: „Ich dränge mich nicht vor“
Barbara Oesterheld
Auf ihrem Marsch durch die Institutionen landete sie bei den Sozialdemokraten. Barbara Oesterheld blieb, bis ihr „die SPD-Denke“ endgültig zu eingeschränkt war. Diese habe zu viele Scheuklappen: „Wenn ich nur in eine Richtung sehe, dann schneide ich mich von anderen Realitäten ab. Mir ist aber wichtig, alles einzubeziehen, was es gibt. Ob es mir passt oder nicht.“ Später ging sie zu den Kreuzberger Grünen. Für die saß sie elf Jahre im Abgeordnetenhaus, hat gar als Erste ein grünes Direktmandat geholt. Nun tritt die 55-jährige gebürtige Berlinerin nicht mehr an. Stattdessen will sie nach neuen Politikformen Ausschau halten.
INTERVIEW WALTRAUD SCHWAB
taz: Frau Oesterheld, ist Politik beliebig geworden?
Barbara Oesterheld: Heute gehen weniger Leute in die Politik, weil sie für eine Sache brennen. Viele sehen eher einen Job darin. Auch bei uns Grünen. Je schlechter die Situation auf dem Arbeitsmarkt, desto deutlicher wird das. Wenn ich aber um den Joberhalt kämpfe, dann werden politische Inhalte schneller beliebig.
Treten Sie deshalb nach elf Jahren im Abgeordnetenhaus nicht mehr an?
Ja. Aber auch, weil Politik sich immer mehr zum Showgeschäft entwickelt. Man muss etwas als besonders hip verkaufen, sich toll darstellen, Party machen. Inhalte bleiben auf der Strecke.
Sie gelten nicht als Showstar.
Ich sehe mich als jemand, der eine inhaltliche Position hat, die es in der Politik durchzusetzen gilt. Als Person dränge ich mich nicht vor – schon gar nicht mit schnellen Statements in den Zeitungen. Das wirft man mir auch vor nach dem Motto: Du machst zu wenig Presseerklärungen. Dein Name taucht zu wenig auf. Mir ist aber wichtiger, dass mich die Leute kennen, weil ich viel für sie gemacht habe. Genau das scheint für die Medien nicht mehr relevant. Sie wollen Skandale. Gut aussehen soll man dazu auch noch.
Ist das eine Kritik an den Medien oder an den Politikern? Letztere müssten die ernsthafte Auseinandersetzung mit ihren Themen doch einfordern und sich nicht für schnelle Statements hergeben.
Natürlich gibt es immer noch Leute, die das versuchen. Die Frage ist: Wird dies auch so vermittelt. Oder gilt schon das Gegenteil: Dass die Medien irgendwelche schnellen Reaktionen bei den Politikern abrufen, die dann deren Handeln bestimmen?
Ein Beispiel?
Mir fällt gerade die Rasseliste ein. Ein Kind wird von einem Hund gebissen und die Medien schreien: Rasseliste. Alle Politiker, die nicht in den Chor einstimmen, sind unmenschlich. Da ist es dann egal, dass wir zuvor viele Anhörungen zu Rasselisten gemacht haben und zu dem Schluss kamen, dass die unsinnig sind. Besser wäre es, wenn Hundeführerscheine für Hundehalter Pflicht wären. Das Wechselspiel zwischen Politik und Medien hat sich verändert. Wer in Fällen wie der Rasseliste das Sagen hat, ist nicht mehr klar.
Sie machen da nicht mit. Ist Ihr Rückzug demnach auch als ein Scheitern zu verstehen?
Ich sehe selbst genau, wo ich erfolgreich war. Ich habe aber auch festgestellt, welche Grenzen ich als Abgeordnete, noch dazu in der Opposition, habe und dass andere Aktions- und Politikformen – Bürgerbegehren, Basisopposition – an der einen oder anderen Stelle erfolgreicher sein können.
Für welche Themen haben Sie als Politikerin gebrannt?
