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Archiv-Artikel

Jetzt wird zusammen gearbeitet

ARBEIT Immer noch sind die meisten Menschen mit Behinderung in eigenen Werkstätten tätig. Die Qualifizierung für den ersten Arbeitsmarkt ist durchaus möglich – wenn die Behörden mitspielen

Bundesagentur: Betrieben fehlt’s an wirtschaftlicher Vernunft

■ Der Vorstand der Bundesagentur für Arbeit, Heinrich Alt, hat die Wirtschaft aufgefordert, mehr Menschen mit Behinderungen einzustellen. „Das ist keine Wohltat, nicht nur eine gesetzliche Verpflichtung, sondern vor allem eine Frage der wirtschaftlichen Vernunft“, so Alt zu Beginn der Woche im Tagesspiegel. Auch Menschen mit Handicap seien mit ihren Begabungen und Fähigkeiten Fachkräfte.

■ „Es ist nicht klug, sie nicht in Betracht zu ziehen“, sagte Alt. Die Integration schwerbehinderter Menschen in den Arbeitsmarkt sei erheblich komplizierter, obwohl der Fachkräfteanteil bei schwerbehinderten Arbeitslosen höher sei als bei Arbeitslosen insgesamt. Nach Angaben der Bundesagentur waren im Dezember 2013 insgesamt 177.926 Schwerbehinderte arbeitslos, 4.623 mehr als im Vorjahr.

■ Zwar seien Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitern gesetzlich verpflichtet, fünf Prozent ihrer Stellen mit Schwerbehinderten zu besetzen, berichtet das Blatt. Doch immer noch zahlten viele Arbeitgeber lieber eine Ausgleichsabgabe, als Behinderte einzustellen. Monatlich seien dann bis zu 290 Euro pro Stelle fällig.

■ Zuletzt seien im Durchschnitt 4,6 Prozent der Stellen mit Schwerbehinderten besetzt gewesen. Immerhin: 2002 habe die Quote noch bei 3,8 Prozent gelegen. Unternehmen können die Ausgleichsabgabe übrigens auch unterlaufen, indem sie Aufträge an Behindertenwerkstätten vergeben. (epd)

VON FLORIAN WAGENER

Freudestrahlend betritt Rebecca Klasing den Raum. „Ich habe Fantakuchen mitgebracht“, ruft die 22-Jährige euphorisch, während sie ihre Jacke auszieht. Auch ihre Mutter ist ausnahmsweise dabei, denn heute gibt es einen besonderen Anlass: Klasings letzte Unterrichtsstunde bei BIS e. V., dem Netzwerk für Betriebliche Integration und Sozialforschung. Zwei Jahre lang hat sich die junge Frau mit Downsyndrom bei dem Verein in der Schöneberger Winterfeldtstraße für den ersten Arbeitsmarkt qualifiziert.

BIS bietet Fortbildungen für Menschen an, die nicht in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung arbeiten möchten, auch wenn das von behördlicher Seite empfohlen wurde. Die MitarbeiterInnen des Vereins stellen Kontakte zu den Ausbildungsbetrieben her und helfen ihren Klienten durch den Behördendschungel. Zudem organisiert der Verein Arbeitsassistenzen in Teil- oder Vollzeit.

In eigener Verantwortung

Rebecca Klasing hat es geschafft: Seit dem 1. Januar arbeitet sie auf einer sozialversicherungspflichtigen Stelle als Hauswirtschaftshilfe in einer Schöneberger Kita. Ihre Ausbildung vor Ort lief parallel zur BIS-Qualifizierung. Schon vor einiger Zeit hat die Kita ihr die Verantwortung für eine der Etagen übertragen. Dort kümmert sie sich selbstständig um die Wäsche, die Küche und die generelle Reinigung. „Zu Beginn war es nicht immer einfach“, sagt Bärbel Klasing, die Mutter, während sich die Kursteilnehmer den Kuchen schmecken lassen. „Gerade die Kommunikation mit den Kolleginnen fiel ihr schwer. Aber das waren Startschwierigkeiten, weil alles neu war.“

Auch die Fahrt vom Wohnort in Kladow zur Arbeitsstelle in Schöneberg war eine Herausforderung. Die Agentur für Arbeit, die die Ausbildung finanziert hat, machte es zur Bedingung, dass Rebecca Klasing die anderthalbstündige Fahrt mit zweimaligem Umsteigen alleine bewältigt. Mit Unterstützung einer Assistentin gelang schließlich auch dies. „Ich gehe jeden Tag um 6.30 Uhr alleine aus dem Haus und bin um 16 Uhr wieder zurück“, sagt Klasing stolz.

