: „Im Arsch, wenn ich zumachen muss“
AUS DORTMUND KLAUS JANSEN
A. hat seinen Laden erst vor vier Monaten aufgemacht. Keine große Sache sei das gewesen, sagt er. Ein Flachbildschirm, ein paar Tische und Stühle, ein Computer, ungefähr 15.000 Euro Ausgaben. Fertig war sein Wettbüro. „Es war ein Risiko, klar.“ Doch für ihn hat es sich bereits jetzt gelohnt. „Ich habe drei Arbeitsplätze geschaffen, ganz legal, mit Finanzamt und allem“, sagt er. „Wir haben jetzt genug Geld, um uns ein Butterbrot zu kaufen.“
A. untertreibt. Der 37-jährige Türke fällt auf in der Dortmunder Nordstadt, einem jener zahlreichen „Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf“, die das nördliche Ruhrgebiet kennzeichnen. Am Ringfinger der rechten Hand funkelt ein Brillantring, am Handgelenk blinkt eine Rolex, um den Hals baumelt eine schwere Goldkette. Seine kunstvoll zerschnittene Jeans ist ebenso fleckenfrei weiß wie sein Seidenhemd, aus dessen Tasche ein Bündel Geldscheine herausragt. A. leuchtet weiß und golden hinaus auf die Straße. Aus den Boxen der Anlage in seinem Kaffeehaus schallt laut türkische Musik.
A. hat es geschafft. Mit sechs Jahren kam er aus der Türkei nach Deutschland. Später reparierte er 15 Jahre lang Gleisanlagen bei der Deutschen Bahn. Dann kam ein Arbeitsunfall, über den er nicht gerne spricht. Er verlor seinen Job. „Ich habe ein halbes Jahr rumgesessen, dann habe ich meinen ersten Laden aufgemacht, ein Internetcafé“, sagt er. Mittlerweile gehört ihm die halbe Straßenzeile. „Das Wettbüro ist nur Zusatz, 3.000 bis 5.000 Euro mache ich damit. Wenn ich zumachen muss, ist es auch nicht schlimm.“
Andere wird es härter treffen. Ende März hat das Bundesverfassungsgericht in einem Anflug von Doppelmoral private Sportwetten für illegal erklärt, weil sie die Spielsucht befördern. Die staatliche Sportwette Oddset hingegen bekam eine Bestandsgarantie. Nun steht ein ganzer Wirtschaftszweig vor dem Ruin: 90 private Wettbüros zählte die Stadt Dortmund kurz nach dem Urteil. Nimmt man die in den Hinterzimmern und Kiosken der Stadt versteckten Wettannahmestellen hinzu, dürften es 150 bis 200 sein. Bundesweit ist von etwa 3.000 Wettbüros die Rede, doch auch diese Zahl erscheint zu niedrig gegriffen. Geht es nach den Innenministern und Ordnungsämtern im Land, sollen sie alle binnen Kürze geschlossen werden.
Das Geschäft mit den Tipps ist unübersichtlich geworden. Mit den staatlichen Oddset-Büros konkurrieren internationale Franchiseketten, die ihre Lizenzen in Malta, Österreich oder Gibraltar erworben haben – und in Deutschland nicht anerkannt werden. Hinzu kommt ein Heer von unorganisierten und nicht registrierten Büros: „Es gibt Wildwuchs“, klagt selbst der Deutsche Buchmacherverband, der die privaten Wettanbieter vertritt. „Viele illegale Anbieter haben nichts zu verlieren. Wenn denen der Laden geschlossen wird, machen sie an der nächsten Straßenecke einen neuen auf“, sagt Verbandssekretärin Eva Hülsenbeck.
Gemeint sind damit vor allem Migranten. Über 90 Prozent der Büros sind in „ausländischer“ Hand. In der Dortmunder Nordstadt konkurrieren allein sechs türkische Betreiber. Auf der Düsseldorfer Wettmeile, der Graf-Adolf-Straße, bieten auf wenigen hundert Metern zwei Türken, ein kurdischer Iraner und zwei Kroaten Sportwetten an.
