: „Suchtkranke sind ja nicht alle gleich“
RAUSCH Dass es jetzt eine kontrollierte Heroinabgabe gibt, war für die Berliner Drogenbeauftragte Christine Köhler-Azara höchste Zeit. Sorgen machen ihr aber auch neue Substanzen wie Crystal Meth
■ 57, ist seit 2006 Landesdrogenbeauftragte. Davor war die Soziologin wissenschaftliche Mitarbeiterin für Suchtprävention in der Senatsverwaltung für Schule/Jugend bzw. Gesundheit (ab 2002).
taz: Frau Köhler-Azara, nach langen ideologischen Kämpfen hat Berlin jetzt eine Praxis für die Abgabe von reinem Heroin. Zufrieden?
Christine Köhler-Azara: Ja. Wir sind sehr glücklich. Wir haben lange dafür gearbeitet, dass wir die Diamorphin-Behandlung hier in Berlin anbieten können.
Was sagt das über die Drogenpolitik der letzten 30 Jahre? Hat alles andere nichts geholfen?
Das stimmt so nicht. Wir haben viele gute Ergebnisse in der Drogenpolitik. Aber es gibt Heroinabhängige, bei denen keine Behandlung oder Therapie langfristig erfolgreich ist. Die Diamorphinbehandlung wird nur angeboten für Schwerstabhängige, bei denen die Substitution nicht funktioniert hat und die zudem schwer krank sind. Das ist ein kleiner Kreis von Betroffenen. Die meisten Heroinabhängigen werden nach wie vor durch Substitution mit Methadon versorgt oder mit Angeboten, die auf Abstinenz abzielen.
Man braucht die verschiedenen Angebote?
Ja sicher. Suchtkranke sind schließlich nicht alle gleich. Manche sind stabil genug, eine Behandlung durchzustehen, die auf Abstinenz abzielt. Andere schaffen das vielleicht nicht.
Wird die Diamorphin-Praxis die Drogenszene in der Stadt spürbar verändern?
Die Nachfrage nach Heroin wird sich wahrscheinlich nicht deutlich verändern. Aber die Diamorphinbehandlung bietet den Abhängigen eine neue Perspektive. Bisher haben sich diejenigen, die mit Substitution nicht zurechtgekommen sind, häufig wieder in die Szene bewegt. Sie haben in der Praxis jetzt einen Platz, wo sie eine andere Behandlungsform ausprobieren können. Das Modellprojekt in anderen Städten hat gezeigt, dass die Beschaffungskriminalität bei den Abhängigen so gut wie wegfällt, dass es ihnen gesundheitlich sehr schnell sehr viel besser geht.
Die Zahl der Drogentoten ist in den vergangenen Jahren stetig gesunken. Auch die Zahl derer, die neu heroinabhängig werden, nimmt ab. Warum?
Heroin ist einfach nicht die Droge der Zeit. Sie hat ein Verliererimage. Jeder weiß, dass mit dem Konsum ein schneller sozialer Abstieg verbunden ist. Und es ist eine Droge mit betäubender Wirkung. Sie führt eher dazu, dass man sich in eine Ecke verzieht und isoliert. Heute sind Drogen angesagt, die stimulieren und beschleunigen. Die Schlaf und Hunger ausblenden und den Konsumenten befähigen, lange zu feiern oder zu arbeiten. Der Zeitgeist geht hin zu Amphetaminen, Kokain oder Ecstasy.
Auch zu dem Aufputschmittel Crystal Meth, das jetzt schon seit einigen Jahren vermehrt im Umlauf ist?
Das ist vor allem ein Problem in der Grenzregion zu Tschechien. Die Polizei hat allerdings erst letzte Woche 280 Gramm Crystal Meth auch in Berlin gefunden. Das macht uns schon Sorgen. Wir versuchen, den Klienten etwa in den Drogenkonsumräumen zu erklären: Crystal Meth ist hochgradig riskant. Konsumenten laufen Gefahr, dass ihr Gehirn in kurzer Zeit dauerhaft geschädigt wird, mal abgesehen von den Schädigungen der übrigen Organe, beispielsweise der Zähne.
Bei Heroin hat es lange gedauert, bis Ärzte es verabreichen dürfen. Lässt sich das auf die neueren Drogen übertragen?
Ich denke nein. Substitution ist eine Behandlung für Opiatabhängige. Bei anderen Substanzen steht ein solches Modell nicht zur Debatte.
Die Abgabe von Diamorphin hat den Vorteil, dass die Abhängigen keine Streckmittel mehr konsumieren. Bei anderen Drogen ist die Verunreinigung ebenfalls ein Problem. Sollte man nicht Drugchecking-Angebote machen, also etwa Leute in die Clubs schicken, die die Drogen vor Ort untersuchen?
Diamorphin wird mitnichten nur wegen möglicher Verunreinigungen eingesetzt, sondern vor allem, um die gravierenden psychischen Erkrankungen der Betroffenen behandelbar zu machen und ihnen eine Lebensperspektive zu bieten. Beim Drogenkonsum in der Clubszene, im Partykontext, brauchen wir Prävention, Sensibilisierung für die Risiken, die sich nicht nur auf Streckmittel beziehen, sondern auch auf die Substanzen selbst. Die sogenannten Partydrogen sind ja verboten, weil sie selbst gesundheitsschädlich sind. Ich halte übri-gens nichts davon, die Verantwortung an den Staat zu delegieren. Die Konsumenten müssen die Verantwortung für sich selbst tragen, wenn sie sich über Gesetze hinwegsetzen.
So könnten Sie auch gegen Diamorphin argumentieren.
Diamorphin wird als Medikament eingesetzt für Menschen, die seit vielen Jahren abhängig, schwer geschädigt und psychisch krank sind. Häufig haben sie sich auch mit Hepatitis oder HIV infiziert. Da geht es um Überlebenshilfen und Therapie für Kranke. Bei jungen Menschen, die Party machen wollen und dazu Drogen nehmen, ist das etwas anderes. Mir geht es darum, dass sich die Konsumenten widersprüchlich verhalten. Wenn sie der Meinung sind, sie wollen dieses Erlebnis haben und das Gesetz brechen, dann müssen sie auch mit den Risiken klarkommen. Wenn man sich generell Gedanken über die Frage von Verbot und Legalisierung machen will, müsste das auf Bundesebene diskutiert werden.
A propos: Die Kreuzberger Grünen planen ja ein Modellprojekt für Cannabis, sie wollen einen oder mehrere Coffeeshops eröffnen. Wie finden Sie das?
Das ist nach derzeitiger Gesetzeslage aus meiner Sicht nicht genehmigungsfähig.
Und inhaltlich ?
Ich kann verstehen, dass manche die Debatte um die Legalisierung von Cannabis weiterführen wollen. Aber das ist von bundesweiter Bedeutung. In einem Berliner Bezirk einen solchen Shop zu eröffnen, kann nicht funktionieren. Es würde einen Drogentourismus nach Berlin ziehen, den niemand mehr beherrschen könnte. Auch den illegalen Handel würde das nicht stoppen. Dagegen wären die Zustände, die derzeit im Görlitzer Park herrschen, fast idyllisch. Unter den jetzigen Bedingungen lehne ich einen Coffeeshop deshalb strikt ab.
INTERVIEW: ANTJE LANG-LENDORFF