Meine Hauptanliegen sind Mietschutz und Wohnungsbauförderung. Mein Ansatz war: Wenn der Staat Geld für Förderungen gibt, dann müssen breite Kreise davon profitieren und nicht nur Investoren. Als einen meiner größeren Erfolge werte ich in dem Zusammenhang, dass wir neue Genossenschaftsrichtlinien durchsetzen konnten. Diese ganze Ideologie von Eigentumsbildung – Wohneigentum, Hauseigentum –, das kann doch in Berlin aufgrund des niedrigen Einkommensniveaus keine großen Kreise ziehen. Darum muss man viel mehr auf Genossenschaften setzen, um eine fairere Verteilung öffentlicher Ressourcen zu erreichen. An diesem Thema habe ich lange gebaggert.
Sie engagieren sich leidenschaftlich für solche Gerechtigkeitsthemen. Hat das biografische Gründe? Sie sind die Jüngste von vier Kindern. Ihre Mutter musste Sie alleine durchbringen, und das in den 50er-Jahren. Spielt so was eine Rolle?
Ich denke, daher kommt das. Ich komme nicht klar mit diesem Begriff sozial schwach. Eigentlich ist finanzschwach gemeint. Das muss man genau unterscheiden. Sozial schwach sind für mich die Villenbesitzer in Zehlendorf, die dank Abschreibungen oder sonstigen Vergünstigungen keine Steuern bezahlen. Die sich an der Gemeinschaft nicht beteiligen, obwohl sie davon am meisten profitieren. In Kreuzberg werden mehr Steuern bezahlt als in Zehlendorf. Das ist doch absurd.
Sozial schwach ist aus Ihrer Sicht also moralisch schwach?
Eher als finanzschwach. Eine Familie mit mehreren Kindern mag finanzschwach sein. Sie aber sogleich auch mit sozial schwach in Verbindung zu bringen, ist falsch. Da bin ich sehr empfindlich.
Ist das ein linker Denkansatz?
Ich hoffe es.
Da drängt sich die Frage auf: Tauchen linke Ansätze in der Politik der Grünen noch auf?
Bei den Berliner Grünen würde ich sagen: Ja, es passiert noch, dass linke Politik gemacht wird. Bei den Bundesgrünen bin ich wesentlich zurückhaltender. Obwohl die manchmal auch gute Ideen haben. Wobei fraglich ist, ob das links ist. Es kann auch ökologisch sein.
Ist linke Politik gerechte Politik?
Ich möchte, dass es das ist.
Gerecht im Sinne von wie?
Sozial. Keine eindeutige Bevorzugung bestimmter Bevölkerungsgruppen durch den Staat. Was ja üblich ist, sei es durch Förderungen, sei es durch Steuern, siehe Gesundheitsreform.
Kehren Sie dem Abgeordnetenhaus den Rücken, um wieder ein Forum zu finden, wo diese Art von Politik, die Sie favorisieren, gemacht werden kann?
Ich könnte mir vorstellen, in den Landesvorstand zu gehen, um die Partei wieder zu dem zu machen, was sie sein sollte. Die Partei ist eigentlich das Wichtigere im Vergleich zur Abgeordnetenhausfraktion. Die Partei muss Entscheidungen vorgeben. Im Moment ist es umgekehrt. Derzeit geben die Abgeordneten die Entscheidungen vor und die Partei reagiert. Ich möchte die Berliner Grünen wieder zu diesem interessanten Ort machen, wo Realität analysiert und Visionen entwickelt werden, auch über die letzten Haushaltsbeschlüsse hinaus.
Ist Politik so oder so also Ihr Leben?
Ich habe das Bedürfnis, zu verändern. Das kommt von der Auseinandersetzung mit der Generation meiner Eltern. Mit Faschismus, Zweitem Weltkrieg, mit allem Unrecht. Daraus wuchs die Erkenntnis, dass man sich einmischen muss, wenn man was verändern will. Man kann nicht darauf warten, dass andere das tun.
Gut, aber zwangsläufig ist es nicht, dass jemand so mit Leib und Seele ins Verändern einsteigt. Wollten Sie nicht mal Kinder großziehen oder so etwas?
Mir wurde irgendwann klar, dass ich nur so intensiv in die Politik gehen kann, weil ich keine Kinder habe. Für mich ist das Private politisch und Politik privat.
