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Archiv-Artikel

Krieg nach dem Krieg

LIBANON Vor allem Kleinbauern sind darauf angewiesen, dass ihr Land gesäubert wird. Sie können sonst die Familie nicht ernähren

Der ökonomische Druck zwingt Menschen wie Qasim Atwi, die nur oberflächlich gesäuberten Felder zu bestellen oder ungesäubertes Weideland mit ihrem Vieh zu betreten

AUS SOUTAR UND TYROS MONA NAGGAR

Qasim Atwi sitzt unter einem Zitronenbaum im Hof seines Hauses. Der pensionierte Armeeangehörige baut in Plastikgewächshäusern Gemüse an. Auf einem anderen Grundstück pflanzt er Tabak: „Mir persönlich ist noch nichts passiert, aber es bleibt gefährlich. Beim Umpflügen der Erde habe ich Streumunition entdeckt. Ich war zwar in der Armee, aber ich fasse das nicht an.“ Atwis Land ist in den ersten Monaten nach dem Krieg nur oberflächlich nach Streumunition durchsucht worden. Die endgültige Säuberung läuft gerade und wird noch einige Wochen dauern. Trotzdem nutzt der Mitvierziger die Felder. Er braucht den Erlös aus der Landwirtschaft, um seine kleine Rente aufzubessern.

Nur Straßen sind sicher

Hinter Atwi haben sich seine Söhne und Neffen mit ihren Fahrrädern postiert. Die Flächen rund ums Haus dürfen die Kinder nicht betreten. Fußballspielen oder auf Bäume klettern sind ebenfalls tabu. Viele Eltern haben ihren Kindern nach dem Krieg Fahrräder gekauft, damit sie nur auf den sicher geräumten Straßen spielen: „Für kleinere Kinder sind aufblasbare Plastikbecken in Mode gekommen. Irgendwie muss man sie ja von den Feldern fern halten“, sagt Atwi.

Auf dem Nachbargrundstück lebt Marjam Jaghi mit ihrer Familie. Die passionierte Tabakpflanzerin kann viele Geschichten von Streumunition erzählen, einige mit glücklichem, andere mit tragischem Ausgang. Ihre Mutter habe bei der Olivenernte eine Plastikplane unter einem Baum aufgeschlagen. Als sie sich setzen wollte, spürte sie etwas Hartes, das sich als Streubombe entpuppte. Ein junger Mann aus dem Dorf hatte weniger Glück. Er war dabei, die Weinrebe im Hof seines Hauses zu beschneiden, als eine Bombe, die sich in einem Zweig verfangen hatte, explodierte und ihn tötete. Die zierliche Frau zeigt in die Ferne und erklärt, welche Ländereien problemlos betreten werden können und welche nicht. Nirgends stehen Warnschilder. Einige Felder sind frisch gepflügt, auf anderen steht der Tabak kniehoch. Eine Olivenplantage sieht ungepflegt aus. Das Gras ist offenbar seit langem nicht gemäht worden. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass sich mögliche Blindgänger im Gras oder unter der Erde befinden könnten.

Jaghi und Atwi leben in Soutar, einem Dorf im Südlibanon, östlich der Stadt Nabatija. Der Litani fließt einige Kilometer südlich der kleinen Ortschaft. Auf den ersten Blick deutet nichts darauf hin, dass noch vor vier Jahren in diesem idyllischen 4.500-Seelen-Dorf erbitterte Gefechte tobten. Im Krieg zwischen der libanesischen Hisbollah und Israel gehörte diese Gegend im Jahr 2006 zu den am stärksten umkämpften Gebieten. An manchen Wänden und auf einigen Seitenstraßen kann man noch Spuren von Granatsplittern erkennen. Die Häuser sind wieder instandgesetzt, viele Straßen frisch asphaltiert. Am kleinen Rathaus und an der Moschee sind Steininschriften angebracht, auf denen zu lesen ist, dass die Gebäude mit Spendengeldern aus Katar wiederaufgebaut wurden. An den Strommasten im Dorfzentrum hängen Bilder der jungen Männer, die im Krieg gegen Israel gestorben sind, daneben ist das Parteiabzeichen der Hisbollah: grüne Schrift auf gelbem Grund. Die Plakate sind von der Sonne stark verblichen.

Aber der Krieg geht weiter in Soutar. Ungefähr 80 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Flächen und Waldgebiete sind noch von Streumunition verseucht. Sie verbirgt sich unter der Erde, zwischen Felsen, in Abflussrohren, auf Bäumen oder in Trockenmauern. In den letzten Kriegstagen warf Israel ungefähr vier Millionen Sprengsätze über bewohnten Gebieten im Südlibanon ab.

Mohamed Scheich vom LMAC, dem Minenräumzentrum der libanesischen Armee in Beirut, erklärt, dass die israelische Armee 35 Jahre alte Munition verwendet habe. Infolgedessen sei der Prozentsatz der Blindgänger besonders hoch: „Offenbar wollte Israel seine alten Bestände loswerden. Diese Waffen haben kein Verfallsdatum. Sie sind immer scharf. Und je länger sie in der Erde bleiben, desto empfindlicher und gefährlicher werden sie. Durch starken Regen und Sturzbäche ändern sie ihre Position.“ Im Südlibanon sind 43,6 Quadratkilometer davon betroffen. Die Hälfte davon wurde nach Angaben des LMAC inzwischen gesäubert.

