: Bank gründen statt überfallen
Eine andere Bank-und Finanzwelt ist möglich, behauptet zumindestens die Bochumer GLS- Bank- und Treuhandgruppe. Eine Summer School und ein neu konstituierter internationaler Master-Studiengang zu Social Banking sollen das beweisen
VON BERND SCHÄFER
In Bertolt Brechts Dreigroschenoper, den Galgen vor Augen, resümiert der Kleinkriminelle Mackie Messer: „Wir kleinen bürgerlichen Handwerker, die wir mit dem biederen Brecheisen an den Nickelkassen der kleinen Ladenbesitzer arbeiten, werden von Großunternehmern verschlungen, hinter denen die Banken stehen. Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie? Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“
Ob die GründerInnen der Gemeinschaft für Leihen und Schenken (GLS) Brecht im Kopf hatten, ist nicht überliefert. Als sie sich Anfang der 1960er Jahre um den Bochumer Rechtsanwalt und Anthroposophen Wilhelm Ernst Barkhoff versammelten, hatten sie vor allem im Sinn, Menschen und Initiativen finanziell zu helfen, die neue und andere Lebens- und Wirtschaftsformen ausprobieren wollen.
Für die beiden GLS-MitarbeiterInnen Julian Kühn und Annette Massmann steht heute jedoch außer Frage, dass Geld zwar mit Macht und somit auch mit Gewalt verbunden ist, dies jedoch nicht so bleiben muss. Trotzdem tat man sich anfangs schwer, die Notwendigkeit zu akzeptieren, eine Bank zu gründen und dann auch noch zu führen, nur um Geld umzuverteilen, erzählt Julian Kühn. Der 49-jährige ist seit fast dreizig Jahren dabei und gehört zum Vorstand der GLS-Treuhand e. V.: „Die ersten zehn, zwanzig Jahre haben wir eigentlich immer gesagt, wir wollen keine Bank machen, wir wollen eigentlich nur, dass sich Menschen gegenseitig helfen“. Das war das Lebensgefühl und am liebsten hätte man sich wieder aufgelöst, denn zur Bankgründung fühlte man sich mehr genötigt als freiwillig dazu bereit: „Das ist ja das Verrückte in der Bundesrepublik. Wenn man sich zwischen Menschen Geld leiht und das in einem bisschen größeren Umfang, verstößt man gegen Gesetze“, erklärt Kühn.
Erst in den letzten zehn Jahren vollzog sich ein Wandel in der Genossenschaftsinitiative. „Wir haben den Machtbegriff infrage gestellt, wir wollen so mit Geld umgehen, dass Geld eben nicht mehr Macht ist“, sagt Kühn. Man akzeptierte nicht nur eine Bank zu sein, sondern formulierte für sich positiv: „Es geht nicht darum Profite zu erwirtschaften, sondern darum Projekte zu ermöglichen, das heißt, Geldgebende und Menschen, die ihre Visionen, ihre Ideen verwirklichen wollen, zusammenzubringen“, sagt Annette Massmann und ergänzt: „Wenn ich als Bank sage, ich bin so transparent, dass meine Kunden sozusagen entscheiden können, wohin ihr Geld hingeht, dann gebe ich Macht ab.“ Und so bestimmen die AnlegerInnen, SpenderInnen und KontoinhaberInnen darüber, ob mit ihrem Geld beispielsweise die Moschee in Duisburg, das Theater Total in Bochum, Solarlampen in Afghanistan, ein alternatives Wohnprojekt in Wulfsdorf oder ein Hospiz in Hamburg (mit-) finanziert wird. Geld wird als soziales Gestaltungsmittel verstanden, mit dem man professionelle Finanzdienstleistungen mit aktuellen Zeitfragen verbinden will.
Massmann, Medienwissenschaftlerin und ehemals Dozentin an der Ruhr-Uni Bochum, wechselte von dort zur GLS-Gruppe, um hier in einem Team von sieben Leuten, das Institute for Social Banking zu gründen. An drei Säulen wird derzeit gebaut. Die erste ist die International Summer School, die ab morgen für zehn Tage in der Akademie Mont Cenis in Herne stattfinden wird. Die zweite Säule besteht aus einem Master Studiengang für Social Banking, der in Kooperation mit der Universität Plymouth ab September 2006 starte. Und drittens soll perspektivisch in Zusammenarbeit mit der Akademie Deutscher Genossenschaften ein Bachelor-Studiengang Social Banking konstituiert werden.
Die Summer School on Social Banking and Finance, die erste ihrer Art, die künftig europaweit rotieren soll, werde als Ort verstanden „um was in Bewegung zu bringen“, erklärt Julian Kühn. Neben allgemeinen Themen wie „Globalisierung, postmoderne Kultur und Spiritualität sowie Ethik und Social Banking“ werden praktische Fragen wie die „Gestaltung verwendungsorientierter Geldanlagen“ verhandelt und Selbstverständnisdebatten um die Identität des Social Bankers geführt. Zu den ReferentInnen gehört unter anderen Veronika Bennholdt-Thomsen, wahrscheinlich den meisten eher bekannt durch ihre Beiträge für eine feministische Theorie und Praxis. Die Professorin ist jedoch auch Leiterin des Instituts für Theorie und Praxis der Subsistenz und stellte jüngst eine Studie „zur matriarchalen Gesellschaft in Zeiten der Globalisierung“ am Beispiel der südmexikanischen Stadt Juchitàn vor.