Hinter einer solchen Erfolgsgeschichte stecken für die Betroffenen und ihr soziales Umfeld viel Engagement und manchmal nervenaufreibende Auseinandersetzungen. Es müssen erhebliche Hindernisse aus dem Weg geräumt werden, wenn Menschen mit einer körperlichen oder geistigen Behinderung den seit vielen Jahrzehnten üblichen Werkstatt-Werdegang nicht beschreiten wollen. Mehr als 95 Prozent von ihnen arbeiten noch immer in einer dieser Einrichtungen, separiert vom Rest der Arbeitswelt. Und das, obwohl in Deutschland bereits 2009 die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN-BRK) in Kraft trat, die die Inklusion in den ersten Arbeitsmarkt als Grundrecht festschreibt.

Auf Augenhöhe

Immerhin bietet bereits seit 2008 das „persönliche Budget“ eine Alternative. Es kann bei der Agentur für Arbeit beantragt werden, auch Rebecca Klasing hat es in Anspruch genommen. Mit dem Geld können Menschen mit Behinderung Serviceleistungen selbstständig einkaufen – etwa von Bildungsträgern oder Assistenzgebern. Dabei agieren sie auf Augenhöhe mit den beteiligten Institutionen.

„In der Verwaltung begegnet man dem persönlichen Budget oft noch mit Ablehnung“

MARTINA BAUSCH, BIS E. V.

Vertreter von Selbsthilfeverbänden kritisieren immer wieder, dass diese Augenhöhe im Rahmen einer „Werkstatt-Karriere“ oft nicht gewährleistet ist. „Das persönliche Budget ermöglicht demgegenüber ein individuelles Vorgehen“, sagt Anne Gersdorff von Berliner Zentrum für Selbstbestimmtes Leben e. V. Bislang wird es allerdings nur in wenigen Fällen abgerufen. So wurden beispielsweise im März 2013 in Berlin nur 0,6 Prozent der Leistungen zur Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben in Form des persönlichen Budgets erbracht.

An dieser Stelle spielen auch institutionelle Widerstände eine Rolle. „In der Verwaltung begegnet man dem persönlichen Budget oftmals noch mit Ablehnung“, sagt Martina Bausch von BIS e. V. gegenüber der taz. Es passiere nach wie vor, dass sich Behördenvertreter querstellen und die Genehmigung der notwendigen Gelder verweigern oder hinauszögern. Die Menschen mit Behinderung brauchen manchmal einen langen Atem und hin und wieder auch juristische Unterstützung, um ihre Rechte durchzusetzen.

„Es gibt aber durchaus auch Mitarbeiter der Agentur für Arbeit, die sich auf diese neue personenorientierte Sichtweise einlassen“, betont Bausch. Mit den Betrieben gebe es hingegen kaum Probleme, fügt sie hinzu. Die Firmen mit denen sie kooperieren, zeichneten sich durch eine „große kulturelle Offenheit“ aus. Es handele sich um Betriebe aller Branchen, die nach den beruflichen Wünschen und Fähigkeiten der Menschen mit Behinderung gesucht werden.

Nicht zuletzt verdienen Arbeitnehmer mit Behinderung in diesen Betrieben viel besser als in einer Werkstatt. Rebecca Klasing etwa bezieht von der Kita für eine Dreiviertelstelle ein ortsübliches Gehalt, entsprechend dem ihrer Kolleginnen. In einer Werkstatt bekäme sie weniger als 150 Euro.