Polen fürchten Stillstand

Die polnische Wirtschaft verspricht sich nicht allzu viel vom designierten Premier Kaczyński. Sie fordert mehr Reformeifer, um die Emigration zu stoppen

WARSCHAU taz ■ Mit dem Slogan „Die Wirtschaft, Premier!“ erinnert Polens führende Wirtschaftszeitung Puls Biznesu an den respektlos-witzigen Präsidentschaftswahlkampf Bill Clintons 1992. So wie in den USA zu rufen: „Es ist die Wirtschaft, Dummkopf!“ würde derzeit kaum ein Journalist in Polen wagen. Zu offensichtlich hängt die stete Gefahr einer Beleidigungsklage über allen. Brav wie der Puls Biznesu listet denn auch das Springer-Boulevardblatt Fakt eine Liste von dringend zu erledigenden Aufgaben für den designierten Premierminister Jarosław Kaczyński auf: „Bremse den Anstieg des Brotpreises! Erhöhe die Renten! Schicke arme Kinder in die Ferien!“

Fakt, das von vielen Wählern der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) vor allem in Kleinstädten und auf dem Land gelesen wird, fordert vor allem die Erfüllung des Sozialprogramms, das die nationalkonservative PiS im Wahlkampf Ende letzten Jahres versprochen hatte.

Genau davor aber warnt Puls Biznesu. „Wir wissen, dass Wirtschaftsfragen nicht gerade zur stärksten Seite von Jarosław Kaczyńnski gehören.“ Ein Spickzettel soll dem neuen Premier bei der Formulierung seiner Regierungserklärung helfen. Aufgabe Nr 1: Das Defizit dürfe nicht weiter steigen. Nr. 2: Zu den versprochenen Steuersenkungen werde es angesichts des Haushaltslochs nicht kommen. Das Mindeste sei daher eine Erklärung, dass Kaczyński die Steuern nicht anhebe. Nr. 3: Die Lohnnebenkosten müssten gesenkt werden.

Insgesamt listet das Blatt elf Punkte auf, darunter die Empfehlung, große Staatsunternehmen an die Börse zu bringen und so zu privatisieren. Auch das Datum für den Beitritt Polens zur Eurozone sollte endlich festgelegt werden. Und – ganz wichtig für Puls Biznesu: Das Klima für ausländische Investoren müsse gut sein. Mit Kaczyński als Premier befürchtet die Zeitung das Gegenteil: „Wenn Polen Signale aussendet, dass die liberalen Reformen nicht fortgeführt werden, wird dieser Geldregen woanders niedergehen und auch die Arbeitsplätze werden woanders entstehen.“ Tatsächlich ist eins der Hauptprobleme, dass immer mehr junge, oft gut ausgebildete Polen das Land verlassen – über zwei Millionen in den letzten Jahren. Fehlende Perspektiven, politischer Dauerknatsch und eine neue Spießbürgermoral sprechen für das Ticket nach London, Berlin oder Dublin.

Polens Regierung hat bislang keine nennenswerten Anstrengungen unternommen, die Emigration zu stoppen. Lieber lobt sie sich, dass die Arbeitslosenquote von 18 auf 16,5 Prozent gesunken sei.

Auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) fordert Polens Regierung jüngst auf, die derzeit gute Konjunktur stärker für das Reformprogramm zu nutzen. „Der Arbeitsmarkt Polens ist der schlechteste in der ganzen OECD“, heißt es in dem Bericht. „Das anhaltend hohe Wachstum zeigt, dass Polen zum Westen aufschließen will.“ Die Haushaltspolitik Polens aber sei geradezu chronisch unberechenbar. GABRIELE LESSER