Das klingt widersprüchlich: Wie sollen Globalisierung und alternative soziokulturelle Verhältnisse zusammen passen – noch dazu in einem Land des „machismo“ und in einer Gegend, die als eine Drehscheibe des globalisierten Handels gilt? Bennholdt-Thomsen geht deshalb auch der Frage nach, durch welche Mechanismen sich diese eigenständige Kultur, Ökonomie und Sozialstruktur behaupten können.
Eher aus einer praktischen Perspektive berichten wird Helmy Abouleish von der ägyptischen Initiative SEKEM, die 2003 mit dem Alternativen Nobelpreis für die Entwicklung eines Geschäftsmodells ausgezeichnet wurde, in dem wirtschaftlicher Erfolg und soziale und kulturelle Entwicklung der Gesellschaft integriert sind. SEKEM, was man übersetzen kann als „Lebenskraft der Sonne“, entwickelte in öden und zur Salzwüste verkommenen Bereichen des ehemals üppigen Nildeltas ein landwirtschaftliches Projekt, das inzwischen Wachstumsraten von 30 bis 40 Prozent pro Jahr aufweist. Der Erfolg liegt jedoch nicht allein darin begründet, dass man durch unterirdische Bewässerungssysteme und der Aufzucht einer Baumwollsorte, die ihren Wasserbedarf aus der nächtlichen Feuchtigkeit aufnimmt, ein an die Umwelt angepasstes landwirtschaftliches System geschaffen hat. Während der Arbeitszeit nehmen die je nach Saison 600 bis 2.000 beschäftigten ArbeiterInnen an täglichen einstündigen Fortbildungen zu Landeskunde, Geschichte oder Sprache teil. Gewinne aus dem Exportgeschäft fließen zudem in den Aufbau und Unterhalt von Schulen, Kindergärten und einer Polyklinik. Das Modell ist inzwischen so erfolgreich, dass sich auch Internationaler Währungsfond und Weltbank dafür interessieren.
Mit der Auswahl dieser ReferentInnen präsentieren die VeranstalterInnen eine inhaltliche Bandbreite, mit der man fähig werden will, die Praxis besser analysieren und verändern zu können. Ein Interesse, das man auch mit dem Master Studiengang für Social Banking verbindet. Dass Social und Banking ein Widerspruch sein könnte, bejaht Julian Kühn. Hält jedoch dagegen, dass es mit der GLS-Gruppe und anderen sozial-ökologisch- ethisch-orientierten internationalen Banken und Finanzorganisationen seit rund 30 bis 40 Jahren eine Praxis gibt, die bislang theoretisch noch nicht reflektiert wurde. Einen entsprechenden wissenschaftlichen Diskurs will man nun platzieren.
So will man zunächst ganz praktisch mitkriegen, was es in diesem Bereich überhaupt für Angebote gibt und welche Menschen mit welchen Ideen sich hier bewegen. Anknüpfend daran wird man sich über die Werte und Ethik von gesellschaftlichen Gruppen verständigen. „Werte-Dialogfähigkeit“ nennt das Julian Kühn. Auf dem Hintergrund dieser Analysen sollen dann neue Angebote im Finanz- und Bankbereich entwickelt werden, um Initiativen nicht sagen zu müssen, „das passt nicht, geht wieder nach Hause“. Zudem soll über Management und Personalführung diskutiert werden. „Wenn man sagt, dass man ein wertorientiert geführtes Unternehmen ist, das sozial-ökologisch- ethisch ausgerichtet ist, dann muss da auch eine andere Art des Umgangs mit den Mitarbeitern stattfinden“, findet Massmann. Schließlich wird die Summer School aber auch grundsätzlich: Was macht ein Darlehen für Projekte in der so genannten Dritten Welt mit den Menschen und was bedeutet dies für die Armutssituation? Bedeutet Geld immer Macht? Kann man mit Geld auch anders umgehen? Oder muss man das bisherige Geldwesen nicht komplett hinterfragen?
Bertolt Brecht hat genau das in der Dreigroschenoper getan. So sinniert er weiter über die Gründung einer Bank: “Kann man schon sein Geld nicht erben / Muß man‘s irgendwie erwerben. / Dazu sind doch Aktien besser / Als Revolver oder Messer / Nur das eine ist fatal / Man braucht Anfangskapital. / Wenn die Gelder aber fehlen / Woher nehmen, wenn nicht stehlen?“
Im Gegensatz zu anderen deutschen Banken, die sich mit der Aufarbeitung ihrer Akkumulationsprozesse während des deutschen Faschismus noch sechzig Jahre danach schwer tun, weiß man woher die GLS-Gemeinschaftsbank ihr Kapital hat: von den rund 14.000 GenossenschaftsmitgliederInnen und den mehr als 50.000 KundInnen.