piwik no script img

Archiv-Artikel

Unter anderer Beobachtung

Die Galerie Thomas Schulte ist umgezogen – von Charlottenburg nach, ja, Mitte. Ganz schön spät, dafür aber gleich in die neue Kunst-Mitte: hinterm Checkpoint Charlie. Das neue Quartier teilt sie sich mit dem jungen COMA-Centre

Was ist da los? Der traurige Junge sieht wirklich nicht gut aus. Keine Sekunde blickt er in die Kamera, stattdessen kämpfen sich die Tränen in kleinen Rinnsalen über seine Wangen. Über die Lippen kommen Seufzer und Schluchzer. Hören kann man sie nicht, denn der schwarzweiße Film ist ohne Ton: „I’m too sad to tell you“ stammt vom holländischen Künstler Bas Jan Ader, der 1975 mit 33 Jahren spurlos verschwand und dessen hinterbliebene Arbeiten seit einigen Jahren eine seltsame Renaissance feiern, da hier Werk und Leben so schön unprätentiös ineinander fallen.

Gezeigt wird Aders Film neben Arbeiten von Fischli & Weiss, Rodney Graham, Mark Lombardi, Gordon Matta-Clark, Lawrence Weiner und Alfredo Jaar in der Ausstellung mit dem etwas gallertartigen Titel „Moving On: Motion“. Die läuft in der Galerie Thomas Schulte, die gerade neue Räume auf der Charlottenstraße in Mitte bezogen hat. Nach fünfzehn Jahren war der Umzug für Galerist Thomas Schulte die richtige Entscheidung. „Am Ende sind wir am falschen Ort gewesen“, sagt der Kunsthändler, der sein Unternehmen 1991 mit seinem inzwischen ausgeschiedenen Partner Eric Franck auf der Mommsenstraße in Charlottenburg gegründet hat.

Schulte war da gerade nach acht Jahren frisch aus New York zurückgekommen, wo er am Museum of Modern Art und als Leiter einer großen Galerie gearbeitet hatte. Es war just die Zeit, als in Berlin einige Leute anfingen, in einer ehemaligen Margarinefabrik auf der Auguststraße Kunst auszustellen: Welche Wirkung die Aktivitäten der 1991 gegründeten Kunst-Werke (KW) in den folgenden Jahren auf die Entwicklung des Berliner Kunstgeländes entfalten sollten, war damals noch alles andere als abzusehen. Während also jede Menge Galerien und Off-Räume in der Spandauer Vorstadt auf- und wieder zumachten, präsentierte man in Charlottenburg unverdrossen hochkarätige internationale Kunst der Gegenwart: Fotografien von Robert Mapplethorpe, Uhrenobjekte von Andrea Zittel oder Bilder von Katharina Sieverding.

Das ist nun Vergangenheit. Schulte erzählt von der langen, erfolglosen Recherche nach neuen Räumen in Mitte, doch entweder hätten die Objekte oder die Vermieter nicht seinen Anforderungen entsprochen. Zwischenzeitlich habe er die Suche einfach eingestellt und sich wieder seiner eigentlichen Arbeit gewidmet: Kunst auszustellen und zu verkaufen. Nun hat es geklappt mit dem Mitte-Ding und Schulte ist froh, denn er versteht sich in erster Linie als „Programmgalerist“, der möchte, dass seine Arbeit auch wahrgenommen wird: „Wir stehen hier unter einer anderen Beobachtung“, da ist er sich sicher.

Obwohl: Wirklich „mittig“ ist sein neuer Standort nicht. Seit Jahren versprüht die Gegend um den Checkpoint Charlie, trotz ihrer strategisch glücklichen Lage an der Grenze zu Kreuzberg, mit ihren vielen leer stehenden Bürogebäuden eher den Charme eines Finanzdistrikts, der ohne Banken auskommen muss. Zuverlässig sind nur die Touristen, die in Scharen den ehemaligen Grenzübergang konsumieren möchten. Aber das Umfeld stimmt trotzdem: Johann König etwa zog erst vor wenigen Wochen von einer Ladengalerie am Rosa-Luxemburg-Platz nach Kreuzberg, in eine ehemalige Acrylglaswerkstatt an der Rückseite des Potsdamer Platzes. Doch solche Bewegungen sind für den Mitte-Neuankömmling Schulte im Moment eher „Feinheiten“, über die er noch nicht urteilen möchte.

Das leicht Schläfrige in den Checkpoint-Seitenstraßen scheint allerdings für viele Galerien interessant zu sein: Gleich um die Ecke, in der Zimmerstraße, residieren schon seit einigen Jahren insgesamt neun Galerien, und in der Kochstraße, gegenüber dem taz-Verlagshaus, sollen demnächst eine Dependance der Kölner Galerie Jablonka sowie die Neugründung von Julius Werner Räume beziehen. Erst kürzlich feierte hier Isabella Czarnowska mit einer Ausstellung der Malerin Nina Hoffmann schräg über der Galerie Crone Einzug.

Aber Schulte hat es zur guten Nachbarschaft sogar noch näher: Im Laufe der Verhandlungen mit der Vermieterin wurden ihm Kolja Gläser und Thomas Hug vorgestellt, die für ihr „Centre for Opinions in Music and Art“ (COMA) ebenfalls Interesse am Ladenlokal hatten. Man einigte sich darauf, die Räume zu teilen und das große Schaufenster an der Ecke Charlottenstraße/Leipziger Straße abwechselnd zu bespielen.

Im Moment ist dort im Rahmen der ersten COMA-Ausstellung „Plan of the Planet“ eine Installation von Pash Buzari zu sehen, der eine Art Jagdhochsitz ohne Leiter gebaut hat. Tief im Halbdunkel der COMA-Räume präsentiert der Berliner Künstler Fotografien und Objekte, denen eine sympathische Sparsamkeit eigen ist. Wie etwa der Installation „Lighttable No. 9“, bei der das Schnappen der Relais und das rhythmische Aufleuchten der Glühbirnen dem Betrachter das Gefühl geben, vor dem archaischen Prototyp eines Roland-808-Drumcomputers zu stehen. Auf dem wurde einst Techno erfunden. Ein viel versprechender Auftakt. KITO NEDO

Galerie Thomas Schulte, Charlottenstr. 24, Moving On: Motion, bis 9. 9., Di.–Sa.,12–18 Uhr„Centre for Opinions in Music and Art (COMA)“, Leipziger Str. 36, Pash Buzari: Plan of the Planet, bis 22. 7., Di.–Sa. 11–18 Uhr