Vor dem Vergessen bewahren

SYMBOL Die halbe Knesset und Politiker aus anderen Ländern treffen am Holocaust-Gedenktag im polnischen Auschwitz zusammen. Initiator ist ein 28-jähriger Brite

■ Am Holocaust-Gedenktag (27. Januar) sind im westmecklenburgischen Grevesmühlen Plakate aufgetaucht, die den Völkermord an den Juden leugnen. Sie trugen unter anderem die Aufschrift „Internationaler Tag der 6-Millionen-Lüge“, teilte die Polizei in Rostock mit. Unbekannte Täter hätten die Plakate im Format A3 ans Rathaus, ans CDU-Wahlkreisbüro und an ein Pressehaus geklebt. Seit 1996 wird am 27. Januar in Deutschland der Opfer des Nationalsozialismus gedacht. (epd)

AUS WARSCHAU GABRIELE LESSER

Die klirrende Kälte macht den ehemaligen Häftlingen des ehemaligen Nazi-Todeslagers Auschwitz-Birkenau zu schaffen. Allein aus Israel sind über 20 Schoah-Überlebende zum 69. Jahrestag des Holocaustgedenktages nach Polen gekommen. Auch aus Polen selbst, aus anderen europäischen Ländern, den USA und Kanada haben sich hochbetagte Greise auf den beschwerlichen Weg gemacht.

Wie vor knapp 70 Jahren sind sie von Stacheldrahtzäunen umgeben, von Baracken, Krematorien. Kleine Atemwölkchen steigen auf. Manche haben eine gestreifte Häftlingsjacke übergezogen oder sich zumindest ein blau gestreiftes Tuch um den Hals gebunden. Sie frieren. Doch als der Kantor unweit der Gaskammer-Ruinen das Totengebet „El male rachamin“ anstimmt und es wie eine dramatische Gottesklage durch das Lager dringt, halten sie den Atem an. Manche wirken wie erstarrt, weinen.

Obwohl es kein „runder“ Jahrestag ist, gilt er als ungewöhnlich wichtig. Noch nie zuvor haben sich so viele Abgeordnete des israelischen Parlaments, der Knesset, auf den Weg in das ehemalige „nationalsozialistische deutsche Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau“ gemacht, wie es seit einigen Jahren offiziell heißt. Auschwitz war das größte von einigen hundert Lagern im deutsch besetzten Polen. Als die Rote Armee es am 17. Januar 1945 befreite, kamen den Soldaten knapp 7.000 halbverhungerte und frierende Häftlinge entgegen. Auschwitz gilt heute als Symbol des Nazi-Völkermords an den Juden. Über eine Million Menschen, die meisten davon Juden, wurden hier ermordet.

Initiator des Politikertreffens mit den Überlebenden und Parlamentariern aus anderen Ländern ist Jonathan Daniels (27), ein PR-Manager, der – in Großbritannien geboren und aufgewachsen – seit einigen Jahren in Israel lebt und hier die Stiftung From the Depths (Aus den Tiefen) gegründet hat. Daniels glaubt, dass der Holocaust ohne ein tiefes emotionales Erleben des Leidens in den Lagern allmählich in Vergessenheit gerät und immer öfter relativiert wird.

Mit diesem Argument gelang es dem jungen Mann, nicht nur die Hälfte der Knesset-Mitglieder für einen Tag nach Polen zu bringen, sondern auch mehrere Minister der Netanjahu-Regierung, namhafte Rabbiner, den Chef der israelischen Notenbank und andere Personen des öffentlichen Lebens in Israel. Er überzeugte auch Parlamentarier aus anderen Ländern, zum Holocaust-Gedenktrag nach Auschwitz-Birkenau zu kommen und am späten Nachmittag im rund 60 Kilometer entfernten Krakau an einem interparlamentarischen Treffen teilzunehmen.

Ohne ein tiefes Erleben des Leidens in den Lagern könnte es in Vergessenheit geraten

Die Erwartungen der meisten katholischen Polen richteten sich auf ebendieses Politikertreffen. Sie hofften, dass die polnischen und israelischen Parlamentarier sich in einer gemeinsamen Erklärung gegen die Fehlbezeichnung der deutschen Konzentrations- und Vernichtungslager als angeblich „polnische Lager“ aussprechen würden.

Im Auswärtigen Ausschuss des Sejms, des polnischen Abgeordnetenhauses, wurde auch ausführlich über einen entsprechenden Text debattiert, doch dann hieß es von israelischer Seite, die Reise der Abgeordneten habe keinen politischen Charakter, und daher werde es auch keine gemeinsame Resolution geben. Möglicherweise hängt dies mit Protesten rechtsnationaler Kreise in Polen zusammen. Diese behaupteten, die Reise der israelischen Politiker verletze die Souveränität Polens.

In der Vergangenheit war es in den Medien, im Internet, aber auch in Politikerreden immer wieder zur Fehlbezeichnung der NS-Lager im deutsch besetzten Polen als „polnische Lager“ gekommen. Viele Polen befürchten, dass diese angeblich nur geografische Lagebeschreibung dazu führen könnte, dass am Ende nicht die Deutschen und Österreicher, sondern die Polen als Massenmörder am Pranger stehen würden. Im Mai 2012 hatte selbst der amerikanische Präsident Barack Obama von „polnischen Todeslagern“ gesprochen und damit in Warschau für Empörung gesorgt.