„Überall, wo eine Dönerbude zumacht, wird ein Wettbüro eröffnet“, sagt Aytekin Kücükkos. Der Mitdreißiger betreibt seit vier Jahren das Wettbüro „Hattrick“, eines der ersten in der Dortmunder Nordstadt. Die Konzession stammt von der Firma MyBet aus Malta. „Sehen Sie, wir schaffen Arbeitsplätze“, sagt Kücükkos und kramt einen großen braunen Umschlag hinter der Theke hervor. Rund 20 Bewerbungen hat er darin gesammelt. „Selbst das Arbeitsamt vermittelt an uns. Wie sollen wir da illegal sein?“ Kücükkos hat bereits einmal Besuch vom Ordnungsamt bekommen, auch sein Laden soll geschlossen werden. „Die Leute verstehen nicht, was da alles dranhängt. Wenn ich nicht mehr da bin, sind meine Mitarbeiter arbeitslos, und nicht nur die.“ Mittlerweile gebe es sogar Zulieferbetriebe, die allein vom Druck der Wettscheine lebten. „Das können Sie dann alles vergessen“, sagt Kücükkos.
Besonders schlecht sieht die Zukunft für Nihat Cenan aus. Cenan ist Angestellter im „Hattrick“, zugleich betreibt er in Bochum ein eigenes Büro. 80.000 Euro hat er dort investiert. Der Mietvertrag läuft noch bis 2010, er zahlt 2.300 Euro monatlich. „Ich bin im Arsch, wenn ich zumachen muss“, sagt er. „Was soll ich mit dem Laden machen? Döner verkaufen? So viel Döner kann ich überhaupt nicht verkaufen.“
Noch haben die Dortmunder Büros eine kurze Gnadenfrist, sie könnten aber jeden Tag geschlossen werden. Jetzt wo alle WM-Großbildleinwände abgebaut und die letzten Fußballfans abgereist sind, werden die Ordnungsämter über kurz oder lang Razzien durchführen. Jüngst hat das Oberverwaltungsgericht Münster noch einmal die Rechtsauffassung des Bundesverfassungsgerichts bestätigt.
Dortmunds Ordnungsamtsleiter Ortwin Schäfer sieht sich nun zum Handeln gezwungen – auch wenn er weiß, wen er damit trifft. „Natürlich sind die Betreiber fast alle ausländischer Herkunft. Aber wir können auf Nationalität und soziale Fragen keine Rücksicht nehmen“, sagt er. „Illegal ist illegal. Wo soll man denn sonst die Trennlinie ziehen?“ Hilfe ist für die Wettanbieter auch von der Politik nicht zu erwarten. Parteiübergreifend werden die privaten Anbieter abgelehnt und die staatliche Oddsetwette verteidigt. „Wir unterstützen ja auch keine Drogenhändler, nur weil sie Migranten sind“, sagt ein prominenter Grünen-Politiker aus NRW. Immerhin kündigte der bundesweit einzige Integrationsminister Armin Laschet an, sich des Themas anzunehmen. Bislang ist aber auch der Christdemokrat über diese Einsicht nicht hinausgekommen, die Haushaltsberatungen in Düsseldorf waren wichtiger.
Den Dialog mit den Wettanbietern hat bislang noch kein Politiker gesucht. Dabei haben die durchaus Kompromissvorschläge zu bieten: „Es könnte Auflagen geben“ sagt Aytekin Kücükkos. So wie bei den Coffeeshops in Holland: Vier oder fünf pro Stadt, staatlich kontrolliert, steuerpflichtig. An der Wand hinter Kücükkos hängt ein Plakat mit der Aufschrift „Wetten macht süchtig“. Das findet Kücükkos auch. Aber ihm geht es um Gerechtigkeit, nicht um Pädagogik. „Ich habe so viele Spielhallen und Casinos erlebt, in denen Ärzte und Anwälte ihr Geld verzocken. Im Gegensatz zu einer Spielhalle hat man bei uns wenigstens eine faire Gewinnchance“, sagt er.
Gewettet, da ist sich Kücükkos sicher, werde ohnehin immer – demnächst dann wieder in Hinterzimmern. Und da könne kein Kunde sicher sein, dass er gewonnenes Geld auch ausgezahlt bekomme. „Bei uns ist das anders. Bei uns gibt es sogar einen Kaffee umsonst“, sagt er. Kücükkos will auch dann kundenfreundlich bleiben, wenn er von einem Tag auf den anderen schließen müsste: „Dann klebe ich einen Zettel mit meiner Handynummer an die Fensterscheibe. Wer will, kann mich dann anrufen und seinen Gewinn abholen.“