 sind die Ambitionen aber stark geschrumpft (siehe Text rechts).

Auch in der Energiepolitik deutet sich eine Wende rückwärts an. Vorrang habe künftig die Wettbewerbsfähigkeit, also die Senkung der Energiepreise, kündeten Energiekommissar Oettinger und Industriekommissar Antonio Tajani unisono an. Dass Unternehmen in der EU dreimal so viel für Gas und doppelt so viel für Strom zahlen müssen wie ihre Konkurrenten in den USA sei ein massiver „Standortnachteil“, begründete Oettinger die Kehrtwende. Seine Antwort heißt mehr Markt, mehr Wettbewerb und eine „kosteneffizientere“ Förderung erneuerbarer Energien. Zudem gelte es, das „Potenzial“ der umstrittenen Schiefergasförderung zu erhalten. Man müsse sich die „Option erhalten“ – und Ländern wie Großbritannien eine sichere Rechtsgrundlage geben.

Der britische Premier David Cameron hatte im Vorfeld massive Lobbyarbeit in Brüssel geleistet. In einem Brief an Kommissionschef Barroso schrieb der britische Premier, das Paket für 2030 biete die „Gelegenheit, das existierende Klimaregime von drei Zielen auf eines zu vereinfachen“. Bei den Vorschlägen müsse die Kommission alles vermeiden, was den Wettbewerb verzerrt oder die EU-Staaten von ihrem „preiswerten Weg der Dekarbonisierung abbringt“.

Damit ist offenbar die Atomkraft gemeint, die London massiv ausbauen will. Cameron wurde erhört, das neue Klimapaket trägt eine deutliche britische Handschrift. Damit unterscheidet es sich stark vom letzten Paket für das Jahr 2020, das noch stärker von deutschen Wünschen geprägt war.

Europas Bürger würden den Preis für die neue EU-Politik bezahlen, kritisierte derweil Greenpeace. Die bedeute „weniger grüne Jobs, mehr Importe teurer fossiler Brennstoffe und kürzeres Leben wegen der Luftverschmutzung“, so die Umweltschutzorganisation. Zufrieden äußerte sich dagegen der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Die Pläne gingen „grundsätzlich in die richtige Richtung“, erklärte der Verband.