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Archiv-Artikel

Drei Seiten der Medaille

Zu Besuch bei einem Münzgestalter

„Einige Gedenkmünzen entstanden übrigens in der DDR und in der BRD gleichzeitig. Es war so eine Art innerdeutscher Wettbewerb“

HEINZ HOYER

VON GABRIELE GOETTLE

Heinz Hoyer, Bildhauer u. Medailleur, wurde 1949 in Elxleben/ Thüringen geboren, als Sohn eines Bäckers u. Mälzers, die Mutter war Hausfrau. Er wuchs in d. DDR auf u. machte nach d. Abitur eine Ausbildung erst zum Kerammaler, dann zum Bildhauer. Diplom 1975. Bis 1983 Arbeit als freier Bildhauer in Berlin u. Bulgarien. Seit 1983 Lehrtätigkeit a. d. Kunsthochschule Berlin-Weißensee. Seit 1983 ist er zudem als Münzmedailleur tätig, zusammen mit seiner bulgarischen Ehefrau, der Grafikerin Sneschana Russewa-Hoyer. 13 Gedenkmünzen kreierten sie gemeinsam in d. DDR. Nach einer fast zehnjährigen Zwangsabstinenz im wiedervereinigten Deutschland wurden sie wieder bei Wettbewerben berücksichtigt u. mit 1. Preisen geehrt. Heute gehören sie zu den erfolgreichsten Medailleuren Deutschlands. Ihr größter Erfolg war der 1. Preis für den Entwurf des Bundesadlers auf d. nationalen Seite d. 1-Euro- u. 2-Euro-Umlaufmünzen. Sie haben für zwei deutsche Staaten mehr als 30 Münzen in drei Währungen gestaltet. Inzwischen arbeiten sie getrennt. Die Hoyers sind seit 1976 verheiratet u. haben zwei Kinder.

Heinz Hoyer wohnt im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg, in der Wohnsiedlung im Thälmann-Park. Sie wurde zum 100. Geburtstag Thälmanns eingeweiht und ein Jahr später zur 750-Jahrfeier Berlins fertiggestellt. Dieses 26 Hektar große Areal zwischen Prenzlauer Allee, Danziger Straße, Greifswalder Straße und S-Bahn Linie 8 ist getränkt mit Altlasten und Gründerzeitgeschichte. Von 1874 bis 1981 stand hier die IV. Berliner Gasanstalt, eine gefürchtete Dreckschleuder. Nach Stilllegung und Abriss wurden 1984, trotz heftiger Bürgerproteste, die verbliebenen drei Gasometer – Wahrzeichen von Prenzlauer Berg und Denkmale der Industriekultur – gesprengt, statt sie mit einzubeziehen. In nur drei Jahren wurden auf dem Gelände 4.000 Bäume gepflanzt und ein Wohnkomplex für 4.000 Personen errichtet. Eine großzügige Plattenbau-Wohnanlage im Park entstand, mit Teich, Kaskade, vielen Skulpturen und mit einem Zeiss-Planetarium, quasi als Gasometerersatz. Auch eine Schwimmhalle bekamen die Bewohner sowie Schule, Krippe, Kaufhalle, Kneipe und ein Kulturhaus im ehemaligen Verwaltungsgebäude der Gasanstalt, das Theater und die „Wabe“, einen oktogonförmigen Konzertsaal. Das Kulturareal im Thälmannpark ist heute eines der letzten großen Stadtteil-Kultur-Projekte und muss permanent um seinen Erhalt kämpfen. Auf keinen Fall unterschlagen werden soll das pathetisch monumentale Denkmal für den Führer der KPD, Ernst Thälmann, Namensgeber des Wohnparks. Den Auftrag erhielt, zum Verdruss vieler DDR-Künstler, der sowjetische Bildhauer Lew Kerbel (der auch den Karl-Marx-Kopf im heutigen Chemnitz gemacht hat). Das Bronzemonument ist mit Sockel 14 Meter hoch und 50 Tonnen schwer, es verbrauchte die gesamten damaligen Kupfer-und Zinnvorräte der DDR und existiert heute nur deshalb noch, weil sein Abriss 500.000 Euro kosten würde. Die feierliche Enthüllung fand 1986, am 100. Geburtstag von Ernst Thälmann, statt.

