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Archiv-Artikel

Die Herzen sind in Israel

Er sieht sich nicht als Sprecher des Landes: Trotzdem verteidigt der Zentralrat der Juden streitbar das Vorgehen Israels

„Man kann kritisieren, dass wir Israel nicht objektiv sehen, wir sind da Partei“, sagt Jan Mühlstein

VON PHILIPP GESSLER

Das europäische Judentum zeigt Flagge für Israel. Vertreterinnen und Vertreter des European Jewish Congress (EJC) wollen am Wochenende nach Israel fliegen, um dort ihre Solidarität mit dem jüdischen Staat zu bekunden.

Dem Generalsekretär des Zentralrats der Juden, Stephan Kramer, zufolge werden voraussichtlich seine Vorsitzende Charlotte Knobloch und er dort ab Sonntag zusammen mit anderen EJC-Mitgliedern politische Gespräche führen – ersten Planungen nach wird es unter anderem ein Treffen mit Ministerpräsident Ehud Olmert geben.

Die Solidaritätsreise deckt sich inhaltlich mit Zeitungsanzeigen, die gestern mit ähnlichem Wortlaut in fast allen europäischen Staaten von jüdischen Organisationen geschaltet wurden. Darin versichern die Verbände ihre Solidarität mit dem jüdischen Staat und bedauern „jedes Opfer der derzeitigen Eskalation“, wie der Zentralrat schreibt. Zugleich wird „die Politik“ dazu aufgefordert, „die Auflösung der terroristischen Hisbollah zu erreichen“. Eine UNO-Resolution verlangt dies seit 2004. Solidaritätsreise wie -anzeigen unterstreichen die Politik des Zentralrats, der seit Ausbruch der Kämpfe öffentlich deutlich und streitbar das Vorgehen Israels verteidigt. Ein Beispiel war die Rücktrittsforderung an die Adresse von Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD). Die Entwicklungshilfe-Ministerin hatte Israels Bombardement von Zivilisten im Libanon „völkerrechtlich völlig inakzeptabel“ genannt. Auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier war kurzzeitig vom Zentralrat scharf kritisiert worden, weil er bei der Bewertung der Krise „offenbar mit zweierlei Maß misst“, wie Vizepräsident Dieter Graumann sagte.

In einem Gespräch mit der taz bekräftigte Graumann den Vorwurf, Wieczorek-Zeul pflege seit Jahrzehnten „israelfeindliche Reflexe“. Von einer Rücktrittsforderung will er nicht mehr sprechen, der Zentralrat habe lediglich „sein Unbehagen ausgedrückt“. Es sei nicht unlogisch, wenn der Zentralrat einerseits häufig unterstreiche, nicht Sprecher der israelischen Regierung zu sein, andererseits nun die israelische Politik verteidige: „Wir vertreten die Juden in Deutschland“, sagte Graumann, „wir sind keine versteckten Israelis.“ Andererseits melde man sich zu Wort, wenn Politiker einseitig über Israel urteilten. Über Verwandte und Freunde dort seien sehr viele der hiesigen Juden von den Angriffen auf Israel „mit betroffen“: „Unsere Herzen sind dort in Israel.“

Ähnlich sagte es Jan Mühlstein, der Vorsitzende der Union Progressiver Juden in Deutschland, der taz: Zwar drücke der Zentralrat derzeit „manches schärfer aus, als ich es formulieren würde“. Nach seiner Einschätzung aber unterstützten derzeit wohl „95 Prozent“ der Juden in Deutschland die Israel-Erklärungen des Zentralrats: „Man kann kritisieren, dass wir Israel nicht objektiv sehen“, sagte Mühlstein, „wir sind da Partei.“ Gleichwohl seien die Juden in Deutschland nicht für das Handeln der dortigen Regierung verantwortlich – und verantwortlich zu machen.

Nach Ansicht des Publizisten Micha Brumlik sind die Worte des Zentralrats womöglich schärfer, weil im deutschen Judentum hintergründig das Gefühl vorherrsche: Israel werde derzeit durch die israelfeindlichen Aussagen von Irans Präsident Ahmadinedschad und dessen Atompolitik „bedroht von einem atomaren Holocaust“. Und diese Feindschaft – wie die der Hisbollah – beruhe, anders als die der Palästinenser, auf reiner Ideologie.