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Archiv-Artikel

In der Szene geirrt

Eine polizeiliche Festnahme läuft aus dem Ruder, als sich Augenzeugen gegen übermäßige Gewaltanwendung äußern. Gegen sechs vermeintliche Autonome sind Strafverfahren eingeleitet

Von KAI VON APPEN

Eigentlich wollten Carsten Peters (Name geändert) und seine Bekannten nur ihr gerechtfertigtes Missfallen zum Ausdruck bringen: Als Polizisten in den frühen Morgenstunden des 9. Juli in der Bernstorffstraße einen Schwarzafrikaner festnahmen, setzten sie ihm noch zu, als er längst überwältigt gefesselt auf dem Boden lag. Als Peters und weitere Besucher einer Ateliereröffnung in Hausnummer 22 hinzu kamen und sich gegen die „ungewöhnlich lange und unverhältnismäßige Gewaltanwendung“ aussprachen, so Peters, lief die Situation aus dem Ruder: Die Beobachter wurden von den BeamtInnen attackiert, sechs Personen landeten zunächst in der Polizeizelle und haben nun Strafverfahren am Hals.

Die Vorgeschichte: Ein Mann soll dabei beobachtet worden sein, wie er am frühen Morgen Autos beschädigte. Mehrere Peterwagen werden über Funk zum Einsatzort auf St. Pauli dirigiert. Der erste Wagen ist nach Polizeiangaben untypischerweise nur mit einem Mann besetzt. „Der Beamte war allein und ist mit einer Schusswaffe bedroht worden“, sagt Polizeisprecher Ralf Kunz zur taz. „Der Mann hat dem Beamten auf den Kopf gezielt.“ Dennoch sei es dem Polizisten gelungen, den Afrikaner zu überwältigen und am Boden zu fixieren. „Er leistete aber erheblichen Widerstand“, so Kunz. Nachdem weitere Streifenwagen eingetroffen seien, hätten die Beamten die Festnahme des am Boden liegenden Mannes unterstützt.

Die BesucherInnen einer benachbarten Atelierparty bekamen den Vorfall mit und liefen auf die Straße. „Die BeamtInnen waren davon überrascht, dass sich binnen kürzester Zeit etwa 50 ZeugInnen einfanden und ihr Vorgehen beobachteten“, erinnert sich Carsten Peters. Daraufhin hätten die PolizistInnen mit „handgreiflicher Gereiztheit“ reagiert. Es sei versucht worden, den Vorfall vor den ZeugInnen abzuschirmen, worüber viele der Hinzugekommenen „ihren Unmut verbal zum Ausdruck“ gebracht hätten.

Ein Weiteres zur Eskalation dürfte beigetragen haben, dass eine Falschmeldung über Polizeifunk ging, der zufolge es sich bei der Menschengruppe um „Leute aus der linken Szene“ handele – Polizeijargon für das Autonome Spektrum. „Dies hat sich jedoch nicht bestätigt“, gesteht Polizeisprecher Kunz nachträglich ein. Gleichwohl rückten insgesamt 25 Streifenwagen an, deren Besatzungen den Betroffenen zufolge unter Gewaltanwendung und Einsatz von Pfefferspray gegen die Zuschauer vorgingen und sechs Personen vorübergehend festnahmen. „Die waren völlig panisch und unprofessionell“, sagt Peters.

Inzwischen sind die Betroffenen mit den Vorwürfen konfrontiert worden. Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, versuchte Gefangenenbefreiung, Körperverletzung, Beleidigung und Landfriedensbruch, so lauten die Vorwürfe. „Alles geschah unter völlig einseitiger Gewaltanwendung durch die Polizei“, beschwört Carsten Peters. „Die Partybesucher haben lediglich ihrem Unmut mit vielen Worten freien Lauf gelassen.“

Trotzdem sind die sechs beschuldigten Personen nun angewiesen auf Zeugenaussagen von Partygästen, die die Ereignisse gesehen haben und nicht von der Polizei festgesetzt worden sind. Denn bei derartigen Vorfällen und Sachverhalten steht häufig Aussage gegen Aussage. Zu den Vorwürfen gegen seine KollegInnen kann und möchte sich Polizeisprecher Kunz nicht äußern. „Wenn die Leute sich falsch behandelt fühlen, können sie ja Widerspruch einlegen“, sagt er, „oder Anzeige erstatten.“

ZeugInnen der Geschehnisse vom 9. Juli sind aufgerufen, sich an den Ermittlungsausschuss Hamburg zu wenden: ☎ 43 27 87 78, info@ea-hh.org