Unbemerkt blieb ein weiterer 100. Geburtstag, der zur Geschichte des Ortes gehört. 1896 entstand hier auf diesem Areal, direkt neben der Gasanstalt, das größte städtisches Obdachlosenasyl Berlins, genannt „Die Palme“. Letzte Station für herumirrende Zuwanderer vom Land, für die Verlierer der Industrialisierung. Angegliedert war eine Kranken-, Siechen- und Desinfektionsanstalt. Es gab Nachtlager für 5.000 Obdachlose, Übergangsquartiere für exmittierte Familien, Wasch- und Arbeitshallen. Heute sitzt in den soliden Backsteingebäuden des ehemaligen Hospitals und Siechenhauses das Bezirksamt und in den Gebäuden der „Palme“ befindet sich das Krankenhaus Prenzlauer Berg, nun Vivantes-Klinikum.

Hier in der Wohnanlage müssen die Mieter nicht befürchten, ihre Wohnungen durch Luxussanierung und Erhöhung der Mieten zu verlieren, wie es vielen Bewohnern der Gründerzeitviertel in Prenzlauer Berg passierte ist. Im Plattenbau will keiner aus dem Westen wohnen, zu schlecht ist das Image. Heinz Hoyer und seine Frau hingegen fühlen sich sehr wohl in ihrem Refugium im 8. Stock, das sie seit der Fertigstellung bewohnen und in dem sie ihre beiden Kinder großgezogen haben. Die Maisonettewohnung ist praktisch gegliedert und im klassisch-modernen Stil der Deutschen Werkstätten Hellerau eingerichtet. Sie bietet einen weiten Blick über die Stadt. Eine weiße Wendeltreppe führt in den oberen Wohnungsteil, in dem ein winziges Atelier und die Arbeitsräume von brütender Hitze erfüllt sind.

Herr Hoyer hat im etwas kühleren unteren Wohnbereich desserttellergroßen Gipsmodelle und Formen auf dem Tisch ausgelegt, daneben das Endprodukt, die Münzen. Wir platzieren unsere Kaffeetassen vorsichtig zwischen den Formen und betrachten die Feinheiten der Reliefs.

Herr Hoyer deutet auf eine 10-Euro-Silbermünze zum 100. Geburtstag von Konrad Zuse. Sein Entwurf wurde voriges Jahr von der Jury gewählt: „Die ist ganz frisch, kam eben erst raus. Die DDR-Münzen haben wir ja immer gemeinsam gemacht, aber nach der Wende haben wir uns dann karteimäßig getrennt, das war günstiger.“ Frau Hoyer, die stehend ihren Kaffee trinkt, erklärt: „Es gibt jetzt Wettbewerbe. In der DDR bekam man einen Auftrag. Heute wird man eingeladen, ein- bis zweimal im Jahr. Alles ist anders geworden, auch die ganze Vorarbeit. Wir haben strenge Vorgaben, es werden die Themen gestellt, alles andere bleibt uns überlassen. Heute gibt es außer den Bibliotheken auch noch Internet, wo wir uns kundig machen können über das vorgegebene Motiv. Und dann legt man los, macht seine Skizzen, Kompositionen, Schriften. Ich zeichne mit meinem handgespitzten Bleistift, wie früher. Mit Computer mache ich nur Vergrößerung und Verkleinerung und Kontrast. Im Laufe der Zeit habe ich auch gelernt, wie ein Bildhauer zu denken. Der Grafiker denkt ja immer schwarz-weiß. Für den Bildhauer sind Höhen und Tiefen entscheidend. Eigentlich habe ich damals angefangen mit meinem Mann zusammen, weil die Bildhauer zur Schrift nicht so das richtige Verhältnis haben.“

Er kichert ein wenig und sagt: „Wir unterstützen uns gegenseitig, sie macht für mich die Schrift und ich helfe ihr beim Gips.“ „Ja“, sagt sie, „da bin ich schlecht. So, leider muss ich jetzt weg, ich habe unserem Sohn versprochen, ihn zu begleiten zu einem Vorstellungsgespräch in der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, er hat Archiv gelernt und sucht dringend einen Job.“

