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Archiv-Artikel

Wozu Rundfunkgebühren?

SCHLAGLOCH VON MATHIAS GREFFRATH ARD und ZDF sollten auf Werbung verzichten und dem Quotendruck entsagen

Mathias Greffrath

■ ist Jahrgang 1945 und lebt in Berlin. Von 1991 bis 1994 war er Chefredakteur der „Wochenpost“. Als freier Publizist befasst er sich vor allem mit den Auswirkungen der Globalisierung auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.

Und da bist du auch noch stolz drauf?“ Ich war empört, und mein junger Freund, verlässlich links und taz-Leser, lachte: „Allerdings!“ Er habe noch nie Rundfunkgebühren gezahlt, er sähe das auch gar nicht ein. ARD und ZDF seien genau so schrottig wie Sat.1, die kommende Zwangsabgabe ein Skandal. Als ich ihn daraufhin einen demokratiezerstörenden Schnorrer nannte, war er beleidigt.

Er hatte einen wunden Punkt bei mir getroffen. Zunächst einen nostalgischen. Ich bin in der Zeit aufgewachsen, in der es nur zwei Fernsehsender und drei Hörfunkwellen gab. In den Trümmern des Krieges von BBC-Besatzern gegründet, kam dieser öffentlich-rechtliche Rundfunk (ein abtörnendes Wortungetüm) dem nahe, was der Medienwissenschaftler Roger Silverstone die „zweite Heimat“ nannte: einen medialen Raum, der, zum Ausgleich für Zerstreuung der Familien und Ausdifferenzierung der Gesellschaft, eine virtuelle Agora schafft. Eine Mischung aus Vorparlament und Ganztags-Gesamtschule der Nation.

Demokratietheoretisch gesehen war der Frequenzmangel ein Segen: Da alle dasselbe hörten, wenn sie am Radioknopf drehten, synchronisierten sie sich ihre Erfahrungswelten. Jeder, der sich zuschaltete, nahm, ob er wollte oder nicht, an der pluralen Kultur dieses Landes teil: Bertolt Brecht und Willy Millowitsch, Heinz Erhardt und Hans Magnus Enzensberger, die „Welt der Arbeit“ und der Operettenzauber. Die Nachrichten waren für alle dieselben, und in den ersten Fernsehjahren konnte man noch Hamlet zur Primetime im Ersten sehen. Zwangskultivierung?

Ende der virtuellen Agora

Dann gab es mehr Frequenzen, und l983 kam der Systemwechsel: Duales System hieß nun: private Presse und halbprivates Fernseh- und Rundfunkwesen. Die Sache sei „gefährlicher als Kernenergie“, fand Helmut Schmidt damals, und die Folgen dieses Urknalls sind bekannt: der Fallout in den Kanälen von RTL und Sat1, die Selbstboulevardisierung der öffentlichen Sender, die Auslagerung alles Anspruchsvolleren in die Spartenkanäle.

Dem Ideal einer „bürgerlichen Öffentlichkeit“ folgt das schon lange nicht mehr. Diese, so kürzlich noch einmal Jürgen Habermas, braucht Leitmedien, in denen die wichtigen Fragen der Nation „zu Problemstellungen verarbeitet und mit begründeten Stellungnahmen zu konkurrierenden öffentlichen Meinungen gebündelt“ werden. Und Analoges gilt für die Kultur: Seit wir die mediale Vielfalt haben, sind die Erfahrungswelten getrennter – und einfältiger – geworden: Unterschichten lernen auf Unterschichtenschulen und sehen Unterschichten-TV, Eliten hören Deutschlandfunk und sehen Arte. Bedenklicher noch als der „Kulturverfall“ ist die Zersplitterung der Diskurse in einer Gesellschaft, in der es angesichts der kommenden Herausforderungen – Migration, Klima, Sozialsysteme, Bildungsmisere etc. – darauf ankäme, Kenntnisse zu verbreiten und die Fähigkeit zu intelligentem Streit und Konsens zu stärken.

