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Archiv-Artikel

Milchreis und Honig

TAZ-SERIE GÄRTEN (TEIL 2) Im Moabiter Schulgarten können Stadtkinder die Natur entdecken, sich austoben und auch mal Kühlschränke ganz ohne Strom bauen. Geöffnet ist nicht nur in den Ferien

taz-Serie Gärten

■  Gärten sind Sehnsuchtsorte, inbesondere für Großstadtbewohner. Im Gras liegen und die Seele baumeln lassen, den eigenen Salat oder das eigene Marihuana züchten, die Gießkanne schwingen und den Kampf gegen das Unkraut führen.

■  Die taz hat sich in Berlin auf die Suche nach Hobbygärtnern gemacht. Denn man muss keine Scholle in Brandenburg besitzen, um seine botanischen Neigungen auszuleben. Ein Schrebergarten, der zwischen Autobahn und S-Bahn eingeklemmt ist, tut’s auch. Und selbst auf einem Nordbalkon werden die Tomaten rot – es dauert nur ein bisschen länger.

■  Der Hang zur Natur lässt sich auch weniger brav ausleben, etwa indem man Verkehrsinseln begrünt und Baumscheiben mit Blümchen bepflanzt. Jeden Freitag berichtet die taz über schräge und weniger schräge gärtnerische Projekte von Menschen mit grünem Daumen.

VON KRISTIN RUCKSCHNAT

Der kleine dunkelhaarige Junge prescht sich an. Leise zerstört er die gelben, roten und blauen Wasserbomben in der Schüssel der Mädchen. Nun schwimmen nur noch Ballonreste auf dem Wasser. Als das erste Mädchen den Schaden entdeckt, krallt es sich die Schüssel und rennt kreischend hinter dem Übeltäter her. Nach wenigen Metern erwischt sie ihn und schüttet ihm das kalte Wasser über den Rücken. Eine klare Kampfansage.

Passanten auf der Birkenstraße 35 in Moabit können nur ahnen, dass sich an diesem heißen Freitagnachmittag hinter der dichten Hecke eine Wasserschlacht abspielt. Betreten sie aber den Moabiter Schulgarten durch das schmale Tor in der Hecke, finden sie sich zwischen üppig bewachsenen Gemüsebeeten, 17 tobenden Kindern und Schatten spendenen Bäumen wieder. Es gibt eine offene Feuerstelle, ein hoher Kletterbaum wächst in den Himmel, Bienen fliegen zwischen Blumenbeeten und Bienenstöcken hin und her. 8.000 Quadratmeter ist das kleine Paradies inmitten der Mietshausblocks groß.

Wasserbomben en masse

Für Alexandra ist der Garten schon zu einem zweiten Zuhause geworden. Die Zehnjährige ist eine, die den Ton unter den Kids angibt. Schließlich kommt sie schon seit vier Jahren hierher und gehört zu den Ältesten. „Die Ferienbetreuung in der Schule ist richtig langweilig“, berichtet sie. Lieber verbringt sie ihre Freizeit in der Birkenstraße – um neue Freunde zu finden, wie sie sagt, und sich mit Jungs Wasserbombenschlachten zu liefern.

„Die Kinder, die hierher kommen, stammen aus unterschiedlichen sozialen Verhältnissen“, sagt Bernd Brunner. Er ist Projektleiter beim Moabiter Ratschlag und Betreuer im Garten. Damit jedes Kind eine Ferienwoche im Grünen erleben kann, seien die Gebühren für die einwöchigen Kurse gestaffelt. Familien mit durchschnittlichen Einkommen müssten 20 Euro für eine Woche bezahlen. Hat eine Familie kein Einkommen, ist der Kurs kostenlos für das Kind. Und so spielt hier jeder mit jedem. Die Ärmeren mit den Reicheren, die Älteren mit den Jüngeren. Migrantenkinder mit Kindern ohne Migrationshintergrund.

