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Archiv-Artikel

„Den Reichtum für Besseres nutzen“

NACH DER LOVEPARADE Im Ruhrgebiet präsentiert sich Kultur gern als Großereignis – und leidet sonst an leeren Kassen. Ein Gespräch mit Werner Ruzicka, dem Leiter der Duisburger Filmwoche, über Massenveranstaltungen, Ruhr.2010 und die „Softethik“ des Konsenses

Werner Ruzicka

■ geboren 1947. Studium der Germanistik, Philosophie und Sozialwissenschaften in Bochum. Ab 1974 Leiter der kommunalen Filmarbeit in Bochum. 1978 bis 1982 Mitarbeiter an dem dokumentarischen Langzeitprojekt „Prosper/ Ebel – Eine Zeche und ihre Siedlung“ als Regisseur und Produktionsleiter. Nach 1982 verschiedene Arbeiten für Fernsehen und Theater. Seit 1985 Leiter der Duisburger Filmwoche, die jedes Jahr im Herbst Dokumentarfilme aus dem deutschsprachigen Raum präsentiert – und das auf eine für Filmfestivals außergewöhnlich diskursfreudige Weise.

E-MAIL-INTERVIEW CRISTINA NORD

taz: Herr Ruzicka, die letzte Duisburger Filmwoche trug das Motto „Erkenne die Lage“. Wie nehmen Sie die Lage in Duisburg in diesen Tagen wahr?

Werner Ruzicka: Bedrückt, wütend, gedemütigt. Aber nicht sprachlos. Es fällt auf, dass es in den letzten Tagen kaum noch ein Plaudern gibt. Die Loveparade ist das Thema. Die Fragen nach Schuld und Verantwortung. Das sieht man auch in den vielen Internetforen – da werden ernsthafte Debatten über Baurecht und Kommunalrecht und über „Entfluchtung“ geführt. Aber dahinter immer die Verständnislosigkeit.

Die Loveparade war lose assoziiert mit dem Kulturhauptstadtprojekt Ruhr.2010. Wie blickt man auf das Großereignis Ruhr.2010, wenn man seit Jahren kontinuierlich Kulturarbeit im Ruhrgebiet macht?

In der Vorbereitungsphase waren wir von skeptischer, aber freundlicher Erwartung erfüllt, haben uns auch mit vielen und guten Vorschlägen bemüht, dem Film seinen Platz zu geben. Immerhin gibt es einige Festivals und Initiativen im Ruhrgebiet. Aber es ergab sich nichts, oder nur sehr wenig. Nun ist es eben genau dieses „Großereignis“, das den Begriff „Kultur“ auf eine Art expandiert und damit trivialisiert, dass Konzept und Substanz kaum noch erkennbar sind.

Ruhr.2010 setzt auf die Spektakelkultur, statt an existierende Strukturen, Projekte und Initiativen anzuknüpfen?

Es wird ja niemand etwas dagegen haben wollen, dass man auf populäre Angebote setzt, den „Geschmack des Notwendigen“, wie Bourdieu das nannte. Aber die Option für das Großartige, das Rekordverdächtige, eben das „Spektakuläre“ ist offensichtlich. Bekanntlich hat Guy Debord in seiner Schrift „Gesellschaft des Spektakels“ ja darauf hingewiesen, dass die „Spektakelmaschine“ das Leben in tote Bilder verwandelt.

Wie kann man sich denn, wenn man der Spektakelkultur skeptisch gegenübersteht, vor hochkulturellem Dünkel bewahren? Und vor der Selbstghettoisierung? Wie gehe ich damit um zu wissen, dass etwa meine Begeisterung für einen Essayfilm von James Benning alles andere als massentauglich ist?

Das ist für mich die Frage danach, welche Funktion die Kunst in einer Gesellschaft haben kann und haben muss. Ob sie Teil der „Softethik“ ist, wie Rancière das beschrieb, oder auf Widerständigkeit und Antizipation setzt. Ich denke, wir sollten unsere Marginalität weder rechtfertigen noch entschuldigen – man trifft in unserem „Ghetto“ interessante Leute … Und was Benning angeht: Als ich die Fotos von dem „Tunnel“ sah, musste ich sofort an seinen Film „Ruhr“ denken und die lange Einstellung, die ebenfalls einen Tunnel zeigt. Das ergab einen Zusammenhang, der bei mir seither fortzeugt und neue Bilder und Gedanken generiert.

