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Archiv-Artikel

Auf Segeltour rund um Istanbul

TÜRKEI Hobbysegler an der türkischen Schwarzmeerküste sind selten. Das Wetter ist wechselhaft und kann sehr unbequem werden. Segler aus Istanbul steuern viel lieber das ruhigere, südlich gelegene Marmarameer an

Tipps für Istanbul

 Istanbul ist eine von drei Kulturhauptstädten Europas: Im Rahmen der Kulturhauptstadt Istanbul fand Ende Mai das erste Mal überhaupt auf dem Bosporus eine große Windjammer-Parade statt. In den letzten Jahren entwickelte sich Istanbul langsam aber sicher zu einem Segelstandort, der auch internationale Bedeutung bekommt.

 Regatten: Zu diesem Zweck werden bereits seit einigen Jahren große Segelregatten auf dem Bosporus organisiert, die sich zunehmend auch internationaler Teilnehmer erfreuen. Organisiert werden die Regatten in der Regel von den Segelclubs, die in einer der beiden großen Marinas der Stadt stationiert sind.

 Segelclubs: * Setur Kalamis Marina, an der Marmarameerküste auf der asiatischen Seite der Stadt, rund 1,5 Meilen vor der Einfahrt in den Bosporus. Die Marina hat Platz für mehrere hundert Boote und bietet Winterlager und allen technischen Service. Infos: Setur Kalamis Marina, Tel.: +90 2 16 4 44 07 38, 26 Kisikli Caddesi Kalamis Istanbul; www.Setur.com.tr * Ataköy Marina, am Marmaraufer auf der europäischen Seite, unweit des Flughafens und etwas weiter von der Einfahrt zum Bosporus entfernt. Die Marina ist etwas kleiner als in Kalamis, bietet aber ebenfalls umfassenden Service und Platz für Gastlieger. Infos: Ataköy Marina, +9 02 12 5 60 42 70, Sahilyolu, 34158 Ataköy Istanbul, www.atakoymarina.com

 In beiden Marinas kann man auch Boote chartern, allerdings spielt Istanbul im internationalen Chartergeschäft noch keine Rolle.

VON JÜRGEN GOTTSCHLICH

Pitschnass von Gischt und Regen waren wir schon. Die Sonne, die eben noch die Wellen des Schwarzen Meeres ab und an zum Glitzern brachte, war jetzt ganz verschwunden. Șile, unser Zielhafen an der türkischen Schwarzmeerküste, schien immer weiter in der Ferne zu verschwinden.

Unser Segelmast ächzte bedenklich, doch noch hielt er. Bäuchlings auf dem Kabinendeck liegend, um den Mastfuß aus der Nähe in Augenschein nehmen zu können, zeigten sich allerdings bedrohliche Veränderungen des Normalzustandes. Die vormaligen Haarrisse im unteren Drittel des Holzmastes hatten sich teilweise zu fingerdicken Spalten geweitet. Es wurde höchste Zeit, die Segelfläche zu verkleinern. Ohne Vorsegel und dem dritten Reff im Groß sah es dann schon wieder etwas weniger bedrohlich aus.

Allerdings kamen wir bei dieser Beseglung kaum noch gegen die steife Brise an, die uns just aus Nordost, von dort, wo der Șiler Hafen lag, entgegenblies. Schließlich warfen wir den kleinen Dieselmotor an und kämpften uns auf einem etwas direkteren Kurs an den Hafen heran.

Als wir es schon kaum noch glauben konnten, tauchten endlich die Hafenlichter in der Dämmerung auf. Halb erfroren liefen wir schließlich im Hafen ein.

Dass man am Schwarzen Meer mit launischem Wetter rechnen muss und es insbesondere bei Nordnordostwind sehr unangenehm sein kann, hatte man uns natürlich vor unserer kleinen Tour schon viele Male gesagt. Nun, das kennt man ja von der Ostsee: Es wird schon nicht so schlimm sein, dachten wir.

Launisches Wetter

Am Schwarzen Meer kommt allerdings erschwerend hinzu, dass die türkische Küste überwiegend steil ins Meer abfällt und wenig bis gar keine Deckung bietet, um eine Verschnaufpause einzulegen.

Liebliche Buchten wie am Mittelmeer gibt es hier nicht, und auch Schutz bietende, vorgelagerte Inseln oder Sandstrände, an denen man notfalls auflaufen kann, sind selten. Man muss es schon bis in einen der wenigen Häfen schaffen, die mit großen Wellenbrechern dem Meer abgetrotzt sind, andernfalls hat man schlechte Karten.

Dafür darf man sich dann auch als Pionier fühlen. Wo immer wir mit unserem kleinen Segelboot am nördlichen Ausgang des Bosporus und den angrenzenden Häfen auftauchten, waren wir die einzigen Freizeitkapitäne. Die Häfen am Schwarzen Meer gehören den Fischern. Auch der Hafen von Șile war vollgepackt mit großen Fischtrawlern, die im Gegensatz zu uns rechtzeitig vor dem heranziehenden Tief die Biege gemacht hatten. Es schien alles vollgeparkt, doch schließlich fand sich noch ein Plätzchen. Anders als in den überlaufenen Segelmarinas am Mittelmeer werden wir hier herzlich in Empfang genommen.

Das eigentliche Revier der Istanbuler ist das Marmarameer

„Wir haben euch schon weit draußen gesehen“, meinte einer der Fischer, der vom Pier aus unsere Leine entgegennahm. Sein Gesichtsausdruck zeigt Respekt und Verwunderung darüber, dass wir bei dem Wetter überhaupt draußen waren.