Die Senderflut ist nicht mehr rückgängig zu machen, einiges hat sie ja auch wohltuend aufgelockert; heute kann man nur noch Dämme einbauen, und neue, bessere Angebote machen. Immer noch gibt es, mehr oder weniger in Remmidemmi eingebettet, vortreffliche Sendungen im öffentlichen Rundfunk. Insofern ist die gesetzliche Zementierung einer „Haushaltsgebühr“ von 17,98 Euro eine gute Tat.

Strukturwandel des Internets

Eine beherzte Reform ist sie freilich nicht. Denn die hätte ARD und ZDF zugemutet, auf Werbung zu verzichten – und sie so auf Dauer vom Quotendruck befreit. Sie hätte den Einfluss der Parteien in den Anstalten zurückgeschraubt (Brender!) und den Journalisten in den Rundfunkräten mehr Mitbestimmung eingeräumt – und so Voraussetzungen für eine Qualitätsoffensive geschaffen (was nicht heißt: nur noch Grau und Bildung!). Vor allem aber hätte sie klarstellen müssen, dass im Internet, dieser medialen Prärie neuer Art, alle „Anbieter“ gleiche Rechte haben: die unter kommerziellen Druck stehenden Verlage und die Garanten einer von Interessen unverzerrten Öffentlichkeit.

Angesichts der Mediengewohnheiten der Jungen wurde eine große Chance verpasst, die Anstalten mit ihren intellektuellen Kapazitäten, ihren Korrespondentennetzen und Archivschätzen offensiv ins Netz zu drängen. Ich bin sicher, die Verfassungsrichter hätten wohlwollend genickt.

Ein Gut wie Wasser und Strom

Die mediale Vielfalt hat die Erfahrungswelten getrennt: Unterschichten und Eliten haben heute ihre eigenen Sender

Immerhin, mit der Haushaltsabgabe ist ein Schritt in die Richtung getan: Rundfunk ist als nationales Kulturgut anerkannt und den Schulen, Universitäten, Theatern gleichgestellt – aber ebenso Parks, Stadien und Musicalbühnen. Wir zahlen dafür Steuern; wir zahlen für Wasser und Strom.

Dass viele junge Menschen die Haushaltsabgabe für die kulturellen und politischen Ressourcen, ohne die der demokratische Staat nicht existieren kann, als Zwang empfinden, hat viele Gründe: vor allem den, dass das „Gefäß des gemeinsamen Denkens“ (Alexander Kluge) seit dem Urknall von 1984 schon so ramponiert worden ist, dass die Nachwachsenden diesen Zustand für normal halten.

Immerhin, aus der staatskritischen Bloggercommunity kommt gelegentlich schon die Erkenntnis, dass die bunte Vielfalt der „Netzdemokratie“ auch dazu führt, „dass es kein gemeinsames Nachdenken mehr gibt, sondern dass jeder über etwas anderes nachdenkt“. Das Netz kann nicht zur „Dritten Heimat“ werden oder zur „klassischen Öffentlichkeit“. Aber ein paar Provinzen zuverlässigen Festlands im Meer der wogenden Vielfalt wären wohl möglich – und nötig.

Ach ja: Nachdem ich ihm eine halbe Stunde lang die Sendungen von Deutschlandfunk, der Dritten Programme, von Monitor und Arte, die Bundesliga, Georg Schramm und Maybrit Illner runterdeklamiert hatte, gab mein Freund auf. Er werde, versprach er, von nun an bezahlen – wenn auch nur, um mich loszuwerden. Es bleibe ihm ja auch nichts andres übrig, wollte ich sagen, aber hielt den Satz zurück. Es war einer meiner seltenen bürgergesellschaftlichen Erfolge, und den wollte ich nicht durch Triumph gefährden.