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Archiv-Artikel

Auschwitz-Dance

HOLOCAUST-GEDENKEN Ein Video sorgt für Aufregung: Ein Auschwitz-Überlebender tanzt zu „I will survive“ im Konzentrationslager

Das Video, das Kohns Tochter, die australische Künstlerin Jane Korman, gedreht hat, ist rührend und komisch zugleich

Gloria Gaynors Evergreen „I will survive“ ist nicht nur die Hymne der Schwulen- und damit der Discobewegung. Es ist ein Lied, das immer passt: nach jeder Niederlage, in jedem Eiswinter, in jedem Glutsommer, nach jeder Kündigung, jeder Trennung, jeder Hochzeit, jedem Missgeschick, jeder persönlichen Niederlage, einfach jederzeit. Selbst dann, wenn man sich eigentlich gerade ganz gut fühlt, kann man es gut gebrauchen. Es ist der Song, der all diese formalistisch-soziologischen „Selbst“-Wörter – Selbstermächtigung, Selbstbestimmung, Selbsthilfe, die mit dem genauso hässlichen Wort Empowerment verbunden sind – überflüssig macht.

Warum also sollte ein Holocaust-Überlebender nicht „I will survive“ in Auschwitz singen und dazu tanzen? Es ist sicher nicht erstaunlich, dass erst jetzt die Tochter eines Holocaust-Überlebenden auf diese Idee kam. So viel Selbstüberwindung muss man erst mal aufbringen. Zusammen mit ihrem Vater, den 89-jährigen Australier Adolek Kohn, der die Konzentrationslager Auschwitz und Groß-Rosen überlebt hat, und dessen fünf Enkeln fuhr sie vergangenen Sommer an die Stätten, in denen die Juden Europas ermordet wurden. Vor den Toren der Konzentrationslager Auschwitz, Łódź, Theresienstadt und Dachau und vor der Maisel-Synagoge in Prag tanzen sie alle zu „I will survive“, und die Tochter Jane Korman machte daraus das Video „I will survive Dancing Auschwitz“, das in den vergangenen Tagen zum YouTube-Klickmonster wurde. Es ist überraschend, wie sehr der Text des Lieds passt, zu der Combo, die in T-Shirts mit der Aufschrift „Survivor“ unter dem Schild „Arbeit macht frei“ zaghafte Tanzschritte macht: „Weren’t you the one who tried to hurt me with goodbye / You’d think I crumble / You’d think I’d lay down and die / Oh no, not I, I will survive.“

Der Vorwurf der Selbstvermarktung und der Geschmacklosigkeit, den Michael Wolfssohn von der Bundeswehrakademie der Familie Kohn und ihrem Video macht, ist selbst geschmacklos, weil er den Überlebenden vorschreiben will, wie sie sich gegenüber dem erlebten Grauen während des Holocaust zu verhalten haben. Sicher, es gibt viele Stimmen, die fordern, dass absolutes Schweigen die einzige Form sei, die an diesen Orten legitim sei. Und auch in Zukunft wird es derartige Debatten über den Umgang mit den Orten der Nazi-Verbrechen immer wieder geben. Die Debatte über das Würstchengrillen auf dem Stelenfeld des Holocaust-Mahnmals am Brandenburger Tor vor Jahren war erst der Anfang.

Aber was bitte ist daran geschmacklos, wenn Adolek Kohn in seinem weißen Shirt mit der Aufschrift „Survivor“ das Victory-Zeichen macht? Am Ende des Videos erzählt Adolek Kohn, dass es ein historischer Moment für ihn ist, und wenn ihm jemand vorhergesagt hätte, dass er über 60 Jahre später mit seinen Enkeln zu den Konzentrationslagern fahren würde, hätte er ihn für verrückt erklärt. Gerade dieser Moment ist ein Moment, der zu Tränen rührt, weil Adolek Kohn es schafft, zumindest für diesen Moment, seinen schmerzhaften Erinnerungen an diesen Ort selbstbewusst augenzwinkernd zu begegnen. Man muss aber keine verrenkte Begründung dafür finden, warum Adolek Kohns Video „legitim“ ist, wie es Wolfgang Wippermann und andere in guter Absicht tun: Der humorvolle Umgang mit dem Holocaust ermögliche es der jüdischen Bevölkerung, ihre Vergangenheit zu verarbeiten, und daher sei es akzeptabel, wenn Israelis und andere Juden sich über den Holocaust lustig machten, Tanzen sei in vielen Kulturen ein Element der Trauerbewältigung, oder Israelis wollen nicht mehr nur Opfer sein etc.

Nein, es braucht überhaupt keine Legitimation für das, was Adolek Kohn und seine Familie gemacht haben. Holocaust-Überlebende dürfen an den Orten, an denen ihre Familien, ihre Nachbarn, ihre Freunde und Bekannte ermordet wurden und sie selbst überlebten, machen, was sie wollen. Ja, wenn sie – die Überlebenden – es wollen würden, dürften die KZ-Gedenkstätten sogar geschlossen werden. Das Video, das Kohns Tochter, die australische Künstlerin Jane Korman, gedreht hat, ist rührend und komisch zugleich; und das sicher nicht unfreiwillig. Denn man sieht der Gruppe an, dass sie sich nicht wie auf einer Disko-Tanzfläche fühlt, sondern dass ihre Performance alles andere als leichtfüßig ist. Auch wenn es der 89-jährige Adolek selbst ist, der den coolsten Perfomer der Combo gibt, vor allem wenn er den Charleston tanzt, wie es Josephine Baker nicht besser gemacht hätte.

DORIS AKRAP