: Die neue Drehscheibe für Öl und Gas
US-Popsängerin Mariah Carey half gestern mit, die Ölpipeline im türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan zu eröffnen. Um Russland zu umgehen, plant die Regierung in Ankara weitere Transitleitungen. Nabucco-Gaspipeline soll bis nach Wien führen
AUS ISTANBUL JÜRGEN GOTTSCHLICH
Die Vision hat bereits einen Namen: Rotterdam am Mittelmeer. Nach dem Vorbild des weltgrößten Ölumschlagplatzes an der niederländischen Küste schickt sich die Türkei derzeit an, ihren Ölhafen Ceyhan zu dem wichtigsten Verladeterminal an der Mittelmeerküste zu machen. Das Kernstück wurde gestern offiziell eröffnet. Mit großem Pomp, diversen ausländischen Regierungschefs und der Popsängerin Mariah Carey zelebrierte die türkische Staatsführung die Inbetriebnahme der teuersten Ölpipeline der Welt. Die Röhre, die vom aserbaidschanischen Baku durch Georgien und die Osttürkei nach Ceyhan führt, hat fast 3 Milliarden Dollar gekostet.
Dass die USA bereit waren, eine von Russland und Iran unabhängige Pipeline zu finanzieren, konnte der Türkei nur recht sein. Was in der Hauptstadt Ankara anfangs als Schnäppchen gesehen wurde, um jährlich rund 300 Millionen Dollar Transitgebühren einzustreichen, ist im politischen Bewusstsein des Landes mittlerweile zu einem außenpolitischen Pfund ersten Ranges mutiert. Kein Wunder: Westeuropa und die USA suchen dringend nach sicheren Transportwegen für Öl und Gas.
Die Industriestadt Ceyhan, mehr oder weniger ein Vorort der viertgrößten türkischen Millionenmetropole Adana, ist seit Jahren Ölverladeterminal – bislang allerdings nur für Öl aus dem Nordirak. Das Öl aus den Feldern in Kirkuk wird, wenn es denn fließt, in Ceyhan verschifft. Nun kommt die BTC-Pipeline hinzu, durch die täglich eine Million Barrel (1 Barrel: 159 Liter) gepumpt werden wird. Ein türkisch-italienisches Konsortium ist außerdem dabei, von der türkischen Schwarzmeerküste aus eine Nord-Süd-Pipeline nach Ceyhan zu bauen, damit russisches Öl nicht mehr durch den Bosporus verschifft werden muss, sondern bereits in Samsun am Schwarzen Meer in die Pipeline gepumpt werden kann.
Vielleicht noch wichtiger als beim Öl könnte sich allerdings die künftige Rolle der Türkei als Transitland für Erdgas entwickeln. Die Türkei bezieht ihr Gas aus Russland und via Iran aus Turkmenistan. Die Leitungen gibt es bereits. Die Gasverbindung nach Russland liegt auf dem Grund des Schwarzen Meeres. Interessant aber ist der Ausbau auf größere Kapazitäten. Bereits in Bau ist eine Gasleitung von der Türkei nach Griechenland, die später bis nach Italien verlängert werden soll. Bislang nur auf dem Papier steht ein weiteres gigantisches Gasprojekt, das vor allem an Fahrt gewinnt, weil Russland der Ukraine im vergangenen Winter zeitweise die Versorgung abschnitt. Unter dem Namen des Assyrer-Königs Nabucco will ein Konsortium den österreichischen Ölkonzern OMV eine Pipeline von der Türkei über Bulgarien, Rumänien und Ungarn bis Wien bauen und so eine Alternative zum russischen Gas für Westeuropa schaffen. Diese Röhre soll dereinst Gas aus Nordafrika, dem Iran, Zentralasien und eventuell auch Russland aufnehmen, um es von Wien aus zu verkaufen. Von den dafür notwendigen 4,6 Milliarden Euro hat die Europäische Investmentbank bereits eine Milliarde zugesagt. Manager Johann Gallisti ist sich sicher, dass er den Rest bald beisammen hat.
Die türkische Regierung ist hocherfreut über diese Entwicklung und sieht darin zu Recht ein zukünftig immer wichtiger werdendes Argument für die EU-Mitgliedschaft des Landes. Während die EU sich derzeit in den Verhandlungen mit der Türkei auf die Zypern-Frage konzentriert, warnt die türkische Führung ihre EU-internen Gegner bereits vor den Konsequenzen einer verhinderten Türkei-Mitgliedschaft. Chefunterhändler und Wirtschaftsminister Ali Babacan sagte vor der internationalen Presse, die Konsequenzen einer torpedierten Türkei-Mitgliedschaft seien für die EU womöglich weitreichender als für das Kandidatenland. „Sie könnten weit über die derzeitigen Vorstellungen hinausgehen“, orakelte er unlängst. Das war ein Hinweis auf die künftige energiepolitische Rolle der Türkei.