Gut für die Work-Life-Balance

BILDUNGSURLAUB Arbeitnehmer in Berlin können laut Gesetz jedes Jahr einige Tage bezahlten Urlaub zur Weiterbildung nehmen. Wahrgenommen wird das aber nur von wenigen

Bildungsurlaub kann auch für die allgemeine und politische Bildung genutzt werden

VON TILMAN VON ROHDEN

Eine Woche Segeltörn im Wattenmeer, um untergegangene Dörfer und den Kampf zwischen Küsten- und Naturschutz zu begreifen. Im schönen Hamburg dagegen lernt man schreiben, und zwar „kreativ“ und „poesietherapeutisch“, geeignet für alle, „die das kreative Schreiben in ihrem beruflichen oder privaten Umfeld einsetzen möchten“. Die Angebote an gesetzlich garantiertem Bildungsurlaub sind zur Freude der Arbeitnehmer wahrlich bunt und vielfältig. Arbeitgeber dagegen bringen solche exotischen Veranstaltungen oftmals auf die Palme, denn sie sollen dafür blechen.

Strittig ist der Bildungsurlaub insbesondere deshalb, weil er längst nicht nur der unmittelbaren beruflichen Qualifikation dienen soll. Er kann genauso gut für die allgemeine und politische Bildung genutzt werden. Alles, was demokratisches und rechtsstaatliches Handeln fördert, taugt im Prinzip für einen Bildungsurlaub. So urteilte das Bundesarbeitsgericht 1995, dass eine Angestellte einer Parfümfabrik für das Seminar „Nordsee – Müllkippe Europas“ freizustellen ist (Az. 9 AZR 666/94). Denn das Seminar verbessere ihr Verständnis „für die politischen Rahmenbedingungen des Umweltschutzes“, urteilten die Richter.

Wirtschaftsverbände wie die Unternehmerverbände Berlin Brandenburg (UVB) haben „mehr Interesse an beruflicher Bildung“, sagt UVB-Tarifexperte Andreas Fleischer. Seiner Meinung nach sollten „Bildungsurlaube mit allgemeinem oder politischem Charakter außerhalb der Arbeitszeiten stattfinden“. Wenn mehr oder weniger jeder Arbeitnehmer von seinem Recht Gebrauch machte, führe dies zu „erheblichen Personallücken in den Betrieben“.

Diese Angst hat man bei dem Berliner Sozialträger für Wohnungslose und Suchtkranke, Gebewo, nicht. Das Unternehmen unterstütze Bildungsurlaube vorbehaltlos, so Gebewo-Geschäftsführer Robert Veltmann. Denn Bildungsurlaub unterstütze die Work-Life-Balance. Die Mitarbeiter seien danach besser motiviert, was zu einem niedrigen Krankenstand führe. Veltmann vergleicht Bildungsurlaube mit medizinischer Vorsorge: „Prinzipiell gut und sinnvoll, manchmal tut es aber ein bisschen weh.“ Alles in allem werde Bildungsurlaub in seinem Unternehmen dennoch nur „wenig genutzt“.

Diese entspannte Haltung ist für Arbeitgeber nicht gerade typisch. Dabei führt Bildungsurlaub nach Angaben des Berliner Fachanwalts für Arbeitsrecht, Mike Schinagl, nur äußerst selten zu Rechtsstreitigkeiten. Prozesse um Bildungsurlaub seien von seiner Kanzlei bisher nicht geführt worden. Manchmal suchten Arbeitgeber wie Arbeitnehmer seinen Rat. „Ich empfehle dann beiden Seiten, auf arbeitsbezogene Themen bei der Wahl der Veranstaltung zu achten.“