„Gemeinsam aufgeführt wurden wir damals 2002 ein letztes Mal mit der nationalen Seite der 1-Euro- und 2-Euro-Münzen“, sagt Herr Hoyer. „Diesen Wettbewerb zu gewinnen, war für uns eine Freude, bis heute. Wer kann schon von sich sagen, dass seine Werke in einer so hohen Auflage erscheinen, selbst ein Schlagerstar kommt nicht auf diese Auflage von 7,5 oder 8 Milliarden, die inzwischen kursieren.“ Er lacht amüsiert. „Die DDR-Münzen – wir haben ja 13 davon gemacht – hatten keine großen Auflagen, so um die 40.000 Stück nur. Deshalb sind sie dann auch nach der Wende sehr im Preis gestiegen. Unser ‚gestiefelter Kater‘, eine 20-Mark-Silbermünze zum 200. Geburtstag der Brüder Grimm 1986 – eine unserer schönsten Münzen – war nach der Wende 1.000 DM wert. Einige Gedenkmünzen entstanden übrigens in der DDR und in der BRD gleichzeitig. Es war so eine Art innerdeutscher Wettbewerb, das weiß heute kaum jemand. Zwei davon waren von uns. 1983, zum 100. Todestag von Karl Marx, produzierte die DDR eine 20-Mark-Münze, als Aufschrift die 11. These über Feuerbach: ‚Die Philosophen haben die Welt nur …‘ Das war die allererste Münze, die wir gemacht haben. Und die BRD brachte ein 5-DM-Stück heraus mit dem Randdruck ‚Wahrheit als Wirklichkeit und Macht‘. Beide Münzen hatten ein Marx-Porträt drauf. Die zweite Münze war zum 100. Todestag von Carl Zeiß 1988. 20 Mark in der DDR, 10 Mark in der BRD. Bei den DDR-Münzen haben wir übrigens immer unsere Belegexemplare gekriegt. Das gibt es heute nicht mehr. Die Bundesbank ist sehr knauserig. Bei Goldmünzen würde ich das ja noch verstehen, aber bei den anderen? Heute muss ich mir die alle selber kaufen. Ich sage immer, ich hole mir meine Rolle Drops.“

Wir bitten Herrn Hoyer, uns den Prozess bis zur Münzwerdung mal möglichst einfach zu beschreiben. „Den ersten Schritt hat ja meine Frau eben geschildert. Dann nehme ich mir eine Gipsscheibe bzw. -platte, die habe ich mir bereits vorgefertigt, und da ist der Rand für die spätere Höhe schon vertieft eingearbeitet. Ich übertrage die Zeichnung mit Aceton auf diese Platte. Dann habe ich mein Motiv sozusagen spiegelverkehrt hier drauf und fange an, hineinzuschneiden, auch die Schrift. Ich schneide die Schrift tiefer, als ich es eigentlich brauche, und mache ein sehr grobes Bildmotiv in Form einer Mulde. Dann wird aller Staub sorgfältig weggepustet und mit Schellack eine Isolationsschicht aufgetragen, auch mit Wachs wird noch isoliert. Dann gieße ich die Platte mit Gips um und erhalte so ein Positiv. Alles, was tiefer war, ist jetzt erhöht und kann sauber abgeschliffen werden auf die vorgeschriebene Höhe. Was Mulde war, ist jetzt Plateau, und darauf wird wieder eine spiegelverkehrte Zeichnung mit Aceton übertragen. Nun habe ich mein Bildmotiv seitenrichtig drauf, kann die Details mit einer Nadel einritzen und schleife dann mit feinem Sandpapier die Farbe des Toners weg. Jetzt kommt die Feinarbeit. Ich kann dann mit verschiedenen Werkzeugen dieses Plateau praktisch reliefartig bearbeiten. Wenn ich zu viel wegnehme, dann muss ich vielleicht mehrmals umgießen, um im Negativ zu korrigieren, bis alles stimmt. Früher musste ich das häufiger machen. Für den letzten Abguss des Positivs nehme ich dann einen sehr harten Gips. So wird das Modell dann eingereicht zur Jury.

