Elefant, Eichhörnchen, Esel und Vogel Strauß

RADSPORT Neue Tour bei der Tour de France: Wenn wir nicht über Doping sprechen, gibt es auch kein Doping

PAU taz | Alessandro Petacchi hat etwas von einem Elefanten. Nicht nur weil der Radprofi wie seine Sprintkollegen aufs Ziel zustampft. Der Italiener hat vor allem ein gutes Gedächtnis. Er kann sich noch prima daran erinnern, dass im Jahr 2004 sein Landsmann Stefano Casagranda von der Tour de France ausgeschlossen wurde, weil er in eine Dopingermittlung verstrickt war. Es ging damals um EPO. Obwohl Petacchi selbst 2007 gesperrt war – er hatte zu viel vom Antiasthmamittel Salbutamol im Körper – verfolgte er doch, wie Tourorganisator ASO Druck auf den niederländischen Rennstall Rabobank ausübte, den damaligen Mann in Gelb, Michael Rasmussen, aus dem Rennen zu nehmen. Rasmussen hatte bei seinen Ortsangaben geschwindelt und sich für Dopingkontrollen unauffindbar gemacht. Das reichte für den aufsehenerregenden Rausschmiss des Dänen.

Petacchi ist heute in einer schwierigeren Situation als Rasmussen und in einer vergleichbaren wie Casagranda. Gegen den Profi vom Team Lampre wird in der Heimat Italien gegen Doping ermittelt. Die Staatsanwaltschaft Padua ließ bereits im April sein Haus durchsuchen. Erst jetzt, während der Tour de France, teilte die Nachrichtenagentur Ansa mit Berufung auf Ermittlerkreise mit, dass bei Petacchi Fläschchen des toxischen und deshalb klinisch sehr selten eingesetzten Blutersatzstoffs Perfluorcarbon (PFC) und des Blutverdünners Albumin gefunden wurden.

Beide Substanzen sind als Dopingmittel verboten. PFC hilft, mehr Sauerstoff im Blut zu transportieren. Albumin drückt die festen Bestandteile des Bluts unter den Grenzwert und sorgt für unverdächtige Blutpasskurven. Der Fahrer hat eine Vorladung vor das Gericht für den 28. Juli erhalten. Er ist offiziell in die Liste der Verdächtigen bei der Staatsanwaltschaft eingeschrieben.

Petacchi wehrt sich gegen die Verdächtigungen. „Das sind nicht meine Sachen. Das hat man nicht bei mir gefunden. Ich weiß nicht, warum man mich dessen anklagt“, erzählte er Journalisten. Er ist aber auch schwer in Sorge, ob man ihn die Tour zu Ende fahren lässt. „Es wäre ein harter Schlag für das Team und für meine Kollegen“, sagt er. Petacchi weiß, wie die Organisatoren früher reagierten. Und deshalb befürchtet er den Ausschluss.

Die Tour de France jedoch geht auf Tauchstation. Tourdirektor Christian Prudhomme gibt keinen Kommentar zum Fall des zweifachen Etappensiegers und aussichtsreichen Kandidaten auf das Grüne Trikot des besten Sprinters dieser Rundfahrt ab. Renndirektor Jean-François Pescheux, reagierte, als er von der Tageszeitung Le Monde gefragt wurde, recht unwirsch. „Wir gehen doch nicht bis 1922 zurück. Staatsanwälte gibt es heutzutage überall“, meinte er. Nun, Pescheux hätte nicht bis vor das Datum seiner eigenen Geburt zurückgehen müssen. Eine Zeitreise von drei oder auch sechs Jahren, in der eigenen Geschichte der Rundfahrt, hätten auch gereicht. Aber er spielt hier das Eichhörnchen, das vergessen hat, wo es drei Stunden vorher seine Nüsse fürs Winterlager gebunkert hat.

Denn bei der Tour de France hat ein Klimawandel stattgefunden. Dies deutete sich schon im letzten Jahr an, als der 2005 noch mit medialen Fußtritten aus Frankreich hinausgeprügelte Lance Armstrong – die Sportzeitung L’Equipe veröffentlichte Untersuchungsergebnisse von Urinproben des Amerikaners aus dem Jahr 1999, in denen EPO gefunden worden war – 2009 mit offenen Armen empfangen wurde. Erklärte Dopinggegner der ASO wie Generaldirektor Patrice Clerc wurden entmachtet. Die französische Antidopingagentur AFLD, die 2008 mit erfolgreichen Cera-Tests auf sich aufmerksam gemacht hatte, wurde – in feiner Kumpanei mit dem Radsportverband UCI – an den Katzentisch gedrängt.

Nicht einmal die Pressekommuniques über Blutkontrollen, die früher an den Ruhetagen ausgegeben wurden und als Instrument der Transparenz gepriesen wurden, werden heute ausgegeben. Das Buhwort Doping soll möglichst nicht mehr artikuliert werden, so lautet die neue Strategie. Die Tour de France ist jetzt wieder auf die alte Vogel-Strauß-Methode verfallen: Kopf reingerammt in den Sand. Wenn man vom Doping nicht spricht und das Doping nicht sieht, vielleicht existiert es dann ja auch gar nicht. Ein Esel hingegen ist, wer das mitmacht. TOM MUSTROPH