: Braucht Europa eine gemeinsame Armee?Ja
IM KAMPF VEREINT In Mali und Zentralafrika springt Deutschland seinem Nachbarn Frankreich militärisch bei – könnte das für eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik beispielhaft sein?
Die sonntaz-Frage wird vorab online gestellt.
Immer ab Dienstagmittag. Wir wählen eine interessante Antwort aus und drucken sie dann in der sonntaz.
Franz Josef Jung, 64, Exverteidigungsminister und CDU-Politiker im Bundestag
Ich halte ein europäisches Engagement in Mali und Zentralafrika für richtig. Deutschland unterstützt bereits die Bemühungen der internationalen Gemeinschaft, Mali zu stabilisieren. Die Bundeswehr ist an der europäischen Ausbildungsmission EUTM sowie an der von den Vereinten Nationen geführten Unterstützungsmission Minusma beteiligt. Eine enge Kooperation innerhalb der internationalen Gemeinschaft und innerhalb Europas ist für eine erfolgreiche Durchführung unerlässlich. Dazu gehört unter anderem eine klare Aufgabenverteilung unter den jeweils beteiligten Staaten. Diese notwendige und vertrauensvolle Abstimmung findet statt. Eine europäische Armee ist eine Vision, für die aber derzeit die politische Grundlage fehlt.
Rainer Arnold, 63, Verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion
Ein verstärktes Engagement der Europäer in den Krisenregionen Afrikas ist im Wortsinn naheliegend. Bereits vor Jahren haben die UN uns zu mehr Peacekeeping-Operationen aufgefordert. Doch nur eine Minderheit der EU-Mitglieder ist militärisch und finanziell dazu in der Lage. Bis zu einer Europäischen Armee ist es noch ein weiter Weg. Warum aber nicht jetzt schon einen Kern dafür bilden? Es ist völlig ineffektiv, wenn alle EU-Länder militärisch alles bereitstellen müssen. Dafür fehlen Ressourcen und Finanzen. Die großen Mitgliedstaaten reduzieren ihre Armeen und senken die ohnehin schon knappen Verteidigungsetats. Dies würde nicht nur finanzielle Spielräume in Zeiten leerer Verteidigungshaushalte eröffnen, sondern auch die Effizienz steigern.
Bastian Stein, 31, Mitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft Frieden der Grünen
Die Kooperation von europäischen Streitkräften funktioniert. EU-weite Missionen sind die Regel. Wenn Europa nicht handeln kann oder will, dann handeln andere. Die Alternative zu einer EU-Armee sind Nato-Einsätze oder eine willkürliche „Koalition der Willigen“. Das ist ein undemokratisches Europa. Europa könnte auch bis zu 130 Milliarden Euro durch eine gemeinsame Armee einsparen – je nach Berechnung. Geld, das anderswo gebraucht wird. Zuletzt kann eine gemeinsame Streitkraft besser mit Maßnahmen von NGOs und Entwicklungshelfern koordiniert werden. Unsere Erfahrung zeigt, dass wir den Frieden gewinnen müssen, nicht den Krieg.
Norbert Frei, 58, ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Jena
Man muss kein Historiker sein, um bei dieser Frage an den Plan einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft zu denken, der 1954 krachend scheiterte. Nach dem Nein der französischen Nationalversammlung ging es damals auch irgendwie weiter – was zeigt: Europa „braucht“ nicht zwingend eine Europäische Armee. Aber mit gemeinsamen Streitkräften würde manches einfacher und effektiver: An die Stelle von Ad-hoc-Kooperationen in humanitären Krisenfällen und „Koalitionen der Willigen“ träte ein demokratisch institutionalisierter außen- und verteidigungspolitischer Willensbildungsprozess, der sich auf das Zusammenwachsen und die globale Wahrnehmung Europas positiv auswirken kann. Ein solches, zweifellos kompliziertes Vorhaben 2014 auf den Weg zu bringen – im Jahr des Gedenkens an den Beginn des Ersten Weltkriegs – das wäre auch historisch-politisch ein gutes Signal.
Angelika Beer, 56, Piratin, war grüne Expertin für Verteidigungspolitik in Brüssel
Ich bin für eine Europäische Armee, wenn es eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU gibt. Bei militärischen Interventionen ist es wichtig, dass diese nicht von ehemaligen Kolonialmächten beschlossen und ausgeführt werden. Der EU-Einsatz in der Zentralafrikanischen Republik hat kein politisch definiertes Ziel. Die bisherigen Konzepte für eine gemeinsame Armee sind ohne Parlamentsvorbehalt untauglich. Die bereits aufgebauten Battle Groups, an denen verschiedene EU-Länder beteiligt sind, werden auch nicht eingesetzt. Militärischer Aktionismus ist die Folge.