Die Vorlage wird ja fünffach vergrößert hergestellt, weil sie in der Originalgröße zu klein wäre. Die Graveure in den Münzprägestätten früher, die haben das noch so geschnitten. In Deutschland übrigens gibt es bis heute fünf Münzprägestätten, und jede hat ihren eigenen Buchstaben auf den Münzen. Berlin hat das A. Das nur nebenbei. Früher jedenfalls wurde der Entwurf mechanisch verkleinert über einen Pantographen. Die Gipsscheibe rotierte, man kann sich das vorstellen wie eine Schallplatte, alles wurde abgetastet und über ein Hebelsystem fünffach verkleinert ins Metall gefräst. Und dieser so genannte Rohstempel wurde dann von den Graveuren noch mal bearbeitet. Inzwischen macht man das per Laser, es wird eingescannt und sozusagen computergesteuert gefräst. Der Graveur fällt fast weg. Dann hat man das Positiv, die Patritze, sozusagen den Prägestock. Damit wird eine Probeprägung gemacht, und die muss der Künstler noch mal begutachten.

Wichtig ist auch: Selbst wenn alles in Ordnung ist und geprägt wird, zu diesem Zeitpunkt ist es ja noch kein Geld! Es ist eine Medaille. Sie wird erst durch Gesetzeskraft zu Geld, am Emissionstag. Da gibt’s immer im Rahmen der World Money Fair, der bedeutendsten Münz-Fachmesse für Münzstätten, Nationalbanken, Münzhändler usw., einen Termin, wo wir ins Kanzleramt eingeladen werden, als besondere Ehre, um teilzunehmen an der Geldwerdung. Aber es ist nur ein kurzer Pressetermin eigentlich. Das war eine kleine Abschweifung, ich habe erzählt, wie ich die Probeprägung begutachte. Ich hatte das grade mit der 2-Euro-Münze aus der Bundesländerserie ‚Kölner Dom‘, die kommt 2011 raus. Der Dom ist ja sehr detailreich, es war aber nichts zu beanstanden. Einmal gab es aber Probleme, das war mit den 10-Euro-Silber-Gedenkmünze zum Einsteinjahr 2005. Da ist ja die Kugelform drauf, und die war nicht richtig ausgeprägt. Die Kugel hatte Beulen und Dellen. Das kann man Einstein nun wirklich nicht antun! Sie muss gespannt sein. Ich habe die Münze zurückgeschickt an die Hamburger Prägestätte, und die mussten mehrmals nachbessern. Sie wollten natürlich die Schuld mir zuschieben, aber man sieht es ja hier am Gipsmodell, die Form ist exakt. In der DDR ist man in der Prägestätte sogar mal so weit gegangen und hat eine Brustvergrößerung vorgenommen! Der Graveur hat ohne Rücksprache mit uns so lange geschabt, bis er die Mulden tief genug fand. Das war bei der 5-Mark-Münze zum 225. Todestag der ‚Neuberin‘ 1985.

Zurück zum Procedere. Die Wettbewerbe hier sind nicht öffentlich; sie sind anonym. In der DDR war das nicht anonym, wir saßen bei der Staatsbank, beim künstlerischen Beirat mit am Tisch. Hier gibt es im Bundesamt für Bauwesen einen Wettbewerb und eine Kartei, in die man aufgenommen werden muss, um teilnehmen zu können an den Münz-Wettbewerben. Auftraggeber sind die Bundesrepublik und das Finanzministerium. Seit 1998 ist das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung der Auslober, vorher war es das Bundesbauministerium, davor das Bundesfinanzministerium. Das alles haben wir natürlich anfangs nach der Wende nicht gewusst, keiner konnte richtig Auskunft geben. Aber später dann waren wir die ersten Künstler aus der ehemaligen DDR, die aufgenommen wurden. In der Kartei sind so 150 bis 200 Namen drin, auch unsere. Und der von unserer Tochter, sie macht inzwischen auch mit. Und das geht im Rotationsverfahren. 15 oder 30 werden immer ausgewählt, im Jahr gibt es fünf Wettbewerbe.

