: Klassisches Orchester besucht Gewerbeschule: Geschichte einer Begegnung
SCHULPROJEKT Ein Jahr lang arbeitet das Ensemble Resonanz mit der Hamburger Berufsschule G sechs zusammen. Inspiriert durch die Konzerte der Streichmusiker entwarfen werdende Raumgestalter und Schneider Kunstobjekte. Besonders gefallen hat ihnen John Adams’ Stück „Shaker Loops“
VON BIRK GRÜLING
Wieder und immer wieder beginnen die Streicher von vorn. Wie in einer Endlosschleife erscheinen in den „Shaker Loops“ des Komponisten John Adams die Noten und Akkorde, werden schneller mit jeder Umdrehung. Das Stück des US-amerikanischen Komponisten aus dem Jahr 1983 hat die Oberstufenschüler der Berufsschule G sechs über Wochen begleitet. Die beiden Klassen sind Teil einer neuen Kooperation zwischen dem Hamburger Ensemble Resonanz und der Berufsschule für Gestaltung.
Ein gesamtes Schuljahr besucht die Musikergruppe immer wieder die Schule an der Hamburger Straße, spielt Auszüge aus ihren aktuellen Stücken. „Viele unserer Schüler kommen das erste Mal mit klassischer Musik in Berührung. Dementsprechend spannend ist der Dialog für beide Seiten“, sagt Klassenlehrerin Nicolette Gahleitner. Die G sechs bildet Berufsschüler in den Sparten Holztechnik, Farbtechnik, Raumgestaltung und Bekleidung aus. Auch können dort fertig ausgebildete Gesellen ihr Fachabitur machen. Zudem gibt es Klassen für Ausbildungsvorbereitung.
An den Treffen mit dem vor allem auf zeitgenössische Klassik und Neue Musik spezialisierten Streicher-Ensemble nehmen alle teil. Der Ablauf ist immer ähnlich: Nach einem Konzert in der Schulmensa erklären die Berufsmusiker ihre Instrumente und erzählen aus ihrem Berufsalltag. Die Konzerte sind vor allem als Inspirationsquelle für die folgenden Projektwochen gedacht: Jeder Ausbildungszweig hat ein eigenes Workshop-Thema, zu dem eine eintägige Ausstellung in der Laeiszhalle entwickelt wird.
Den Projektanfang machten im August die Tischler mit dem Thema „Klangfarben“. Im Dezember beschäftigten sich die angehenden Schneider mit „Glück und Melancholie“. Die beiden Fachoberstufenklassen ließen sich von John Adams inspirieren. Schon vor dem ersten Aufeinandertreffen beschäftigten sich die Raumgestalter und Schneider intensiv mit dem Thema „Heimat“: Auf einer Klassenreise in die Sächsische Schweiz besichtigten sie eine Kunstblumenfabrik, Werkstätten für klassische Schnitzerei und die Semperoper in Dresden. „Aus all diesen Eindrücken und den eigenen ‚Heimat‘-Erfahrungen haben die Schüler die ersten Kreationen entwickelt“, berichtet die Klassenlehrerin.
Im zweiten Schritt besuchten die Musiker des Ensembles die Klassen und spielten Teile des „Heimatwaise“-Programms. Besonders besagte „Shaker Loops“ begeisterten die Schüler: erst Ruhe, Entspannung, dann Angst und Beklemmung, zuletzt eine bis ins Unendliche getriebene Spannung, am Ende fast erholsame Stille – so ihre Beschreibungen. Aus diesen Klangeindrücken entstanden Entwürfe für Kostüme und Kulissen für die Laeiszhalle.
Einzelne Stücke sind noch heute auf den Fluren der Schule zu besichtigen – etwa mit Wirbeln verzierte Oberteile in metallischem Grau, Wolken in Form von Steinen und ein Kleid in Blumenwiesen-Optik.
Ende des Jahres waren diese Arbeiten im Foyer der Laeiszhalle während eines Auftritts des Ensemble Resonanz zu sehen. Für alle eine besondere Erfahrung, wie Gahleitner berichtet: „Die Zuschauer waren begeistert von den Entwürfen und meine Schüler haben in der Pause viele interessante Gespräche rund um ihre Arbeit geführt.“
Auch für den beruflichen Werdegang in der Kreativbranche konnten die Schüler einiges mitnehmen. Sie mussten in kleinen Teams termingenau eine Ausstellung abliefern und zwar in Abstimmung mit anderen Kreativen, also Musikern, Schneidern und Gestaltern.
„Viele meiner Schüler hatten bisher keine genaue Vorstellung, wie eigentlich kreative Berufe arbeiten und leben“, sagt Gahleitner. Bis zum Ende des Schuljahres im Sommer werden noch drei weitere Kreationen der Berufsschule in der Laeiszhalle gezeigt. Die Raumausstatter beschäftigen sich mit dem Thema Fantasie, die Maler und Lackierer mit „Sehnsucht und Nacht“ und die Schüler im Ausbildungsvorbereitungsjahr mit „Verführung und Straßenmusik“.