Ein Stück Metapropaganda

MÄRCHEN Ein Hörspiel (23.05 Uhr, WDR 3) erzählt von der Filmliebe des nordkoreanischen Exdiktators

Regisseur Shin Sang-ok wurde nach Nordkorea entführt, um die Filmindustrie aufs Niveau zu bringen

Eine Lesart der japanischen Riesenmonsterfilme, der „Kaiju Eiga“, besagt, dass es sich bei Godzilla und Co. um Allegorien der Nuklearschläge gegen Japan handelt, um die Konkretion einer nicht eindämmbaren Macht, die das Land in Schutt und Asche zu legen droht. Das Militär schaut dem meist hilflos zu, oft sind es blanke Zufälle, die Schlimmstes verhindern.

Für Propagandazwecke, zur agitatorischen Einschwörung auf neue, große Taten, bietet sich diese recht offene Artikulation eines Traumas und einer verheerenden historischen Niederlage weder ersten, noch zweiten Blickes an. Und doch ließ es sich der 2011 verstorbene, nordkoreanische Diktator Kim Jong Il – im Nebenberuf, stets hervorgehobenes Kuriosum, passionierter Filmliebhaber und Autor filmtheoretischer Werke, wenngleich mindersten Rangs – nicht nehmen, in den Achtzigern eine nordkoreanische Kaiju-Variante anfertigen zu lassen: „Pulgasari“, ein insbesondere im Pre-YouTube-Zeitalter unter Trash-Fans alleine schon wegen seines historischen Status legendärer Film, dessen Hintergrundgeschichte ihn nur noch kurioser macht: Regisseur Shin Sang-ok wurde 1978 von Kim Jong Il nach Nordkorea entführt, um dort die Filmindustrie aufs Niveau zu bringen. Erst 1986 gelang ihm beim Filmfestival in Wien die Flucht in die US-amerikanische Botschaft.

Eine Geschichte, wie gemacht für den Undergroundfilm-Regisseur und Godzilla-Experten Jörg Buttgereit, der sich bereits in vielen Dokumentarfilmen, Büchern und Radiohörspielen mit den japanischen Riesenmonster befasste, zuletzt in der WDR-Produktion „Die Bestie von Fukushima“, einer Aktualisierung des Kaiju-Mythos unter den Eindrücken des Reaktorunglücks von 2011.

Der Titel seines neuen Doku-Fiction-Hörspiels „Das Märchen vom unglaublichen Super-Kim aus Pjöngjang“ ist ernst zu nehmen: „Es war einmal“ sind die ersten Worte, es folgt die Geschichte eines infantilen Narziss’, dem sein kommunistisches Königreich zugleich Paradies und Sandkasten ist, der seiner Bevölkerung die von ihm geliebten „James Bond“- und „Rambo“-Filme niemals zeigen würde und der sich für den Kampf gegen den Imperialismus nichts mehr herbeisehnt als eine stählerne Filmindustrie, die den Feind in Grund und Boden stampft. Angesichts von Plastikpuppen-Trash wie „Pulgasari“ klafft die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit ganz besonders weit auf.

Die Form des Märchens ist klug gewählt: Ganz buchstäblich gibt es da eine Erzählerin und zwei naseweise, wikipedia-affine Kinder, alle drei von der bewundernswert wandlungsfähigen Cathlen Gawlich gesprochen. Über Wesen und Zweck des Propagandafilms in einem Märchen zu reflektieren und den ernsten Untertönen in einem kindlichen Bettkanten-Setting nachzuspüren, ist erstaunlich effektiv. Nicht zuletzt infantilisieren auch Propagandafilme als böse Märchen ihr Publikum. Buttgereits Hörspiel versteht sich da auch selbst gewissermaßen als ein Stück Meta-Propaganda.

Die Geschichte vom König, der sich die Welt mittels des Kinos Untertan machen will, erzählt Buttgereit als eine Art Umkehrung des Godzilla-Stoffs: Steht das Monster darin noch für die Abstraktionsleistung des Kinos, das den realen Nuklearschlag im ästhetischen Reich aufhebt, steht am Ende von „Super-Kim“ der sehr konkrete Griff nach der Atombombe. Wenn am Ende ein Weltenbrand tost, dem ganz neue Monster entspringen könnten, merkt man, wie akut das Hörspiel unter den Eindrücken der fast schon wieder vergessenen Nordkorea-Krise vor etwa einem Jahr entstand. War auch diese nur Propaganda? Und wer erzählte hier wem etwas? Godzilla jedenfalls ist realer als man denkt. THOMAS GROH