So etwa ein viertel Jahr lang hat man Zeit für die Entwürfe. Man reicht die Gipsplatte ein. Ich mache hinten eine sechsstellige Kennzahl drauf, die wird dort abgeklebt mit einer internen Nummer, so dass es absolut anonym ist. Und wenn dann die Jury entschieden hat, greift der Vorsitzende zum Telefon, um die ersten vier zu benachrichtigen. Man bleibt an diesem Tag in der Nähe des Telefons, und wenn es bis 18 Uhr nicht geklingelt hat, dann lässt man die Hoffnung fahren. Aber es hat auch schon mal um 19 Uhr geklingelt.“ Er lacht. „Und so nach sechs Wochen etwa kommt dann die Geldüberweisung. Existieren kann man davon nicht. Es gibt für die ersten vier Ausgewählten ein Arbeitshonorar von 2.600 Euro. Das finde ich anständig. Für den 1. Platz gibt es ein Preisgeld von 5.000 Euro, das allerdings seit 20 Jahren nicht mehr erhöht worden ist. Ich war der erste Ossi, der einen 1. Preis gewonnen hat, das war die 10-DM-Gedenkmünze, zum 300. Jahrestag der Frankeschen Stiftungen zu Halle, 1998 kam die raus. 1698 hatte der August Hermann Franke, er war Theologe und Pietist, sein Waisenhaus und seine berühmte ‚Schulstadt‘ in Halle gegründet, und das ist alles unter der Schirmherrschaft von Genscher, der ja aus Halle stammt, restauriert worden damals.

Bei den Gedenkmünzen haben wir übrigens ein paar Freiheiten, zum Beispiel darf man mit seinen Anfangsbuchstaben signieren und man kann die Position der Sterne selber wählen. Es müssen auf die Rückseite ja immer die zwölf Sterne der Europaflagge drauf sein. Aber wir müssen sie nicht, wie sonst vorgeschrieben, kreisförmig anordnen. Bei der Einstein-Münze hatte ich die Position der Sterne nach der berühmten Sonnenfinsternis von 1919 gewählt, denn damals ist extra eine Expedition mit dem englischen Astrophysiker Eddington nach Afrika gereist, um die von Einstein in der allgemeinen Relativitätstheorie behauptete gravitative Ablenkung des Lichts zu überprüfen. Und sie haben sie bestätigt! Vorher hat es ja keiner geglaubt. Die Jury hat das übrigens gar nicht bemerkt, meine Anspielung mit den Sternen, denn es dürfen keine schriftlichen Erklärungen mit eingereicht werden. Ich habe aber trotzdem den 1. Preis bekommen. Ich glaube, es hat ihnen auch deswegen gefallen, weil ich so einen friedlichen Adler gemacht habe. Einstein hatte ja sein Archiv an die Hebräische Universität in Jerusalem übergeben, und von dort war auch ein Vertreter gekommen. Der hätte sicher ziemliche Schwierigkeiten mit so einem typischen deutschen Bundesadler gehabt, der ja immer noch zum Reichsadler tendiert.

Weil mit dem Adler so viel Schindluder getrieben wurde, hat man jetzt gerade schriftlich mitgeteilt, dass die Würde des Hoheitssymbols gewahrt werden muss. Das stand in der Einladung zum Wettbewerb für die Gedenkmünze ‚500 Jahre Till Eulenspiegel‘, die 2011 rauskommt. Moment, hier steht es: ‚… möchte Sie darüber informieren, dass die Auslobungsbedingungen für die Gestaltung der Wertseite, insbesondere der Adlerdarstellung, nach einer Diskussion mit dem Bundesminister für Finanzen, dem Auftraggeber dieses Wettbewerbs, konkretisiert worden sind. Besonderer Wert wird zukünftig darauf gelegt, dass der Adler eine dem staatlichen Hoheitszeichen angemessene würdige Darstellung aufweist?‘

Die Würde an sich wird nicht definiert. Aber das, was dazugehört. Der muss eine Zunge haben, sonst wird er nicht genommen. Hier habe ich auch die Ausschreibung, mal sehen … Ich lese vor, was der Adler haben muss: ‚Der Adler ist in Frontalansicht darzustellen? Das charakteristische von Rumpf, Kopf, Flügeln, Schwanzfedern und Fängen ist klar erkennbar zu machen. Die Flügel müssen offen sein und sollten Schwingfedern aufweisen. Der Kopf muss nach rechts, vom Betrachter der Münze aus nach links gerichtet, der Schnabel muss geöffnet und die Zunge muss sichtbar sein …‘ Also viel Spielraum ist da nicht mehr. Allerdings, das muss ich sagen, es gibt tatsächlich schlimme Gestalten, Gummiadler, gerupfte Hühner, das arme Wappentier musste so einiges über sich ergehen lassen. Die DDR übrigens, das fällt mir grade auf, hat sich mit Hammer, Zirkel und Ährenkranz von Adlersymbolen lieber ferngehalten.“ Herr Hoyer geht kurz nach oben, um etwas für uns zu kopieren.

