die taz vor 18 jahren über musik zur verbrechensbekämpfung und jesuslatschen :
Die bislang in der Londoner U-Bahn erbarmungslos von der Polizei verfolgten Musikanten sollen bald selbst zu Hütern des Gesetzes aufsteigen. Gegen die zunehmende Kriminalität in den unterirdischen Gängen und Hallen will sich die Bahnpolizei die Gegenwart der Musiker zunutze machen: „Etwa 100 Musiker an strategisch wichtigen Punkten könnten von unschätzbarem Wert für die Abschreckung sein.“
Zwar mutet ein einsamer Blockflötist als Abschreckungswaffe etwas harmlos an, um einen Hooligan vom Handtaschenraub abzuhalten, und die Münzen im Gitarrenkasten eines Dylan-Imitators könnten einen bargeldlosen Junkie zum kriminellen Akt gar noch animieren, doch grundsätzlich geht die Idee der britischen Ordnungshüter in die richtige Richtung. Gewiß wird der notorische Raufbruder nicht von einem fröhlichen Liedchen bekehrt, aber wo der Knüppel immer mehr (statt weniger) Kriminelle produziert, da entspannt Musik erst mal die Lage. Das ist schon mal was.
Mit dem Gedankengut und der Hau-Drauf-Taktik des 19. Jahrhunderts läßt sich eine Kulturstadt des 3. Jahrtausends nicht organisieren. Man stelle sich dagegen die Volksfeststimmung vor, wenn die Weltbank tagt und der Polizeichor Berlin (unterstützt durch mobile Eingreif-Sänger aus dem Bundesgebiet) durch die Oranienstraße zieht und a capella Lalü Lala singt …
Das „Ende der Alternativen“, von trendbewußten Modeartiklern längst haarklein beschrieben, bahnt sich definitiv seit letzter Woche an. Helmut Kohl hat sich ein paar neue Sandalen zugelegt. Von 1976 bis dato trug der Regierende, wie Bild im Foto festhält, „Jesuslatschen“ – ein aufschlußreiches Indiz. Woran liegt es nur, daß Ideen und Innovationen bei Kohl immer viel zu spät und dann auch nur als Schuhwerk ankommen?
Mathias Bröckers, 15. 7. 1988