: Vom Förderschüler zum Dozenten
INKLUSION Menschen mit Behinderungen sollen künftig an der Fachhochschule Kiel unterrichten
Vor vier Jahren reichte es Horst Alexander Finke: „Ich hab’ ja nichts gegen Behinderte, aber ich will nicht dauernd mit denen arbeiten“, sagt der Mann, der selbst eine eingetragene Behinderung hat. Finke verließ seinen Arbeitsplatz in der Werkstatt der Stiftung Drachensee in Kiel, fand Stellen in Integrationsbetrieben, schließlich wurde er Bote im Landesfinanzministerium.
Seit einigen Wochen bereitet sich Finke auf eine Hochschul-Karriere vor: Er ist einer von sechs Menschen mit Behinderung, die in einer speziell für sie entworfenen, zweijährigen Ausbildung lernen, wie sie lehren sollen. Angehende Sozial- oder SonderpädagogInnen können dann von den „Expertinnen und Experten in eigener Sache“ unterrichtet werden.
Für das bundesweit einmalige Projekt hat die Stiftung Drachensee Verbündete in der Stadt Kiel, dem schleswig-holsteinischen Bildungsministerium und den Hochschulen des Landes gefunden. Offen ist noch, ob und wie die künftigen Lehrkräfte angestellt werden können. Rolf Fischer, Staatssekretär im Bildungs- und Wissenschaftsministerium, kann sich Posten als „Lehrkraft für besondere Aufgaben“ vorstellen. Denkbar sei, diese Stellen in die Zielvereinbarungen zwischen Land und Hochschulen aufzunehmen.
Gaby Lenz, Professorin der FH Kiel, an der das Modell der „Inklusiven Bildung“ erprobt werden soll, ist skeptischer: Ein „Lehrauftrag mit Assistenz“ sei möglich. Dass aber Vollzeitstellen entstehen, wie es im Projekt vorgesehen ist, hielte sie bei einer Podiumsdiskussion in der Kieler Kunsthalle für schwierig – die künftigen Dozenten dürften im Grunde nicht einmal studieren, da ihnen entsprechende Schulabschlüsse fehlen. Dass sie Hausarbeiten bewerten oder Prüfungen abnehmen, „ist in unserem System nicht vorgesehen“, so die Dekanin der FH.
Schon vor einigen Jahren kamen Beschäftige aus den Werkstätten der Stiftung Drachensee an die FH und berichteten Studierenden aus ihrem Leben. Eine von ihnen war Isabell Veronese, die auch bei dem jetzigen Projekt dabei ist. „Aber jetzt ist der Anspruch höher“, sagt die 28-Jährige, die im Rollstuhl sitzt. Der Unterricht sei einn „tolles Training für den Kopf“. Vor der Aufgabe als Lehrende hat sie Respekt, schließlich hat sie selbst nur einen Förderschulabschluss. Aber sie will es schaffen: „Ich bin ehrgeizig.“ ESTHER GEISSLINGER