Kein Verdienstausfall

Bauern und Hirten gehören zu den am meisten gefährdeten Gruppen. Vier Jahre nach dem Abwurf der Streumunition ist die Bevölkerung in den betroffenen Gebieten über die Tücken dieser Waffen ausreichend informiert. Aber das Wissen bedeutet noch lange nicht, dass sie auch ihr Verhalten ändern – oder verändern können. Schließlich sind viele auf die Land- oder Viehwirtschaft angewiesen. Der ökonomische Druck zwingt Menschen wie Qasim Atwi, die nur oberflächlich gesäuberten Felder zu bestellen oder ungesäubertes Weideland mit ihrem Vieh zu betreten. Sie können sonst ihre Familie nicht ernähren, müssten Schafe und Ziegen verhungern lassen. Entschädigungen und Spenden vonseiten der Regierung oder der Hisbollah für den Wiederaufbau zerstörter Gebäude gab es zwar, aber für Schäden und Verdienstausfälle durch Streumunition kommt niemand auf. Seit Ende der Kriegshandlungen im August 2006 sind 46 Zivilisten durch Streumunition getötet und 340 verwundet worden.

Entsprechend sitzt die Angst tief bei den Südlibanesen, selbst wenn ihre Grundstücke gesäubert wurden. Ali Badawi arbeitet für die Organisation Norwegian People’s Aid (NPA) in Tyros und ist für den Kontakt mit den Dorfbewohnern zuständig. Er sagt: „Das Vertrauen der Bauern kehrt erst nach und nach zurück. Es wird eine ganze Weile dauern, bis sie wieder das alte Verhältnis zu ihrem Boden haben.“ Zunächst bearbeiten die Bauern das Land manuell, um sicherzugehen, dass wirklich keine Bombe mehr da ist. Wenn dann die erste Ernte eingefahren und das Grundstück abermals gepflügt wurde, verschwindet auch allmählich die Angst. Aber wilden Thymian sammeln oder auf die Jagd gehen, beides beliebte Freizeitbeschäftigungen der Libanesen, sind noch nicht wieder möglich. Auch Wanderungen am Litani oder Picknick im Freien sind nicht zu empfehlen.

Nimr Mustafas Haus ist unmittelbar nach Kriegsende von Sprengmunition gereinigt worden. Doch Zweifel oder Ängste bleiben: „Eigentlich müsste ich einige Dinge im Haus reparieren, nach den Wasserleitungen schauen und die Bäder in Ordnung bringen, aber die Vergangenheit hört nicht auf. Ich habe Angst, dass irgendetwas explodiert.“

Zeitpläne zur endgültigen Säuberung des Südlibanons von Streumunition gab es in den letzten Jahren immer wieder. Aber das erwies sich als schwieriger als gedacht. Jan Erik Stoa von der NPA sagt, dass direkt nach dem Krieg viele gedacht hatten, das Problem innerhalb von zwei Jahren lösen zu können. Erst später erkannten die Suchtrupps, dass Munition auch in die Erde eindringt, besonders bei weichem Grund, und es nicht ausreicht, die sichtbaren Stücke einzusammeln. Bereits durchsuchte Gebiete müssen deswegen erneut mit Detektoren bis auf eine Tiefe von zwanzig Zentimeter abgesucht werden.

Weniger Spenden

Die Karten mit den Abwurfstellen der Streubomben, die Israel im Mai 2009 über die UNO-Schutztruppe an Libanon übergeben hat, sind bei der Suche keine Hilfe. Sie bestätigen nur, was wir ohnehin wissen, sagt Christina Bennike von der Organisation MAG International: „Hätten wir die Informationen 2006 erhalten, hätten wir vielleicht noch einige Leben retten können.“

Mohammed Scheich vom LMAC schätzt, dass im Jahr 2014 auf dem ehemaligen Kriegsschauplatz wieder ein normales Leben möglich sein wird. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass dieser Termin realisierbar ist. Denn übereinstimmend berichten die internationalen Organisationen, dass das Spendenaufkommen stark rückläufig sei. Nach dem Krieg von 2006 floss viel Geld, dann wurde es nach und nach weniger, musste Ali Schuaib von MAG International feststellen: „Wir hatten 400 Angestellte, jetzt sind es nur noch 217. Je weniger Geld wir haben, desto langsamer läuft die Suche.“

Lamis Sein, die 32-jährige Leiterin der ersten weiblichen Streubombensuchmannschaft im Libanon, appelliert an die internationale Gemeinschaft, ihre Arbeit weiterzufinanzieren: „Es gibt noch viel zu tun im Libanon, und unsere Familien leben von unserer Arbeit.“ Aber die Spendenbereitschaft hängt jetzt im Wesentlichen von der Ratifizierung der Konvention zum Verbot von Streumunition ab. Der Zedernstaat gehörte zwar zu den Erstunterzeichnern, dennoch hat das libanesische Parlament den Vertrag bis heute nicht ratifiziert. Viele Geberländer haben sich klar geäußert: Es werde erst wieder Geld geben, wenn die Konvention im Libanon Gesetz geworden ist.

Die Gründe für die Verzögerung sind von offizieller Stelle nicht in Erfahrung zu bringen. Hinter vorgehaltener Hand ist von Schlamperei die Rede. Gremien sollen es versäumt haben, den Vertragstext weiterzuleiten. Die Parlamentswahlen im Juni 2009 und der langwierige Prozess der Bildung der Regierung der nationalen Einheit mögen eine Rolle gespielt haben. Andere sagen, etliche Abgeordnete, nicht nur der Hisbollah, hätten Einwände gegen die Konvention angemeldet. Ihre Kritik konzentriert sich auf die Frage der Entschädigung, die im Vertrag nicht geregelt ist, und auf die Ausnahmeregelungen für bestimmte Arten von Waffen, die Israel bei künftigen Kriegen verwenden könnte. Die nächsten Monate werden für den weiteren Verlauf der Streubombensuche im Südlibanon entscheidend sein.