Vietnamesische Polizei kämpft gegen High-Tech-Schummelei

Beamte kontrollieren die Prüfungen an Schulen und Hochschulen, um etwa den technischen Betrugsversuchen per SMS ein Ende zu machen. Oft sind Dozenten selbst beteiligt

Manchmal sind es mehrere bezahlte Strohmänner, die sich die Prüfungsaufgaben teilen

Der Prüfling trägt eine Perücke. Darin sind Kopfhörer oder ein Mobiltelefon eingenäht. So kann der Schüler oder Student in Vietnam heimlich aus dem Prüfungsraum heraus gekaufte Fachleute um Hilfe bitten. Geflüstert oder per SMS kommt dann die garantiert richtige Antwort. Nicht selten sitzen die Lehrer und Dozenten selbst am anderen Ende der Leitung – und lassen sich dafür gut bezahlen. 3.000 Euro kostet allein das Schummelequipment.

„Sag nein zum Prüfungsbetrug“, lautet deshalb eine Kampagne, die Vietnams Bildungsminister Nguyen Thien Nhan vergangene Woche startete. Nachdem die Schummeldiskussion seit einigen Wochen in vollem Gang ist, werden zudem die Aufnahmeprüfungen zu den Universitäten und Gymnasien diesen Monat unter Polizeischutz stattfinden – das Bildungsministerium allein wird der Situation nicht Herr.

Die Beamten vor den Prüfungsräumen stellen seit zwei Wochen die Identität der Kandidaten fest. Grund: Laut Bildungsministerium hatten in den letzten Jahren Studienbewerber immer wieder Strohmänner zu den Prüfungen geschickt, in vielen Fällen sogar mehrere gleichzeitig. Wenn die sich die Lösung der Aufgaben teilten, war die Chance auf Erfolg höher.

Schummelei bei Prüfungen in Schulen und Universitäten ist im Land zwischen Rotem Fluss und Mekong eine so weit verbreitete Unsitte, dass „ein Schulabschluss in der Gesellschaft bald nichts mehr zählen könnte“, warnt der Minister. Es ist kein Geheimnis, dass gerade Funktionärskinder von gekauften Abiturprüfungen profitieren.

Die öffentliche Debatte hatte im Juni ein Gymnasiallehrer aus der Provinz Son Tay im Speckgürtel der Hauptstadt Hanoi losgetreten. Seinem Bericht zufolge sei es an seiner Schule üblich, dass Lehrer den Schülern während der Abiturprüfungen per SMS über das Handy die Lösungen vorgeben. Oder sie verkaufen vorab die Prüfungsfragen. Mit nur 0,7 Prozent hat die Provinz die geringste Durchfallquote im Abitur. Wütende Eltern hatten daraufhin die Suspendierung des betroffenen Lehrers gefordert und Druck auf die Provinzverwaltung ausgeübt. Der Lehrer war eine gefährdete Person, bis ihm der Bildungsminister mit einer Reise an seine Schule in der vergangenen Woche den Rücken stärkte. Er leitete gegen acht Beamte der Provinzverwaltung Disziplinarverfahren ein. Die Polizei ermittelt wegen Korruptionsverdachts.

Die 700.000 Bewerber für einen der viel zu knappen Studien- und Gymnasienplätze stehen unter hohem Druck. Nur für knapp jeden dritten wird es einen Platz geben. Und ihre Familien, die für die Schulbildung viel Geld gezahlt hatten, erwarten, dass die Kinder studieren. In den Aufnahmeprüfungen wird reines Faktenwissen abgefragt, das die Bewerber stur auswendig lernen müssen.

Das Schul- und Hochschulsystem in Vietnam macht den Betrug leicht. Denn die Gehälter im öffentlichen Dienst sind mickrig. Damit die qualifizierten Lehrer und Hochschullehrer nicht in die boomende Privatwirtschaft abwandern, gestattet Vietnam ihnen den Nebenerwerb. Es ist gesetzlich geregelt, wie viele Privatstunden sie ihren eigenen Schülern gegen Bezahlung geben dürfen. Selbst an Grundschulen sind diese zeitraubenden und oft sinnlosen Privatstunden quasi Pflicht. Damit drückt man in dem konfuzianistisch geprägten Land seine Achtung vor den Pädagogen aus.

Zudem ist in Vietnam allgemein bekannt, dass man bei Prüfungen kaum eine Chance hat, ohne zuvor ein paar Privatstunden beim Prüfer zu nehmen. Von den Privatstunden zum Verkauf von Prüfungsantworten ist es dann nicht mehr weit.

So beschlagnahmen Polizisten kistenweise Handys. Vor allem das Modell P300 von Samsung. Denn das sieht einem Taschenrechner zum Verwechseln ähnlich. Im Prüfungsraum kann man dann auf den riesigen Memospeicher zurückgreifen oder ist per SMS mit den Verkäufern verbunden, die soufflieren.

MARINA MAI