: Der Nebenerwerbsbauer von nebenan
taz-SERIE GÄRTEN (TEIL 3) In seiner Neuköllner Parterrewohnung zieht Falk T. Hanfpflanzen – und steht damit in einer guten Berliner Tradition
■ Gärten sind Sehnsuchtsorte, inbesondere für Großstadtbewohner: Im Gras liegen und träumen, Salat oder Marihuana züchten, die Gießkanne schwingen und den Kampf gegen das Unkraut führen.
■ Die taz hat sich in Berlin auf die Suche nach Hobbygärtnern gemacht. Denn man muss keine Scholle in Brandenburg besitzen, um seine botanischen Neigungen auszuleben. Ein Schrebergarten tut’s auch. Und selbst auf einem Nordbalkon werden die Tomaten irgendwann rot.
■ Der Hang zur Natur lässt sich auch weniger brav ausleben, etwa indem man Verkehrsinseln begrünt und Baumscheiben mit Blümchen bepflanzt. Jeden Freitag berichtet die taz über schräge und weniger schräge gärtnerische Projekte von Menschen mit grünem Daumen.
■ Übrigens: Die jährliche Hanfparade für die Legalisierung von Cannabis startet am 7. August, 13 Uhr, am Fernsehturm, Alexanderplatz.
VON HELMUT HÖGE
Falk T. hat sich für beides entschieden: In seiner Neuköllner Parterrewohnung steht ein kleiderschrankgroßer „Grow-Room“, auf dem Dach hat er noch einige große Kübel – für seine Hanfpflanzen. Oben wachsen sie langsam, aber umsonst und unten schnell, aber teuer. Das Wichtigste an seiner „Home-Box“, die einen Quadratmeter Grundfläche hat, ist die 400-Watt-Natriumdampflampe. Dazu kommen noch ein Ventilator, ein Luftbefeuchter, eine Zeituhr und ein Kohlefilter gegen den Geruch. Die weiblichen Samen, die er für zehn Euro das Stück per Post aus Holland bezieht, keimen in Erde. Dazu braucht es noch verschiedene Kunstdünger. Während der Wachstumsphase benötigen die Pflanzen 18 Stunden Licht täglich, in der Blütephase 12, danach absolute Dunkelheit. Nach drei Monaten kann er sie ernten. Das ergibt vier Ernten im Jahr, wenn er von einer der Mutterpflanzen auf dem Dach Stecklinge nimmt, sogar sechs – jedenfalls wenn es sich dabei um die Sorte „Top 44“ mit kurzer Blütezeit handelt.
Für den gelernten Industriekaufmann aus Konstanz ist die Ernte jedes Mal ein kleines Fest. Wenn er nicht so viel von dem Gras verschenken würde, käme er damit für seinen Eigenverbrauch hin. Das wäre dann reine Subsistenzwirtschaft, meint er, schüttelt aber gleich den Kopf: „Nein, ich hab vergessen, das allein die Stromkosten rund 300 Euro pro Wachstumsperiode betragen.“ Dafür würde das Selbstangebaute aber besser schmecken und turnen. Und weil er sowieso gerne gärtnere und Pflanzen beim Wachsen zusehe, verbinde sich beim Hanfanbau das Angenehme mit dem Nützlichen aufs Angenehmste.
Auf die Frage, ob er keine Angst habe, entdeckt und denunziert zu werden, zuckt er nur mit der Schulter: „Das sind doch bloß so kleine Mengen. Was wollen die mir da groß anhängen? Bisher ist jedenfalls alles gut gegangen. Ich mach das jetzt schon seit fünf Jahren. Damals hat mir eine Mutter aus Steglitz ganz billig einen Grow-Room verkauft, den sie für ihren Sohn angeschafft hatte. Der ist dann aber in die Fitness-Szene abgerutscht – und auf Amphetamine gekommen.“
Wie alles anfing
In Falk T.s Szene redet man gerne über Rauschgifte im Allgemeinen und Haschisch im Besonderen. Er informiert sich außerdem im Internet über Hanf-Neuzüchtungen und neue Hanf-Technologien (zum Beispiel israelische Aquakulturen) und tauscht sich mit anderen Hanfgärtnern aus (etwa über Hanf-Dünger und -Schädlinge). Von ihnen erfuhr er nach und nach auch, wie alles anfing in Berlin.
Ende der Sechzigerjahre klauten die linken Studenten regelmäßig die Hanfpflanzen im Botanischen Garten und rauchten sie auf. Das war schon deswegen von der Leitung nicht hinzunehmen, weil alle Botaniker Nichtraucher waren: „Nein, also Pflanzen verbrennen, das können wir hier alle nicht“, so ihr Sprecher Doktor Zepernick. Seit diesen Diebstählen wird kein Hanf mehr im Botanischen Garten angebaut. Die paar Pflanzen reichten aber sowieso nicht für die sich ausbreitende Studentenbewegung, die den Slogans „Tune in, Turn on, Drope out“ und „High sein, frei sein, Terror muß dabei sein“ vertraute.
