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Archiv-Artikel

Manuela Schwesigs offene Personalie

TEIL 2 Was ist aus der Debatte über sexuelle Gewalt an Kindern geworden? Die Stelle des Missbrauchsbeauftragten ist bis März gesichert. Was danach geschieht, ist noch unklar

BERLIN taz | Als Johannes-Wilheim Rörig im November des letzten Jahres den Koalitionsvertrag der neuen schwarz-roten Regierung las, war er enttäuscht. „Die Tätigkeit des Unabhängigen Beauftragten für die Fragen der sexuellen Gewalt gegen Kinder und Jugendliche wird gesichert.“ Was heißt das, fragte er sich: Die Tätigkeit wird gesichert? Was wird aus der Stelle?

Schon bald nach seinem Amtsantritt im Dezember 2011 hatte der „Missbrauchsbeauftragte“ gefordert, die Stelle gesetzlich zu verankern. So wie die der Datenschutz-, Drogen-, Behinderten-, Patienten- und Menschenrechtsbeauftragten. Diese hat die Große Koalition mittlerweile alle benannt. Rörigs Stelle ist bis Ende 2013 formal gesichert, das Amt läuft 2014 aus. Was danach geschieht mit all den Fragen um die sexualisierte Gewalt an Kindern, ist völlig unklar. Trotzdem klingt Rörig inzwischen etwas milder als in den Tagen der Regierungsbildung. Bei der jetzigen Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) fühle er sich „gut aufgehoben“, sagt Rörig im taz-Gespräch: „Ich nehme positive Klimaveränderungen im Vergleich zur vergangenen Legislaturperiode wahr.“

Schwesig setzte in den vergangenen Wochen allerlei Themen: So will sie das Elterngeld „rasch“ zum sogenannten Elterngeld Plus ausweiten und noch in diesem Jahr einen Gesetzentwurf für eine Frauenquote vorlegen. Sie hatte eine Idee für eine 32-Stunden-Woche für berufstätige Eltern. Kein Wort zur „Missbrauchs“-Stelle, die in ihrem Hause angesiedelt ist. Rörig verteidigt die Ministerin. Sie sei ja nicht allein, sagt er, da gäbe es vor allem die gesamte Bundesregierung: „Sie kann jetzt aktiv zeigen, dass das Thema Missbrauch nicht nur in den Sonntagsreden eine Rolle spielt.“

Seit das Canisius-Kolleg in Berlin vor vier Jahren massenhafte Missbrauchsfälle in dieser katholischen Schule öffentlich machte, ist das Problem stärker als je zuvor im gesellschaftlichen Bewusstsein angekommen. Rund 5.000 Briefe von Betroffenen haben den Missbrauchsbeauftragten und seine Amtsvorgängerin, die frühere Frauenministerin Christine Bergmann (SPD), seitdem erreicht. Die Telefonhotline nutzten etwa 18.000 durch sexuelle Gewalt geschädigter Frauen und Männer. Die Zahl der angezeigten Fälle indes ist mit 12.500 jedes Jahr so hoch wie zuvor. Bewirken Aufklärung, Prävention und öffentliche Debatten nichts? Rörig sagt: „Es gibt konstant hohe Fallzahlen, vielleicht aber nur mehr Anzeigen als früher.“

Rörig trägt einen langen Forderungskatalog in die Verhandlungen mit Ministerin Schwesig. Vor allem die Betroffenen hat er im Blick: Die sollten nicht nur angemessen entschädigt werden und alle nötigen Therapien erhalten. Einige sollten auch als Experten in einer Kommission zur Aufarbeitung der Missbrauchsfälle mitarbeiten. Wie konnte es zu den massenhaften Übergriffen kommen? Welche Strukturen begünstigen sie? Und wie kann die „Kombination aus Ahnungslosigkeit, Ignoranz und innerer Abwehr“, die nach wie vor viele Menschen wegschauen lässt, durchbrochen werden?

Schnelle Ergebnisse seien allerdings nicht zu erwarten, sagt Rörig. Er rechne damit, dass in den kommenden fünf bis zehn Jahren fundierte Fakten vorliegen. „Jetzt sollten die richtigen politischen Schlussforderungen gezogen werden“, sagt Rörig: „Wird die Chance jetzt nicht genutzt, laufen wir Gefahr, dass das große Engagement, das die Akteure gegen Missbrauch aufgebaut haben, wieder zum Erliegen kommt..“ SIMONE SCHMOLLACK