: Leihgaben und andere Wunder
WERKSTATT DER STAATSOPER „Lezioni di tenebra“, Lucia Ronchettis Coverversion einer Oper des italienischen Barock klingt wie Neue Musik von heute, nur schöner
Im großen Saal des Schillertheaters, der so groß ja nicht ist, wäre heute Abend Leoš Janášeks „Katja Kabanowa“ zu sehen, inszeniert von Andrea Breth und geleitet von Simon Rattle. Es gibt noch Karten für 84 Euro. Sonst ist das Gastspiel fast ausverkauft – denn mehr als ein Gastspiel ist es leider nicht, was die Staatsoper damit anbietet. Die Inszenierung ist vier Jahre alt, die Premiere fand in Brüssel statt.
Immerhin hat Andrea Breth die Wiederaufnahme in Berlin selbst betreut. Mit Rattle am Pult der Staatskapelle dürfte die musikalische Qualität hier sogar höher sein, als sie es in Brüssel war, und besser kann dieses Werk wohl nicht aufgeführt werden. Breths Regie setzt Maßstäbe an Genauigkeit und Intensität der Zeichnung von Personen, aber auch an Musikalität des Theaterspiels insgesamt.
Am 16. Februar ist dieses Wunder des Musiktheaters schon wieder vorbei, aber es gibt ja nicht nur den großen Saal, den die Intendanz mit solchen Leihgaben anderer Häuser gut zu füllen versteht. Es gibt noch die Werkstatt, die nun wirklich sehr klein und außerdem hässlich ist. Man sitzt immer schlecht und hart, Platz für eine Bühne und ein Orchester gibt es nicht.
Genau dort, unter widrigen Umständen, ist seit gestern aber ein anderes Wunder zu sehen, vor allem aber zu hören: „Lezioni di tenebra“ ist, was die Musik angeht, das genaue Gegenteil. Nichts ist dunkel daran, alles ist hell, durchsichtig und klar. Die italienische Komponistin Lucia Ronchetti (*1963) hat die Oper „Giasone“ von Francesco Cavalli aus dem Jahr 1649 zur Vorlage für ein völlig neues Stück modernen Musiktheaters genommen, das verblüffenderweise immer noch das alte ist. Sie nennt ihr Verfahren „Reduktion“. Was dabei geschieht, ist am ehesten vergleichbar mit der im Jazz seit jeher üblichen Interpretation von Vorlagen. Wenn Monk Ellington spielt, sind immer Ellington und Monk gleichzeitig zu hören.
So ähnlich ist es mit Ronchetti und Cavalli. Sie hat aus dem Libretto 21 Szenen herausgefiltert und die (zahlreichen) Personen mit Sopran, Countertenor und Vokalquartett besetzt, begleitet von vier Streichern, Klavier und Schlagwerk. Hintereinander gespielt, einfach, aber effektvoll in Szene gesetzt von Reyna Bruns und Stefan von Wedel, erzählen sie nicht mehr die Geschichte, sondern prototypische Situationen im Grunde jeder Oper. Alle tappen im Dunkeln, daher der dialektisch ironische Titel, sind blind von Liebesschmerzen und Kämpfen.
Und sie singen. Manchmal ganze Arien, in denen vor allem Daniel Gloger seine Kopfstimme in schmerzhafte Höhen hinauftreiben muss. Oft sind es aber nur Fragment der Melodie oder ihre harmonische und rhythmische Tiefenstruktur, die in Ronchettis neue Klänge übersetzt werden. Die Anforderungen an die Singstimmen sind hoch, aber Olivia Stahn als zweite Solistin, und auch das Quartett von Sopran, Mezzosopran und zwei Baritonen bewältigen sie so glänzend, dass es ein zugleich sinnliches und intellektuelles Vergnügen ist, ihnen zuzuhören.
■ Noch einmal am 2., 7., 10. 2.