: Große Sause vor bröckelnder Fassade
FUSSBALL Pünktlich zum 150. Geburtstag befindet sich der TSV 1860 München im sportlichen und wirtschaftlichen Sinkflug. Trotzdem träumen die Fans tapfer vom Aufstieg und der Vorstand sogar von einem eigenen Stadion
Vize-Präsident Franz Maget
AUS MÜNCHEN SEBASTIAN KEMNITZER
Der FC Bayern München hat natürlich auch den Wettergott auf seiner Seite. Monatelang fieberten die Fans des TSV 1860 München dem Spiel zum 150. Geburtstag ihres Klubs entgegen. Die Borussia aus Dortmund, auch ein Traditionsverein, hatte sich angekündigt, die Sause sollte im geliebten Stadion an der Grünwalder Straße steigen. Und dann das: Nach gefühlten 87 Tagen mit perfektem Biergartenwetter öffnete der Himmel pünktlich zum Jubiläum seine Schleusen. Doch Löwen-Fans lassen sich so leicht nicht verschrecken. Knapp 13.000 von ihnen fanden am Samstag den Weg in die alte Spielstätte. Die ist eine Antithese zu all den schicken Multifunktionsarenen im Land: Die Fassade bröckelt, an den Holzwänden der Stehtribünen ranken Pflanzen. Ein symbolisches Bild: 1860 München befindet sich im permanenten Dauerkrisensinkflug.
Die letzten Monate ging alles schief, was der Verein anpackte. Im März lehnte der Stadtrat endgültig Pläne ab, die einen Umbau des Grünwalder Stadions vorsahen. Im Mai beendeten die Löwen wieder mal eine Na-ja-Saison in der 2. Bundesliga: 14 Siege gab es, allerdings auch 14 Niederlagen. Meist waren diese unnötig, meist gegen Teams aus dem unteren Tabellendrittel. In der Endabrechnung macht das Platz acht. Im Juni strich dann Chefcoach Ewald Lienen die Segel, um in die Sonne, zum Verein Olympiakos Piräus in Griechenland zu wechseln. Im Juli, genauer gesagt am 15. Juli, ging dann auch noch der Lotse des Vereins, Geschäftsführer Manfred Stoffers. Einen Tag zuvor hatten die Löwen vor dem Landgericht München im Cateringprozess gegen den FC Bayern den Kürzeren gezogen. Der klamme Klub muss nun strittige Bewirtungskosten von 542.344 Euro plus Zinsen und Prozesskosten nachzahlen. Statt eines erhofften Millionen-Plus der nächste Tiefschlag für den gebeutelten Verein – viele fürchten nun den finanziellen K. o.
Von der Krise ist beim Spiel gegen Dortmund – trotz der meteorologischen Weltuntergangsstimmung – wenig zu spüren. Eine perfekte Choreografie begeistert das Publikum. Ein riesiger Löwe schwebt über die Stehränge. Die gesamte Westtribüne, hier stehen die Treuesten der Treuen, ist in die Jubiläumsfarben Grün und Gold getaucht. In großen Lettern steht geschrieben: „Geburtstage sind Wegweiser auf den Weg in die Ewigkeit.“ Gänsehautkulisse für die Profis, die sonst in einer leeren Betonschüssel namens „Allianz Arena“ ihre Heimspiele austragen.
Die Löwen und die Arena, diese Problematik muss der Verein lösen, wenn er überleben will. Anfangs, 2002, strahlten der damalige Präsident Karl-Heinz Wildmoser und Bayern-Manager Uli Hoeneß bei der Grundsteinlegung um die Wette. Nur vier Jahre später mussten die Löwen ihre Anteile am Stadion verkaufen, um eine Insolvenz zu vermeiden. Jedes Jahr machen sie wegen der Arena drei Millionen Miese zusätzlich. Nachdem die Idee einer Rückkehr ins Grünwalder Stadion endgültig begraben werden musste, existieren aktuell nur noch zwei Varianten: Die eine ist der Aufstieg in die erste Liga, um dort oben die ungeliebte, weil im Besitz des Stadtrivalen befindliche Arena regelmäßig mit Fans zu füllen. Die andere ist im fast noch ungeliebteren Olympiastadion zu spielen.
Da träumen die Fans lieber jede Saison aufs Neue vom Aufstieg. Unterstützung erhalten sie dabei von einem stets schnell rotierenden Spielerkarussell. Aktuell stehen sieben Neuzugänge fest. Elf Spieler allerdings, darunter Leistungsträger wie José Holebas oder das Riesentalent Peniel Mlapa haben den Verein verlassen. Trotzdem macht die Mischung der Mannschaft Mut. Erfahrene Spieler wie Benjamin Lauth und Gabor Kiraly sollen die neuen, jungen Wilden führen, die 1860 aus der eigenen Jugend hervorzaubert. Gegen den BVB durfte der 17-jährige Kevin Volland an der Seite von Lauth ackern. Der neue Trainer Reiner Maurer sprach anschließend von einem „guten Einstand“.
Eine der wenigen Konstanten bei 1860 ist Franz Maget. Der SPD-Landtagsabgeordnete fungiert seit drei Jahren als Vizepräsident. Maget kann reden, vermitteln und trotz scheinbarer Trostlosigkeit auf allen Ebenen auch noch träumen. „Wir gehören einfach in die erste Liga“, so Maget gegenüber der taz. „Wahnsinn wäre wirklich ein eigenes Stadion. Leider ist das kein Wunschkonzert.“ Hoffnung schöpft der Politiker aktuell aus dem Beispiel FC St. Pauli, der vorgemacht hat, wie der kleinere Verein in einer Großstadt es trotzdem ganz nach oben, also in die erste Bundesliga schaffen kann: „Wir sind auch eine Marke, wir Löwen sind Kult.“
An diesem Kult arbeiteten die Löwen auch gegen Dortmund. Sie rannten, kämpften und führten mit 1:0. Eine La-Ola-Welle schwappte in der 80. Minute über die bröckelnden Ränge. Doch dann fiel der Ausgleich. Fast hätten die Löwen noch das Spiel verloren. Neunzig Minuten, die symptomatisch waren für 150 Jahre Vereinsgeschichte.