: „Die Welt braucht zehn Saudi-Arabien“
Im italienischen San Rossore diskutieren Wissenschaftler über „Peak-Oil“ und das Ende des billigen Öls. Denn weltweit werden die Förderkapazitäten knapper, die Nachfrage steigt aber weiterhin. Die ungemütliche zweite Halbzeit des Ölzeitalters beginnt
von MANFRED KRIENER
Der schwedische Physiker und Kongress-Präsident Kjell Aleklett hat die richtige Tonlage gefunden: „Die Welt ist süchtig nach Öl – Zeit für eine Entziehungskur!“ Der Applaus kommt von mehreren hundert Wissenschaftlern aus aller Welt. Sie trafen sich diese Woche in San Rossore bei Pisa zu einer Konferenz, die angesichts des explodierenden Ölpreises unfreiwillige Aktualität genießt.
Das Thema der Experten heißt „Peak-Oil“, die Spitze der Weltölproduktion. Nicht die Menge der Ölreserven und ihre Reichweite sei die entscheidende Zahl, sondern die Förderkapazität: das, was wir täglich aus dem Bauch der Erde rausholen können. Für Chris Skrebowski, Chefredakteur der Petroleum Review, sind die Zahlen zu angeblichen Ölreserven nur eine „akademische Übung“. Er sagt: „Die Tatsache, dass wir noch gewaltige Mengen haben, heißt eben nicht, dass wir auch den Ölfluss sichern können, den wir jetzt brauchen.“
Die in San Rossore versammelten Fachleute sind überzeugt, dass das historische Maximum der Förderleistung unmittelbar bevorsteht. Der Streit, ob der „Peak“ schon dieses Jahr erreicht wird oder erst 2010, spielt keine große Rolle mehr. Man ist sich einig: Die Ölproduktion werde rasch an Grenzen stoßen und nicht mehr mit dem wachsenden Ölhunger Schritt halten. Dann beginne die ungemütliche zweite Halbzeit des Erdöl-Zeitalters. Die Nachfrage nach Öl werde dann größer sein als die Produktion, und der Barrelpreis erst recht durch die Decke gehen. Schon jetzt spiegle der hohe Ölpreis die Endlichkeit der Ressource wider. Skrebowski: „Was sagt uns der Preis? Er sagt voller Verzweiflung, dass wir mehr Öl brauchen!“ Und er sorge dafür, dass die Dritte Welt schon jetzt vom weltweiten Ölmarkt „ausgepreist“ werde.
Nach Angaben der Internationalen Energieagentur lag die weltweite Nachfrage nach Rohöl im ersten Quartal 2006 mit 85,2 Millionen Barrel pro Tag tatsächlich knapp über dem Angebot von 84,5 Millionen. Die meisten Erdölländer fördern bis zum Anschlag, es gibt kaum noch Spielräume. Die Wissenschaftler präsentierten in San Rossore gute Argumente für ihre These der bevorstehenden Wende:
Erstens: Alle großen Ölfelder sind schon vor Jahrzehnten gefunden worden. Zweitens: Seit den 60er-Jahren nehmen die jährlichen Ölfunde ab. Drittens: Seit 1980 übersteigt der Ölverbrauch die Neufunde, die Schere wird immer größer. Viertens: Dem historischen Maximum der Ölfunde folgt irgendwann das Maximum der Förderung. Fünftens: Außerhalb von Opec und GUS ist die Produktion bereits rückläufig. Die USA, Norwegen und Großbritannien verzeichnen starke Einbrüche ihrer Förderung. Und sechstens: Die Hälfte der Ölreserven ist verbraucht.
Präsident Aleklett erinnert an die offiziellen Prognosen. Bis 2030 soll der Rohölverbrauch von heute 85 Millionen Barrel pro Tag – das ist ein Güterzug voller Öl von 2.600 Kilometern Länge – auf dann 121 Millionen klettern. „Das ist völlig unmöglich!“ Als Beleg zitiert er den früheren Chef der saudischen Ölproduktion, Saddad al-Husseini: „Die Welt braucht zehn neue Saudi-Arabien, um vor der Ölverknappung gefeit zu sein.“ Aleklett: „Warum hören wir nicht auf ihn?“
Es geht nicht nur ums Öl, sondern um Macht und Politik. Der Geologe Colin Campbell, Initiator und Vaterfigur der Peak-Oil-Bewegung, erwartet neue weltpolitische Formationen. Dem mächtigen Energiekrösus Russland werden die energetisch ausgebluteten USA und Europa gegenüberstehen. Der Nahe Osten werde von der Verknappung profitieren und „in nie gekanntem Ausmaß Petrodollars aus der Erde pumpen“. Campbell schließt mit einem weiten Blick in die Zukunft. Im 22. Jahrhundert, sagt er, werden die Bischöfe Gott danken, dass der Fluch des Ölzeitalters endlich vorüber ist.