Man gestatte mir an dieser Stelle einen kleinen Exkurs: Der Expressionist Karl Schmidt- Rottluff bekam 1920 den Auftrag zur Gestaltung des Reichswappens für die Weimarer Republik. Sein Entwurf – heute wirkt er zahm – löste damals flammende Empörung aus, der Reichsschatzminister begründete seine Ablehnung damit, dass dieser Adler eine Karikatur sei und „der Würde des Deutschen Reiches und den Forderungen der Schönheit widerspricht“. Den Auftrag bekam dann ein anderer. Reichsminister Ebert gab die Reichsadlerkriterien vor: Es soll ein einköpfiger schwarzer Adler sein, „den Kopf nach rechts gewendet, die Flügel offen, aber mit geschlossenem Gefieder, Schnabel, Zunge und Fänge von roter Farbe“. Zur Klärung der Details habe ich einen alten, erfahrenen Biologen und Adlerexperten gefragt, ob Adler den Schnabel immer offen haben. Er lachte: „Den Schnabel offen hat der Adler eigentlich nur selten, zum Beispiel bei diesem Wetter jetzt, bei der Hitze, da hat er ihn offen, weil er hechelt, um sich zu kühlen. Er kann ja nicht schwitzen. Und dann hat er ihn auch noch offen in der Schreckhaltung, bei jüngeren Vögeln kann man das beobachten. Weshalb allerdings der Wappenvogel immer die Flügel spreizt, den Schnabel offen hat und die Zunge zeigt, das weiß ich auch nicht. Sonst macht man das eigentlich nur bei heraldischen Löwen und Drachen, dass man den Rachen zeigt, um sie furchterregender aussehen zu lassen. Aber der Adler? Der macht den Schnabel dann auf, wenn er sich unwohl fühlt, bei Hitze und wenn er sich fürchtet. Der Adler der Nazizeit hatte den Schnabel zu. Der Wappenvogel auf unseren Münzen, Stempeln und im Bundestag wäre ja vollkommen flugunfähig. Er ist derart verfremdet, dass er nicht mehr viel gemein hat mit unserem schönen, stolzen und hoheitsvollen Adler.“

Herr Hoyer überreicht uns einige Kopien zur den Euro-Münzen und erzählt: „Das war ein ziemliches Desaster. 1996 wurde von der EU-Kommission der Wettbewerb ausgelobt. Man hat 30 Künstler eingeladen, darunter auch meine Frau und mich. Es wurden drei Gruppen zu je zehn Personen gebildet, die sollten drei verschiedene Themen bearbeiten: Europäische Ideale. Europäische Architektur. Europäische Persönlichkeiten. Das ist natürlich ein Ding der Unmöglichkeit. Wir wurden da in eine Aufgabe reingeschickt, die von vornherein zum Scheitern verurteilt war. Welchen Kopf, welches Motiv sollte man wählen für eine allgemeine Vorderseite, ohne ein anderes Land damit zu beleidigen? Die Jury saß in Brüssel und hat sich nach langem Hin und Her dann für den Entwurf von Luc Luycx entschieden, er ist von der Königlichen Münze in Brüssel und hat das einzig mögliche Motiv gewählt, die Europäische Union ohne Grenzen. Wir hatten das Glück, wir durften dann die nationale Seite gestalten, mit der haben wir ja dann sozusagen den Wettbewerb gewonnen. Das war 1997. Wir haben es in der ‚Tagesschau‘ gesehen. Der damalige Bundesfinanzminister Waigel hatte eine Pressekonferenz gemacht und die nationalen Seiten der Cent- und Euro-Münzen auf einem Plakat vorgestellt. Die letzte war immer von seinem Kopf verdeckt, als er dann zur Seite getreten ist, da haben wir gesagt, den kennen wir doch! Das war unser Adler auf der Münze. Am nächsten Tag, früh um sieben, klingelte das Telefon. Die Bild-Zeitung. Aber ich dachte, nee, die Bild-Zeitung, das muss nicht sein. Wir haben dann mit der Berliner Zeitung gesprochen.