Wenn das so ist, wäre es spannend, mehr von Ihnen zu erfahren. Sie haben Schweres erlebt im Laufe der letzten Legislaturperiode. Ihr Lebensgefährte ist verstorben, dazu kam bei Ihnen die Diagnose Brustkrebs. Wie geht man damit um? Wie arbeitet man sich aus diesen Tiefen heraus? Wie beeinflusst dies das politische Handeln?
Der Tod des Lebenspartners ist schon sehr einschneidend. Man spürt, wie schnell das Leben zu Ende sein kann. Man stellt die Sinnfrage. Man fragt sich, warum gerade er? Warum musste er mit 50 sterben? Auch hast du keinen Partner mehr, mit dem du über das reden kannst, was dir wichtig ist. Und was ich schon überlege: Welche Möglichkeiten habe ich, unsere gemeinsamen Ziele fortzusetzen?
Sie denken daran, zurück an die grüne Basis zu gehen. Dort war Ihr Lebensgefährte verortet. Meinen Sie das?
Ja, das ist schon möglich. – Und wenn Sie Brustkrebs ansprechen: Ich habe das durchgezogen, die Chemotherapie gemacht, und sobald ich wieder auf den Beinen stand, weitergearbeitet. Das war mein Weg, wieder gesund zu werden.
Haben Sie angesichts solcher Erfahrungen das Gefühl, die wichtigsten Jahre Ihres Lebens mit nutzlosen Debatten im Abgeordnetenhaus verschwendet zu haben?
Es war richtig, das eine Zeit lang zu machen. Die letzte Legislaturperiode habe ich mich vorwiegend mit dem Bankenskandal beschäftigt. Ich glaube, es war notwendig, so tief reinzugehen, um nachweisen zu können, wer da für was die Verantwortung zu übernehmen hat. Verantwortung übrigens, die sie alle bis heute von sich weisen. Da stellt sich mir schon die generelle Frage: Was ist eigentlich mit der Elite in Deutschland los? Inwiefern gibt es in den gut verdienenden Kreisen unserer Gesellschaft überhaupt ein Gefühl von Verantwortung?
Müssen die sich überhaupt verantworten?
Ich finde ja. Wenn sie Verantwortung nicht übernehmen wollen, aber Nutznießer der gesellschaftlichen Entscheidungen sind, dann muss man dies öffentlich anprangern. So was hinzukriegen, ist meine Absicht. Da, wo das Wirtschaftsstrafrecht solche ungerechten Strukturen schützt, muss was getan werden. Im Bankenskandal habe ich mitgekriegt, dass manche Aufsichtsräte sehr sensibel reagieren, wenn ich offen gelegt habe, wer zu welchen untragbaren Verhalten nichts gesagt, wer nicht aufgepasst hat.
Wissen Sie Dinge, die andere nicht wissen
Ja. Etwa was personelle Verflechtungen angeht. In der Berliner Society fällt man immer wieder über diese Leute. Mir geht es darum, offen zu machen, welche Verantwortung jeder Einzelne von ihnen hat.
Das klingt ein wenig wie nach der Beate Klarsfeld des Berliner Bankenskandals.
So extrem nicht, obwohl auch ich Verantwortung einfordere. Als Erstes habe ich gerade ein Extrablatt zum Untersuchungsausschuss herausgegeben. Darin sind alle Namen der Bankenvorstände und der Aufsichtsräte aufgeführt. Da steht es schwarz auf weiß: Nicht irgendjemand war es, sondern diese Personen waren es.
Sind Sie persönlich gefährdet, wenn Sie an deren guten Ruf kratzen?
Sie finden es nicht sympathisch. Aber es könnte auch sein, dass sie sich in Zukunft anders verhalten. Es ist doch unglaublich, dass Leute mit so einem Hintergrund wie selbstverständlich den nächsten Job antreten. Oder dass Anwaltskanzleien und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, die im Zusammenhang mit der Bank hundsmiserabel gearbeitet und Berlin dadurch Schaden zugefügt haben, weiterhin Aufträge vom Land bekommen. So was muss verhindert werden. Das tut denen weh. Aber so kann man eher erreichen, dass die Arbeit dieser Leute anders wird
Glauben Sie nicht, dass man versuchen wird, diese Offenlegungen zu verhindern. Etwa, indem man Sie versucht einzukaufen?
Mich einkaufen? Das dürfte sehr schwer sein.