piwik no script img

Archiv-Artikel

Nicht nach der Seife bücken

HYGIENE Alle reden über das Problem Schwule und Fußball – aber was ist das Problem? Die Sammeldusche nach dem Spiel. Unser heterosexueller Autor ist hingegangen. Er hat sich ausgezogen. Und er hat es überlebt

„Es war ein grobes Foul an der Strafraumgrenze. Das erste Mal in meinem Leben, dass ich von einem Schwulen flachgelegt wurde. Es hat wehgetan“

VON ALEM GRABOVAC

Montagabend. Berlin-Weißensee. Das Trainingsspiel in der Halle ist beendet. Ich habe ein Tor geschossen. Verschwitzte Körper. Ich sitze in der Umkleidekabine des homosexuellen Fußballclubs Vorspiel SSL Berlin. Wir ziehen uns aus. Ich betrachte die Schürfwunde an meinem linken Knie. Es war ein grobes Foul an der Strafraumgrenze. Das erste Mal in meinem Leben, dass ich von einem Schwulen flachgelegt wurde. Es hat wehgetan. Und es hat sich gelohnt: Aus dem Freistoß resultierte ein Tor. Während ich meine Wunden lecke, reden die anderen über das Spiel von gestern. In der letzten Minute haben sie den 3:3-Ausgleich hinnehmen müssen. Einer sagt: „Das fühlt sich immer noch wie eine verdammte Niederlage an.“

Wir duschen. Das Wasser prasselt auf nackte Männerkörper. Aus den Augenwinkeln taxiere ich die anderen männlichen Glieder. Man vergleicht sich, ordnet sich ein, ganz instinktiv. Es gibt Links- und Rechtsausleger, kleine und große Schwänze. Der einzige Unterschied zu den Heteros: Die meisten hier sind im Intimbereich rasiert.

Da ich nicht wusste, wie es sich anfühlt, bewusst mit Homosexuellen zu duschen, war ich vorher etwas nervös. Aber alles war so wie früher, als ich noch selbst Fußball gespielt habe: man kickt, man schwitzt, es wird geplaudert und geduscht. Ich habe weder bei ihnen noch bei mir irgendeine Hemmschwelle oder gar Scham empfunden.

Ein Großteil meiner kroatischen und bosnischen Verwandtschaft würde sich jetzt vor mir ekeln. Sie hassen Schwule. Für sie sind alle Homosexuellen degeneriert, krank, nicht normal. Sie fühlen sich von den Schwulen in ihrem Männlichkeitsideal bedroht. Die Angst des Mannes vor dem anderen Geschlecht in sich, die Angst des Mannes vor Passivität, Schwäche, Nähe, Verweiblichung, Gefühlen. Das darf alles nicht sein. Die männliche Sexualität muss stark, erobernd, penetrierend sein. Über die Sehnsucht nach dem Fremden darf nicht gesprochen werden. Wahrscheinlich fühlen sie sich sehr einsam in ihrer eindimensionalen Sexualität.

Mit Shampoo im Haar

Mein durchtrainierter und muskulöser Duschnachbar fragt mich mit Shampoo in den Haaren: „Und wie haben wir gespielt? War es tuntenmäßig?“ Ich antworte: „Nein, nein, ganz im Gegenteil. Ihr seid ganz schön hart zur Sache gegangen.“ Er sagt: „Schreib das lieber nicht mit dem ‚hart‘. Da könnten die Leser ja auf schmutzige Gedanken kommen.“ Alle lachen. Ein anderer fügt noch hinzu: „Du bist doch hier wegen dem Coming-out von Hitzlsperger. In England haben sie ihn „Hitz, The Hammer“ genannt. Gut, dass sich so einer mit einer harten Spielweise und solch einem strammen Schuss geoutet hat. Vielleicht verstehen die Heteros ja jetzt endlich, dass wir genauso hart und dreckig wie sie spielen können.“ „Und außerdem“, sagt er dann noch mit einem verschmitzten Lächeln im Gesicht, „wusste ich ja schon immer, dass der Hitzlsperger einen Harten hat.“

Beim Duschen ist jedenfalls nichts hart geworden. Es gab auch keine „Seifenbücker“ – die Jungs benutzen mittlerweile alle Duschgels.

Etwas später sitzen wir bei Schnitzel, Pommes und Bier im Restaurant der Sporthalle. Rico, 33, erzählt, dass er vor drei Jahren noch für einen „Heten-Verein“ gespielt habe. Er ging zu seinen Trainern, wollte sich outen. Diese rieten ihm davon ab. Er tat es trotzdem. Von diesem Tag an waren alle gegen ihn. Die Trainer, zu denen er vorher ein vertrauenswürdiges Verhältnis gehabt hatte, mieden ihn wie die Pest. Seine Mannschaftskameraden beschimpften ihn als „schwule Sau“ und wollten nicht mehr mit ihm zusammenspielen. Es blieb ihm keine andere Wahl, als den Verein zu verlassen. Enttäuscht sei er damals von allen gewesen.

Frank, ein anderer Spieler, sagt, dass sie in Berlin im Gegensatz zum Rest der Republik relativ wenig Probleme mit homophoben Gegnern hätten. Und manchmal, fügt er noch schmunzelnd hinzu, sei Schwulsein sogar von Vorteil: „Einmal bin ich mit einem Deutschtürken auf dem Spielfeld aneinandergeraten. Der Typ beschimpft mich als gottverdammte Schwuchtel. Ich grinse ihn an und sage: Ja, stimmt. Du kannst ja später mit mir duschen gehen. Daraufhin ist er total ausgeflippt und hat mir eine runtergehauen. Der Schiedsrichter sieht das und zeigt ihm die Rote Karte. Er kann es nicht fassen und sagt zum Schiedsrichter: Weißt du, was der zu mir gesagt hat. Der hat mich beleidigt. Der sagen, dass ich mit ihm duschen gehen soll. Das ist Beleidigung. Der Schiedsrichter blieb cool und wiederholte immer wieder nur die Aufforderung: Verlassen Sie jetzt bitte den Platz. Immerhin hatten wir danach einen Mann mehr auf dem Spielfeld.“

Ralf, 53 Jahre alt, der Abteilungsleiter von Vorspiel SSL Berlin, ergänzt: „Bei rassistischen Äußerungen des Publikums verlassen in Italien inzwischen ganze Mannschaften das Spielfeld. So etwas würde ich mir auch für homophobe Äußerungen oder Gesänge in deutschen Stadien wünschen. Die Fans intonieren ‚Schwuler, schwuler BVB‘ und die Dortmunder gehen geschlossen vom Platz. Aber davon sind wir wohl noch Lichtjahre entfernt.“