: „Wir sind wieder im Kalten Krieg“
Russland wird in den USA immer kritischer gesehen. Doch man braucht Moskau als Verbündeten gegen Iran, Irak und Nordkorea
AUS WASHINGTON ADRIENNE WOLTERSDORF
„Hoffentlich kriegen wir es diesmal hin.“ So hatte US-Präsident George W. Bush seine Erwartungen an den G-8-Gipfel und die Verhandlungen über den WTO-Beitritt Russlands zu Wochenbeginn formuliert. Ein Handschlag, das wäre wenigstens ein Schritt in den unterkühlten Beziehungen der beiden Staaten. Die Meinungsverschiedenheiten in wichtigen Liberalisierungsfragen, von Flugtarifen über Bankgesetze und Musikpiraterie bis hin zu Handelsregularien für tiefgekühlte Hähnchen, sind gewaltig. Gar nicht zu reden von Washingtons wachsendem Misstrauen gegen Wladimir Putins Regierungsstil. Sein Umgang mit Kritik im eigenen Land sorgt auf dem Capitol Hill keineswegs für steigende Sympathiewerte.
Die Beziehungen zwischen Russland und den USA sind, 15 Jahre nach dem Kollaps der Sowjetunion, so schlecht wie zum Ende des Kalten Krieges, ist sich James Goldgeier, ehemaliger Direktor für Russland-Angelegenheiten des Nationalen Sicherheitsrates unter Präsident Bill Clinton, sicher.
Noch düsterer sieht es eine überparteiliche Russland-Kommission unter Leitung des ehemaligen US-Senators und Vizepräsidentschaftskandidaten der Demokraten von 2004, John Edwards. Die Kommission kam im März dieses Jahres zu dem Schluss, dass die Beziehungen sogar gänzlich in die falsche Richtung laufen. „Streit überwiegt Konsens, sodass eine ‚strategische Partnerschaft‘ einfach nicht mehr realistisch“ sei, schließt ihr Bericht. Den Schuldigen haben die Kommissionsmitglieder auch gleich ausgemacht: Wladimir Putin.
Das Weiße Haus betreibt freilich längst die Politik, die die Kommission nun empfiehlt: selektive Kooperation. So wird zwar bei der Terrorbekämpfung zusammengearbeitet. Hingegen macht die USA bei vitalen Interessen wie militärischen Basen in der Region und Energiesicherheit einen im wörtlichen Sinne großen Bogen um Russland.
Neue Pipelines, die Russland umgehen, „würden den Markt besser funktionieren lassen“ und die Energiesicherheit „verstärken“, sagen die Sprecher in Washington. Der Kreml versucht umgekehrt seit geraumer Zeit, Gas produzierende Staaten in Zentralasien und Konsumenten in Europa stärker in sein Pipelinenetz zu integrieren.
Die russische Öl- und Gasindustrie aber repräsentiert in den Augen des Westens all das, was Europäern und Amerikanern Kopfschmerzen bereitet. Nämlich Autokratie, Staatswirtschaft und intransparenten Wettbewerb für ausländische Unternehmen. „Wenn Ressourcen Werkzeuge zur Einschüchterung und Erpressung werden, ist keinem legitimen Interesse mehr gedient“, ätzte etwa US-Vizepräsident Dick Cheney während seines Besuchs in Litauen im Mai in Richtung der Russen.
Dass umgekehrt die USA eine ähnliche Zuckerbrot-und-Peitsche-Methode in den 90er-Jahren gegenüber Russland anwandten, hat Washington längst vergessen. Damals brach zunächst Präsident Bill Clinton bedenkenlos das Versprechen, die Nato um keinen Millimeter nach Osten hin auszudehnen. Heute versuchen die USA, in nahezu allen Anrainerstaaten Russlands Nato-Partner zu werben oder Militärbasen zu etablieren. Außenministerin Condoleeza Rice nennt die Region denn auch schamlos eine „natürliche Interessensphäre“ der USA.
So tief sind die Gräben bereits, dass Zweifler wie Goldgeier vermuten, dass beim G-8-Gipfel nichts herauskommen wird. Das Grundproblem dabei sei, dass der Westen und Russland unter „Energiesicherheit“ jeweils etwas anderes verstehen. Während es für Amerikaner und Europäer Diversifizierung der Anbieter bedeute, um die Abhängigkeiten zu verringern, verstehe Russland unter Energiesicherheit loyale Abnehmer, die nicht anderswo einkaufen gehen.
Dass Washington jedoch stets schweigt, wenn es um die Menschenrechtslage in Russland geht, dafür gibt es eine einfache Erklärung: Die USA brauchen im Umgang mit dem Irak, dem Iran und Nordkorea Putins Unterstützung. Aber dieser ist keineswegs bereit, die Sanktionswünsche des Westens zu unterstützen. „Wir sind längst wieder mitten im Kalten Krieg“, schrieb die linksliberale US-Wochenzeitung The Nation kürzlich. Nur dass es dieses Mal auf beiden Seiten niemanden mehr gebe, der zu Besonnenheit und Entspannung mahne.