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Archiv-Artikel

Wie man seinen Zivi triezt

HIPPEN empfiehlt „Renn, wenn du kannst“ von Dietrich Brüggemann ist eine Dreiecksgeschichte zwischen einem Behinderten, seinem Zivi und einer Cellistin

Die Filmemacher treffen genau den Ton, der etwa zwischen Rollstuhlfahrern und jenen Menschen herrscht, die sich um sie kümmern.

VON WILFRIED HIPPEN

So wird im deutschen Film selten geredet! Und gerade, wenn die Protagonisten noch jung sind, merkt man fast immer, dass Drehbuchautoren und Regisseure sich bemühen, den Tonfall einer Generation zu imitieren, der sie schon entwachsen sind. Michael Kohlhase und Andreas Dresen sind da die rühmliche Ausnahme, und auf dem Niveau ihrer zugleich pointierten und absolut natürlich klingenden Dialoge sind auch die Streitgespräche, die der querschnittsgelähmte Benjamin hier mit jedem anfängt, der droht, ihm zu nahe zu kommen. Nun sind der Regisseur Dietrich Brüggemann und seine Schwester Anna, die das Drehbuch mitverfasst hat und die Musikerin Annika spielt, selber nur ein paar Jahre älter als ihre Filmfiguren. Und da sie selber eine behinderte Schwester in der Familie haben, kennen sie auch genau den Ton, der etwa zwischen Rollstuhlfahrern und jenen Menschen herrscht, die sich um sie kümmern.

Beim Publikumsgespräch im Bremer Kino Cinema am Samstagabend erzählte der Regisseur, alle Filme über Behinderte, an denen ja nicht nur im deutschen Film kein Mangel herrscht, hätten nicht viel mit der Realität zu tun, wie er sie kennen würde. Und als er dann versuchte herauszufinden, was da fehlen würde, habe er sich entschlossen, diesen Film zu machen. So ist sein Protagonist Benjamin alles andere als sympathisch gezeichnet. Als extrem Querschnittsgelähmter hat er körperlich so gut wie keine Kontrolle, und so hat er als intelligenter Mensch sich darauf spezialisiert, seine Zivildienstleistenden mit bissigen Kommentaren zu piesacken. Bei diesem Machtkämpfen hält er scheinbar alle Trümpfe, und so ist sein Verschleiß an jungen, meist gutwilligen, aber gerade deshalb wehrlosen Männern beachtlich. In seinem neuen Zivi Christian trifft er dann aber einen ihm rhetorisch Ebenbürtigen, und der Film erzählt auf einer Ebene davon, wie die beiden Freunde werden.

Diese Freundschaft muss natürlich auf die Probe gestellt werden, und so kommt noch eine junge Frau dazu, an der beide Protagonisten interessiert sind. Annika ist eine attraktive Cellospielerin, die Benjamin seit Monaten von seinem Balkon aus beobachtet und die Christian gleich an seinem ersten Arbeitstag mit ihrem Fahrrad umfährt. Da hört man schon sehr genau, wie die Gänge der Dramaturgie geschaltet werden. Und auch sonst werden die Situationen nach dem vielversprechenden Anfang immer konstruierter. Da wird von Annika eine Gipsbüste aus dem Fenster geworfen und fällt genau auf Christians Auto (der allerdings ein wunderschöner, behindertengerecht umgebauter Straßenkreuzer ist) und beim großen Finale müssen dann alle auch noch in einen gefrorenen See einbrechen.

Beim Bauen ihrer Geschichte zeigen die Geschwister Brüggemann leider nicht die gleiche Souveränität wie bei der Ausführung. Denn wenn sie erst einmal über eher holprige Wege zusammen im Bett oder in einer der schönsten Szenen auf dem Balkon landen, stimmt wieder alles und es gelingen sowohl Dialoge, in denen Benjamin etwa genau beschreibt, welche Art von Sexualität ihm noch möglich ist wie auch romantische Momente wie die Schlusssequenz, bei der alles in einer poetischen Traumvision mündet. Eine kleine, alltägliche Sequenz bringt alles pointiert und dabei ganz beiläufig auf den Punkt: Im Fahrstuhl muss ein kleines, etwa dreijähriges Mädchen Benjamin in seinem Fahrstuhl einfach anstarren, und als er versucht, einen Witz zu machen, beginnt es zu weinen und versteckt sich hinter der Mutter. Benjamin ist selbst erschrocken über diese Reaktion, aber was hätte auch er anderes machen können?