Nein
Jan van Aken, 52, Abgeordneter der Linkspartei, war UN-Biowaffeninspektor
Nein, Europa braucht keine gemeinsame Armee, sondern gemeinsame Abrüstung und weniger Militär. Die EU steuert gerade in die entgegengesetzte Richtung zu immer mehr Militäreinsätzen – Mali, Somalia, jetzt die Zentralafrikanische Republik. Letzterer allein, um Frankreichs politische und ökonomische Interessen in der Region militärisch abzusichern. Eine gemeinsame Armee würde diesen Trend weiter vorantreiben und letztlich nur für die Eigeninteressen ihrer starken Mitglieder wie Frankreich oder Deutschland eingesetzt – finanziert aus einer ständigen Kriegskasse, in die jedoch alle einzahlen. Wer wie ich ein friedliches Europa, eine „Zivilmacht Europa“ will, braucht zivile Kapazitäten, um der gewaltsamen Eskalation von Krisen vorzubeugen und die Ursachen gewaltsamer Konflikte zu beseitigen. Eine friedensorientierte EU-Außenpolitik braucht Fachkräfte zur friedlichen, gewaltfreien Vorbeugung und Lösung von Konflikten, durch einen Europäischen Zivilen Friedensdienst etwa.
Julian Schraven, 25, ist taz-Leser, Moderator, Sprecher, Autor und lebt in Köln Nach Wikipedia ist eine Armee „ein Großverband des Heeres. Umgangssprachlich wird der Begriff auch für die gesamten Landstreitkräfte bzw. das ganze Militär eines Staates verwendet.“ Und so was brauchen wir? Wozu? Sind wir nicht über die Zeiten des bewaffneten Einsatzes, der Konfliktlösung mit militärischen Mitteln, schon längst hinaus? Sollten die diplomatischen Möglichkeiten in unserem Land, sogar im kompletten europäischen Raum nicht schon so weit entwickelt sein, dass sich hiermit jegliche Konflikte lösen lassen? Gegen wen sollten wir uns denn auch verteidigen? Gegen die Amerikaner, den Nahen Osten oder all die, die unsere Städte zu Gefahrenzonen machen? Diese Kriege laufen doch längst, etwa im Internet. In der Industrie. In den Medien. Auf den politischen Schachbrettern, die von Berlin, Brüssel, Paris, London mit immer neuen Rochaden bestückt und so kompliziert werden, dass am Ende nicht mal mehr die Spieler selbst wissen, wer am Zug ist. Was wir brauchen ist kein weiteres Aufrüsten unseres Kontinents. Wir brauchen keinen weiteren Blankoscheck für Rüstungskonzerne. Was wir brauchen, ist Frieden auf den Schachbrettern.
Ronja Kempin, 39, Außenpolitikexpertin der Stiftung Wissenschaft und Politik
Libyen, Mali, Zentralafrika: Bei den jüngsten militärischen Interventionen ließen die EU-Staaten Frankreich vorpreschen. Erst als französische Militärs Despoten wie Rebellen in die Flucht geschlagen hatten, einigten sich die 28 EU-Länder darauf, unterstützend tätig zu werden. Die Beiträge zu den Einsätzen fallen unterschiedlich aus; zumeist wird logistisch unterstützt, selten wird eine große Zahl von Soldaten entsendet, nie beteiligen sich alle Mitgliedstaaten an der EU-Mission, die den kleinsten gemeinsamen Nenner abbildet. Weil die Interessen der EU-Länder zu divers, ihre Sicherheitskulturen und finanziellen Spielräume zu unterschiedlich sind, kommen Integrationsprojekte nicht zum Tragen. Die Deutsch-französische Brigade wurde seit 1990 lediglich zwei Mal gemeinsam eingesetzt. Auf die Entsendung ihrer schnellen Eingreiftruppe konnten sich die EU-Staaten bis heute nicht einigen. Eine europäische Armee würde Europa also handlungsunfähig machen und seine Nachbarschaft ins Chaos stürzen.
Friedemann Bretschneider, 28, ist taz-Leser, Lehrer, macht gern Musik
Wenngleich viele Motive des „Pleven-Plans“ der frühen 50er Jahre ungleich anderer Natur waren, als sie es heute sind: Die Vertiefung der europäischen Einigung in diesem zentralen Bereich staatlicher Gewalt – dem Militär – stand damals wie heute im Raum. Allen Beteuerungen vom „Staatsbürger in Uniform“ zum Trotz – selbst in der Bundeswehr existierten immer wieder Neigungen zum „Staat im Staate“. In einer nur unzureichend demokratisierten EU wäre die Armee somit gewissermaßen ein „unkontrollierter Staat in einem unkontrollierten Staat“ – eine wahrlich wenig behagliche Vorstellung. Die derzeitige EU hat dringendere Probleme als eine gemeinsame Armee. Diese könnte allerhöchstens am Ende eines langen europäischen Demokratisierungsprozesses stehen. Wobei zu hoffen, wäre, dass es dann gar keiner Armee mehr bedürfte.