Die Fischer in den Schwarzmeerhäfen sind in Kooperativen organisiert, die alle eine Art Vereinshaus betreiben, das eine Mischung aus Teegarten und Restaurant ist. Hier ist der Treffpunkt für alle, die gerade nicht auf See sind, und hier wurden wir erst mal etwas aufgepäppelt, bevor man uns in die Nacht entließ.

Verglichen mit Hamburg oder anderen europäischen und amerikanischen Städten am Meer ist Istanbul noch ein Segelrevier im Entstehen. Zwar gibt es sowohl auf der europäischen als auch auf der asiatischen Seite der Stadt jeweils eine Segelmarina für Hunderte von Booten, doch angesichts der fantastischen Lage und der Einwohnerzahl von knapp 15 Millionen ist die Anzahl der Segler doch sehr bescheiden. Segeln gilt noch immer als Elitensport, findet aber in den letzten Jahren mehr und mehr Anhänger.

Das eigentliche Revier der Istanbuler ist das Marmarameer. Dieses Verbindungsstück zwischen der Ägäis und dem Schwarzen Meer ist ideal für Anfänger. Es ist überschaubar, es gibt von Istanbul aus attraktive Ziele in der Nähe, und der Wetterbericht ist sehr zuverlässig. Die meisten Segler bleiben deshalb in aller Regel im Marmarameer oder segeln durch die Dardanellen in Richtung Süden. Der Weg der Argonauten, durch den Bosporus ins Schwarze Meer in Richtung Kolchis, dem heutigen Georgien, ist unter Seglern die absolute Ausnahme.

Denn schon das Stück vom Marmarameer den Bosporus hinauf ist zumindestens für leicht motorisierte Segelboote eine Herausforderung. Die Strömung, mit der das Wasser durch die Meerenge vom Schwarzen Meer ins Marmarameer fließt, kann bis zu sechs Knoten betragen – das entspricht der maximalen Geschwindigkeit unseres Boots, wenn man das Gaspedal bis zum Anschlag durchdrückt.

Fischkutter am Bosporus

Es gab deshalb auch einige Abschnitte, wo wir aufpassen mussten, trotz Vollgas nicht zurückzutreiben. So toll es ist, mit dem eigenen Boot mitten durch die grandiose Kulisse von Istanbul zu gleiten, die Strömung und der enorme Verkehr von Tankern, Frachtern, Fähren bis hin zu Kreuzfahrtschiffen erfordern die volle Aufmerksamkeit und lassen nur selten Zeit, die prächtigen Rekonstruktionen osmanischer Villen am Ufer zu bestaunen.

Nur mühsam ging es voran, und wir mussten jede ufernahe Gegenströmung nutzen, die das Boot weiterträgt. Doch die Mühe lohnte sich. Als wir am Nachmittag in einem kleinen Flusshafen unterhalb der Burg einliefen, die Mehmet II., der Eroberer Konstantinopels, im Jahr 1450 bauen ließ, hatten wir das Gefühl, Istanbul ganz neu kennengelernt zu haben. Der obere Teil des Bosporus wird dann ruhiger und breiter, bei Wind aus südlicher Richtung hätte man sogar segeln können.

Der Weg durch den Bosporus ins Schwarze Meer ist unter Seglern die Ausnahme

Unser nächster Halt in Poyrazköy, am Ausgang des Bosporus, hatte dann mit der Stadt nichts mehr zu tun. Hier liegt ein Teil der Istanbuler Fischereiflotte und wartet auf den Palamut, eine Thunfischart, die in Schwärmen vom Schwarzen Meer in die Ägäis zieht und an der ersten Engstelle gleich in die Netze gehen soll. Nervös manövrierten etliche Fischtrawler in der Eingangsmündung des Bosporus hin und her, damit ihnen kein Schwarm durchschlüpfen konnte.

Oberhalb des Hafens in Poyrazköy, auf einem steil ansteigenden Hügel, liegt wie auf einer Terrasse ein Teehaus, von dem aus man den Hafen und die Meeresenge bequem überblicken kann. Das Teehaus ist der Versammlungsort der alten Kapitäne, die von hier aus beobachten, wie die junge Generation der Fischer sich so macht. Wehe, wenn wieder ein Boot leer zurückkommt. Die Kommentare können ätzend sein.

Als wir am nächsten Tag dann endlich in die Weite des Schwarzen Meeres eintauchten, war es zunächst sehr ruhig. Leichter Wind aus nördlicher Richtung schob uns voran, es wirkte sehr friedlich, auch wenn es stark bewölkt war. Doch das Schwarze Meer wurde seinem Ruf gerecht. Das für den folgenden Tag angekündigte Tief war schneller da als erwartet und erwischte uns weit vor Șile, unserem Zielhafen in östlicher Richtung. Die meisten Fischer hatten die Situation besser eingeschätzt und waren längst im Hafen, als es stürmisch wurde. Nur noch die großen Tanker zogen in der Ferne vorbei.

Hätte unser Mast gehalten, wären wir wohl trotzdem ohne größere Probleme noch in den Hafen gekommen, bevor die Wellen sich richtig aufgebaut hatten. So durften wir den Wellengang voll auskosten. Dafür erlebten wir am folgenden Morgen die Solidarität echter Seeleute. Noch als wir überlegten, wo die nächste Werft sein könnte, kam der Fischer vom Nachbarboot bereits mit einem großen Werkzeugkasten an. Stunden später sah unser Mast aus wie ein geschienter Beinbruch, aber auf dem Rückweg hielt er bestens.