Festgelegt ist der Anspruch von Arbeitnehmern auf Bildungsurlaub in den entsprechenden Landesgesetzen. Außer Bayern, Baden-Württemberg, Thüringen und Sachsen haben alle Länder ein Gesetz über Bildungsurlaub. Im Berliner Gesetz ist festgelegt, dass Arbeitnehmer wie auch Auszubildende einen Anspruch auf Freistellung von der Arbeit haben, um sich zu bilden. Dafür gibt es innerhalb eines Zeitraums von zwei aufeinanderfolgenden Kalenderjahren zehn freie Arbeitstage. Bis zu 25-Jährige können zehn Arbeitstage pro Kalenderjahr für Bildungsurlaub nutzen. Diese Regelungen gelten auch für arbeitnehmerähnliche Beschäftigte (freie Mitarbeiter) und Heimarbeiter, nicht jedoch für Beamte.

Arbeitgeber können Bildungsurlaub, der mindestens sechs Wochen vor Beginn bekannt gemacht werden muss, nicht grundsätzlich verweigern. Zwingende betriebliche Gründe oder Urlaubsansprüche anderer können aber einen gewünschten Termin verhindern. Der Arbeitgeber muss für den Zeitraum des Bildungsurlaubs den Lohn fortzahlen, die Kosten für den Kurs und die Unterbringung trägt der Arbeitnehmer. Für Bildungsurlaub kommen allerdings nur eigens genehmigte Veranstaltungen infrage.

Die Berliner Regelungen klingen verlockend, aber die Praxis sieht anders aus. Nach der Statistik haben im Jahr 2008 in Berlin weniger als 1 Prozent der Anspruchsberechtigten einen Bildungsurlaub gemacht. In den anderen Bundesländern ist es ganz ähnlich. Im Bundesdurchschnitt sollen es rund 2 Prozent sein, die Bildungsurlaub machen. In Berlin kamen 2008 die Bildungshungrigen zu 80 Prozent aus der Privatwirtschaft, der Rest arbeitet im öffentlichen Dienst. Der Berliner Gewerkschafter Dieter Pienkny macht die „jahrelange Kampagne“ der Wirtschaftsverbände gegen den Bildungsurlaub für das miese Ergebnis verantwortlich. Zudem sei das Gesetz zu wenig bekannt. Doch wie kann es sein, dass eine Kampagne Erfolg hat, ohne dass die gesetzliche Grundlage bekannt wird? Ganz schlüssig klingt der Standpunkt des Berliner DGB nicht.

Bei der Berliner Senatsverwaltung für Arbeit und Soziales erklärt man die mageren Zahlen dagegen vor allem mit Informationsdefiziten. Zudem seien die Länderinitiativen für den Bildungsurlaub weder untereinander noch mit dem Bund vernetzt. Noch in diesem Jahr soll eine neue Plattform im Internet die Berliner Arbeitnehmer besser informieren. Bislang wird auf der Website der Senatsverwaltung, www.berlin.de, informiert.

Die Idee des Bildungsurlaubs, die nach einer internationalen Verpflichtung 1974 in die jeweiligen Landesgesetze mündete, führt auch heute noch zu emotionalisierten Debatten. Als jüngst das Gesetz im Saarland reformiert werden sollte, preschten mehrere Wirtschaftsverbände vor, um ihre Klientel davor zu schützen, künftig jährlich fünf statt drei Tage Abwesenheit im Betrieb verkraften zu müssen: „Fünf Tage bezahlten Bildungsurlaub für die allgemeine und politische Weiterbildung können und dürfen wir uns am Standort Saarland nicht leisten.“ Die Ausweitung komme überhaupt nur dann in Frage, wenn „der Anspruchsbereich auf die berufsqualifizierende Weiterbildung“ begrenzt werde. Das Ganze stellte sich letztlich als Sturm in Wasserglas heraus. Denn die Novellierung des Gesetzes brachte nur formale Änderungen, um Richtlinien der EU zu entsprechen, obwohl im saarländischen Koalitionsvertrag von CDU, FDP und Grünen eine Ausweitung des Bildungsurlaubs vereinbart war.