Das meiste Haschisch wurde also aus Holland eingeschmuggelt. Da damals auf den Transitstrecken nach Westberlin noch die DDR kontrollierte, wurden deren Grenzer gleich mitbedacht. Probleme gab es erst seit dem Transitabkommen von Willy Brandt: Ab da kontrollierten West-Grenzer – und die waren nicht scharf auf Haschisch, sondern wollten möglichst viele Leute wegen Rauschgiftbesitzes belangen. Ab Mitte der Siebzigerjahre hatte fast jede Landkommune Cannabispflanzen im Garten. Die Pflanzen wurden zwar oft bei den Razzien, vor allem im „Deutschen Herbst“, entdeckt, aber die für Linke quasi zuständige „politische Polizei“ interessierte sich eher für Anarcho-Literatur und -Werkzeuge. Diese Bullen lachten höchstens, wenn sie eine ganze Ernte in der Scheune entdeckten: „Das wär ja was Tolles für unsere Kollegen vom Rauschgiftdezernat“, sagten sie, verrieten denen aber nicht die Fundstelle. Die Kollegen galten bei ihnen als Schwachköpfe.
Aus Holland wurden bald bloß noch die Samen bezogen. Dort veredelte man die Pflanzen immer mehr, so dass deren THC-Gehalt von etwa zehn Prozent kontinuierlich stieg – bis er beim „Skunk“-Gras 20 Prozent erreichte. Neuerdings bei der Sorte „Bobke Marley“ sogar 35 Prozent – es soll sich dabei sogar schon um genmanipuliertes Saatgut handeln. Ebenso stark ist das chemisch hergestellte Haschischöl, das neuerdings gegen Rezept auch an Krebskranke abgegeben wird.
Ende der Siebzigerjahre gab es Landkommunen, wie die „Päng“ bei Nürnberg, die bereits vom Hanfverkauf leben konnte – und zwar nicht schlecht: Die Kommunarden verkauften ihr Gras säckeweise an amerikanische Soldaten. Im hessischen Vogelsberg wurde damals auf Waldlichtungen und in Maisfeldern „Nebelgras“ angebaut: Es turnte zwar nicht, aber von dem beigemengten Tabak wurde einem immerhin leicht schwindlig. In Heidelberg gründete der Hausmeister der Drogenentzugsstation „Release“, Werner Pieper, die „Grüne Kraft“: Man schickte ihm einen Geldschein im Brief und bekam postwendend marokkanisches Haschisch zurück. Später übernahmen die Umweltschützer sein Codewort für ihre Partei: „Die Grünen“. Und Pieper machte aus seinem Namen einen Verlag.
Die Holländer, immer schon vorneweg beim Gewächshausbau, entwickelten in der Zeit die ersten „Grow-Rooms“ für den Indoor-Anbau, die sich schnell auch hierzulande großer Beliebtheit erfreuten: Man konnte damit bis zu 20 Pflanzen großziehen. Zur Not tat es auch der Balkon, gewiefte Denunzianten erkannten jedoch die Hanfpflanzen von der Straße aus und riefen nach der Polizei.
1996 wurde der Hanfanbau legalisiert – allerdings nur für THC-freien Hanf; in Brandenburg legten einige LPGen sofort damit los. Derzeit werden 4.000 Hektar in Deutschland angebaut. Endabnehmer sind unter anderem dämmstoff-, papier- und textilverarbeitende Betriebe. Kurzzeitig entwickelte sich daraus ein regelrechter Hanf-Konsumrausch: Es wurde alles Mögliche hergestellt: Hanf-Kosmetik, -Kekse, -Schnaps und -Bier. 150 Produkte vertrieb das Berliner „Hanfhaus“ zu Hanfhochzeiten. Um Hanf anzubauen, bedarf es aber immer noch eines umständlichen Genehmigungsverfahrens und einer Samenkontrolle. Dafür sind die Pflanzen relativ anspruchslos, sie werden auch auf den sandigen Böden Brandenburgs vier Meter hoch und ihr Anbau wird zudem subventioniert.
In leerstehenden Kartoffellagerhallen und LPG-Stallungen baut man daneben auch noch THC-mäßig hochgezüchteten Hanf für den Rauschkonsum an. Die Polizei kontrolliert neuerdings, ob solche Gebäude einen hohen Stromverbrauch haben. Wenn sie dann auch noch von Hartz-IV-Beziehern genutzt werden, können diese schon fast sicher mit einer Razzia rechnen. In der Stadt bekommt man unter Umständen ähnliche Probleme, wenn man seinen ganzen Keller zu einer Indoor-Hanfplantage ausbaut. Der Spiegel behauptete unlängst: In Deutschland boomt der professionelle Cannabis-Anbau: „Experten beklagen ‚erschreckende Ausmaße‘“.
Bleiben wir bei den Nebenerwerbs-Hanfanbauern, die sich bloß für einige 100 Euro einen kleinen Grow-Room in die Wohnung gestellt haben und damit Selbstversorger geworden sind. Übrigens ist der THC-Gehalt der Pflanzen beim Indoor-Anbau bis zu vier Mal höher, als wenn man sie hier im Freiland anbaut, wo sie nicht genug Sonne abbekommen, dafür aber zu viel Regen. Draußen können deswegen die Blüten verschimmeln, drinnen ist die Ernte von Schadinsekten bedroht. Damit haben jedoch alle Gärtner zu kämpfen.
Falk T. braucht seinen Hanfgarten auf dem Dach, weil er dort seine Mutterpflanzen zieht und weil es ihm dort „natürlicher“ als unten im Schlafzimmer in einem Schrank dünkt: „Das ist schon fast Freiland da oben.“