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Archiv-Artikel

Nackte Statistik genügt nicht

JUSTIZ Bundesarbeitsgericht erschwert Anti-Diskriminierungs-Klagen in Unternehmen mit männlich dominierter Führung. Berliner Urteil im Gema-Fall wurde aufgehoben

Neben Statistik müssen andere Indizien für Diskriminierung betrachtet werden

AUS ERFURT CHRISTIAN RATH

Wenn in einem Unternehmen alle Führungspositionen mit Männern besetzt sind, ist das allein noch kein Indiz, dass diese Firma Frauen diskriminiert. Dies hat am Donnerstag das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden und stattdessen eine „Gesamtschau“ aller Indizien gefordert.

Geklagt hatte die Betriebswirtin Silke Kühne, die bei der Musik-Verwertungsgesellschaft Gema arbeitet. In der Berliner Gema-Niederlassung leitet die 49-Jährige die Personalabteilung. Gerne wäre sie 2006 auch Personalchefin des Gesamtunternehmens geworden. Doch ohne Ausschreibung wurde plötzlich ein Kollege ernannt, der zwar eine vergleichbare Position wie Kühne innehatte, aber noch nicht so lange bei der Gema arbeitete. Sie fühlte sich diskriminiert. Aufgrund ihrer Tätigkeit kannte Kühne die Personalstruktur der Gema sehr gut. Sie wusste, dass alle 27 Direktorenposten bei der Gema mit Männern besetzt waren – und das, obwohl zwei Drittel der Beschäftigten weiblich sind. Zur Sicherheit beauftragte sie aber noch einen Mathematiker. Er sollte herausfinden, ob es Zufall sein kann, dass nur Männer in der Führungsebene der Gema arbeiten. Seine Antwort: Zu 98,7 Prozent ist dies kein Zufall.

Da entschloss Kühne sich, zu klagen, und berief sich auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das im Arbeitsleben unter anderem die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts verbietet. In der zweiten Instanz beim Landesarbeitsgericht hatte sie 2008 mit der Klage auch Erfolg. Die Richter sahen in der rein männlich besetzten Führungsschicht ein ausreichendes Indiz dafür, dass auch Silke Kühne diskriminiert wurde. Nach dem AGG änderte sich nun die Beweislast und die Gema musste beweisen, dass es sachliche Gründe für die Einstellung des Mannes gab. Da es aber gar kein ordentliches Beförderungsverfahren gab, hatte die Gema keine Chance für einen Entlastungsbeweis und wurde verurteilt.

Das Urteil der Berliner Richter war happig: Die Gema müsse Kühne wegen der diskriminierenden Nichtbeförderung jeden Monat 1.400 Euro Gehaltsdifferenz bezahlen. Arbeitsrechtler sprachen von einem Durchbruch im Antidiskriminierungsrecht. Die Gema ging jedoch in Revision zum Bundesarbeitsgericht. „Nur eine „aussagekräftige“ Statistik könne Hinweise auf Diskriminierung geben, kritisierte Gema-Anwalt Burkard Göpfert. Deshalb hätte bei jedem der 27 Führungsposten genau untersucht werden müssen, ob auch eine Frau in Frage gekommen wäre und warum der Mann den Vorzug erhielt.

Das Bundesarbeitsgericht gab der Revision statt und hob das Berliner Urteil wieder auf. „Eine nackte Statistik genügt nicht“, sagte der Vorsitzende Richter Friedrich Hauck. Es könne ja theoretisch sein, dass es früher nie weibliche Bewerber gab. Das BAG stellte nun aber keine Mindestanforderungen für komplizierte soziostatistische Gutachten auf, sondern fordert einfach eine „Gesamtschau“ der Situation. Neben der Statistik müssten auch andere Indizien für eine Diskriminierung betrachtet werden.

„Damit können wir leben“, sagte Hans-Georg Kluge, der Anwalt von Silke Kühne, „wir haben ja genügend Indizien benannt, die das Landesarbeitsgericht aber gar nicht aufgegriffen hat.“

Jetzt muss das Berliner Landesarbeitsgericht erneut über den Fall entscheiden.