Was meint Jacques Rancière denn mit „Softethik“?

„Softethik“ ist die des Konsenses, die sich dem Kitten des gesellschaftlichen Zusammenhangs widmet. Dagegen setzt er die „Hardethik“ der Kunst.

An den Tunnel in Bennings Film musste ich auch denken. Sein Film „Ruhr“, der ohne Förderung von Ruhr.2010 zustande kam und bei der letzten Filmwoche Premiere feierte, stellt ja indirekt auch die Frage, inwiefern Kultur eine Antwort auf die Probleme des Ruhrgebiets sein kann. Funktioniert dieser Strukturwandel wirklich? Ein Museum, wo eine Stahlfabrik war? Oder ist das – zumal angesichts der Verschuldung der Städte – Augenwischerei?

Natürlich kann Kultur keinen Strukturwandel bewirken – und das nicht nur wegen der desolaten finanziellen Parameter. Ein Museum für jedes aufgelassene Stahlwerk – bitte nicht. Aber die Frage ist, inwieweit der Reichtum der Region, der Reichtum an Originalität und Eigensinn, für Besseres genutzt werden kann als für verzweifelte Ambitionen, „Weltniveau“ durch „Weltrekorde“ zu erreichen. Man mag es kaum für Zufall halten, dass die Spektakel der letzten zwei Wochen Massenveranstaltungen waren – Massen, die sich für ein Bild konfigurierten und als Bild der Massen kommuniziert wurden. Bis am letzten Samstag aus den Bildern Menschen hervortraten.

Was macht die Bilder der Massen so anziehend? Warum gibt es, solange alles gut läuft, ein solches Bedürfnis nach Masse?

In der Masse kann man Nähe zulassen. Distanzräume sind suspendiert, ohne Schuldgefühl. Und natürlich haben Bilder von Massen einen hohen ornamentalen Schauwert – vor allem jetzt, wo der Betrachterstandpunkt fast orbital ist. Canetti und Kracauer haben ja ausführlich darüber geschrieben. Eine ähnliche Beobachtung kann man ja auch in der Musikszene machen: Es wird immer weniger für Musik gezahlt, aber die Umsätze für Konzerte steigen. Man will gemeinsamer Resonanzraum sein. Sicher spielen hier auch tribale Atavismen mit. Und vielleicht das gute alte Dionysische …

Vielleicht stellen die Massenveranstaltungen ja auch eine Form gesellschaftlicher Teilhabe her, die sich früher über die Arbeit ergab.

Bestimmt auch das, gerade im Ruhrgebiet. Die Erfahrung der Kollektivität in der Arbeit – vor allem unter Tage, die Erfahrungen kollektiver Stärke in den Streikbewegungen gehören ja zu Recht zur Grundausstattung des Ruhrgebiets-Mythos.

Und sie gehören zum Reichtum der Region, von dem Sie eben sprachen. Wie kann man diesen Reichtum denn sinnvoll in einem kulturellem Kontext nutzen?

Indem man mehr auf die osmotische Kraft des Nebeneinander setzt als auf das Imponierende der „Metropole“. Indem man die Spezialitäten mehr wertschätzt, die entstanden sind – sicher auch deswegen, weil sie sich an ihren Standorten nicht mit anderen „Events“ um Aufmerksamkeit zanken müssen. Nehmen wir zum Beispiel die Filmfestivals im Ruhrgebiet – vom Dokumentarfilmfestival Duisburger Filmwoche über die Oberhausener Kurzfilmtage, „Blicke aus dem Ruhrgebiet“ in Bochum bis zum Internationalen Frauenfilmfestival in Dortmund und Köln – eine Perlenkette an renommierten Veranstaltungen, die vergleichbar keine andere Region weltweit hat.