Trotz der Hitze toben die Sechs- bis Zwölfjährigen ausgelassen auf der Rasenfläche zwischen den Bäumen. Neben der Wiese sind unter Pavillons Tische aufgebaut. Auf einem liegt noch vom Filzen am Vormittag ein lila Hut. Als Mittagessen für die ganze Bande gibt es Milchreis. Und um gleich mit einem Spieleworkshop weiter zu machen, bereitet Chris Roos bereits alles vor. Der Lehramtsstudent arbeitet seit zwölf Jahren mit Kindern, der Schulgarten ist für ihn etwas ganz Besonders: „Dass die Kinder hier die Möglichkeit haben, selbst etwas zu pflanzen und es wachsen zu sehen, das finde ich unersetzlich.“ Neben Spielen bietet der 28-Jährige auch einen Survivalkurs an. Dabei lernen die Kinder unter anderem, wie man ohne Strom einen Kühlschrank baut oder Feuer macht – allerdings wird kein richtiges Feuer gemacht, denn es besteht hohe Waldbrandgefahr.

Idee aus den 1920ern

Streng genommen ist der Moabiter Schulgarten eigentlich kein Schulgarten, weil er nicht auf einem Schulgelände liegt. Vielmehr handelt es sich offiziell um eine Gartenarbeitsschule. „In Berlin existieren 13 davon“, erklärt Helmut Krüger-Danielson, der Leiter des Schulumweltzentrums im Bezirk Mitte. Die ersten seien in den 1920er Jahren im Zuge der Reformpädagogik angelegt worden. Kinder sollten hier nicht nur mit dem Kopf lernen, sondern alle Sinne benutzen. Später hätten die Nationalsozialisten die Arbeitsschulen meist wieder geschlossen. „Nach dem Krieg gründeten sich die Gartenarbeitsschulen neu – ein Grund dafür war auch die schwierige Versorgungslage mit Lebensmitteln“, sagt Krüger-Danielson. Die Gartenarbeitsschule in Moabit gibt es seit 1951.

Mitte der 90er Jahre kam der gelernte Umwelttechniker und spätere Schulsozialarbeiter Bernd Brunner in den Garten. Eigentlich war der Hobbyimker nur auf der Suche nach einem geeigneten Ort für seine Bienenstöcke. Doch die Gartenarbeit der Kinder und die damit verbundenen Naturerfahrungen faszinierten ihn so sehr, dass er an Ort und Stelle ein Freizeitprogramm für Kinder schuf. Angebote gibt es von Ostern bis Oktober. „Der Garten bietet große Freiheiten für die Kinder“, sagt Brunner. „Sie werden durch einen Zaun geschützt. Deshalb gibt es hier keine Hunde oder Betrunkene. Die Kinder können den Garten uneingeschränkt erforschen.“

Doch auch in diesem scheinbaren Paradies gibt es Streit ums Geld – und zwar nicht das der Kinder. Obwohl der Bezirk Mitte laut Stadträtin Dagmar Hämisch (SPD) die Gartenarbeitsschulen „gerade in Innenstadtbezirken mit einem hohen Anteil sozial benachteiligter Kinder und Jugendlicher“ als „unverzichtbaren pädagogischen Lernort“ sieht, wollte er dem Moabiter Ratschlag 2009 das Geld für das Gartenprojekt streichen. Begründung: Sparmaßnahmen.

Gelder gestrichen

In den Jahren zuvor hatte die Förderung rund 35.000 Euro betragen. „Doch als die Not groß war, haben die Leute Stellung bezogen“, berichtet Bernd Brunner. So hätten Eltern, viele Anwohner und Kinder alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die Freizeitbetreuung zu retten. Sie sammelten Unterschriften und Spenden, schrieben Briefe an die Behörde. Der Kampf hat sich gelohnt: Zumindest zwei Drittel des ursprünglichen Betrages hat der Bezirk jeweils für 2010 und 2011 bewilligt. Was danach passiert, ist offen.

Die jungen Gartenfans genießen derweil den Rest des Tages in kindlicher Unbeschwertheit. In Badeanzügen klettern die Mädchen auf Bäume, während die Jungs der Erzählung eines Betreuers lauschen. Dann tritt die erste Mutter durch das Tor, um ihre Tochter abzuholen. Der letzte Tag einer sehr abwechslungsreichen Woche ist zu Ende. Chris Roos gibt dem Mädchen zum Abschied galant einen Handkuss. Es kichert. Und verspricht, bald wieder dabei zu sein.

■ Kontakt unter www.moabiter-ratschlag.de/schulgarten oder Tel.: 39 08 12 15