Sehen Sie mal, der Euro sah damals etwas anders aus, beim Adler ist da noch ein ‚Ei‘ drunter. Da sollte so ein ‚latent image‘, so ein Kippbild, ein verdecktes Bild hin, damit das fälschungssicher ist. Aber man hat dann festgestellt, dass es technisch nicht umsetzbar ist. Das heißt, wir mussten ein neues Gipsmodell machen. Weil mir im Nachhinein die Knickerbockerbeine des Adlers auch nicht mehr gefallen haben, habe ich ihn noch mal total überarbeitet.

Das war diese Sache. Aber dann gab es beim Euro noch eine ganz gravierende Panne, von der ich so noch nie erzählt habe. Im Finanzministerium, auf mittlerer Ebene, da gab es so einen Direktor, der meinte, wir machen das mit den Sternen ganz anders. Wir ordnen die drehend an, konzentrisch, immer mit der Spitze nach außen und zwei ‚Beinchen‘ nach innen. Wir haben uns gewehrt, haben gesagt, das geht nicht, sie sind auszurichten wie auf der europäischen Flagge. Das ist ein Hoheitszeichen, das kann man nicht einfach ändern! Aber es half nichts. Kraft seines Amtes hat er das angeordnet und durchgesetzt, dass wir die Sterne drehen, obwohl wir wussten, dass es falsch war.

Der wollte einen deutschen Sonderweg. Es hat dann ein dreiviertel Jahr gedauert, bis die das in Brüssel merkten. Das Finanzministerium hat eins auf den Deckel gekriegt und musste zurück-rudern. Inzwischen hatten sie aber schon zwei Millionen geprägt! Die Berliner Münze musste zwei Millionen Euro wieder verwalzen und einschmelzen. Das war 1998, vier Jahre vor der Einführung des Euro. Jedenfalls wurde ein beachtlicher Schaden verursacht. Ob der Mann jemals zur Rechenschaft gezogen wurde, das weiß ich nicht. Und damit der Skandal nicht an die große Glocke gehängt wird, hat man es so dargestellt, als wäre das lediglich eine Probeprägung gewesen, um das Material zu testen.

Dann hat man auch darauf hingewiesen, dass in Frankreich im selben Jahr eine große Menge von frisch geprägten 10-Cent- und 50-Cent-Münzen wieder eingeschmolzen werden musste, weil die Blindenverbände zusätzliche Merkmale gefordert hatten. Na ja … Also wie das bei unseren ist, weiß ich jetzt gar nicht genau, ich denke, es ist die Riffelung des Randes. Die haben sie so gemacht, damit die Blinden das Geld besser erkennen können. Der Rand der Münze, die Rändelung, das ist eigentlich die dritte Seite der Münze – oder der Medaille –, auf der oft auch noch was geschrieben steht, denn sie ist auch national. Bei unserem 2-Euro-Stück steht, versenkt in der Riffelung: ‚Einigkeit und Recht und Freiheit‘. Das sind die drei Seiten der Medaille.“ Er lacht. Elisabeth ruft begeistert: „Gabriele, er hat gerade was Unsterbliches gesagt! Denn ‚zwei Seiten der Medaille‘, das würde ja bedeuten, dass sie gar keine Dimension hat. Nur Vorder- und Rückseite!“ „Ja, dann isses ja keine Materialität“, sagt Herr Hoyer und nimmt nachdenklich eine 2-Euro-Münze in die Hand.

Tage später habe ich Herrn Bagigalupo, einen blinden Blindenlehrer im Ruhestand, angerufen. Auf die Frage, wie er die Münzen erkennt, sagte er: „Die 2-Euro-Münzen sind ringsrum auf dem Rand fein geriffelt, nee, junge Frau, die Inschrift ist nicht tastbar, und die 1-Euro-Münzen sind auch geriffelt, haben aber glatte Absätze dazwischen. 50-Cent-Münzen haben eine grobe Riffelung, die 20 Cent haben ab und zu eine kleine Einkerbung, die Zehner sind deutlich kleiner und haben eine grobe Riffelung, muss ich weitermachen?“