Die neue Fernwärme aus Liberia

HEIZEN Holz kann Kohle und Öl ersetzen. Deshalb bauen Konzerne Biomassekraftwerke. Die größten plant Vattenfall. Der Brennstoff soll unter anderem aus Westafrika kommen. Kann das ökologisch und sozial sein?

Der Ausfall: Wie in Hamburg-Moorburg plante Vattenfall auch in Berlin ein neues Kohlekraftwerk zu bauen. Die öffentlichen Antipathiebekundungen waren aber so deutlich, dass der Konzern beschloss, in der Hauptstadt stattdessen auf Biomasse zu setzen.

Der Einfall: Vattenfall will in den kommenden Jahren drei neue Kraftwerke errichten und in den bestehenden neben Kohle auch Holz verfeuern. In einer Klimavereinbarung verspricht der Energieversorger, seinen CO[2]-Ausstoß bis 2020 im Vergleich zu 1990 um die Hälfte zu reduzieren. In die Umrüstung will Vattenfall 1,5 Milliarden Euro investieren.

AUS BUCHANAN UND BERLIN MARC ENGELHARDT
UND JOHANNES GERNERT

Als Frank May gerade ins Büro gefahren ist, hat er an das Brennholz gedacht, das auf den Plantagen in Brandenburg wächst. Er hat sich Sorgen gemacht, dass es vertrocknen könnte in dieser Sommerhitze. Die Kautschukbäume in Liberia beschäftigen ihn weniger, obwohl sie einmal genauso Energie für die drei neuen Kraftwerke in Berlin liefern sollen. Liberia ist mehr als 5.000 Kilometer weit weg. Liberia läuft bei Dr. Frank May, dem Vattenfall-Vorstand, unter „internationaler Markt“. Liberia, sagt er, das könnten auch die USA sein oder Russland. An einem Ort der Welt entsteht etwas, an einem anderen wird es gebraucht. Ganz normale Wirtschaft.

Bäume werden irgendwo gefällt, zu Schnitzeln gehäckselt, auf Schiffe verladen, auf Lastwagen, bis sie in einigen Jahren auf einem Rost der Berliner Vattenfall-Kraftwerke als Biomasse verbrennen. Es dürften dann auch Kautschukbaumschnitzel aus Liberia darunter sein. „Wir brauchen internationale Biomasseströme, um eine CO2-Minimierung zu erreichen“, sagt Frank May, Geschäftsführer der Vattenfall-Tochter New Energy.

Vattenfall plant für den Biomassemarkt

May sitzt an dem runden Tisch in seinem Büro, weißes Hemd, kurze Ärmel. Der Diplomingenieur sieht hinter seiner eckigen Brille aus wie einer, der immer eine Eins in Mathe hatte. Im Glas vor ihm kleben Milchschaumreste. Unter einer Klarsichtfolie stecken die Präsentationszettel mit den Zahlen. Morgen wird er sie noch einmal vorstellen, intern. Das Biomassepotenzial.

Das Verbrennen von Holz ist für Vattenfall eine Zukunftstechnologie. Der Konzern muss seinen CO2-Ausstoß senken, das verlangen Klimavereinbarungen, das verlangt die Öffentlichkeit. Bäume binden, während sie wachsen, so viel Kohlenstoffdioxid, wie beim Verbrennen aus den Schloten quillt. Holz wirkt für Energiekonzerne wie eine Chance, wie ein sinnvoller Ersatz für Kohle oder Öl. Wie viel es weltweit noch zu fällen gäbe, das zeigt Frank Mays Zettel, auf dem bunte Balken aus allen Kontinenten sprießen. „Liberia ist nur ein erster Schritt“, sagt er.

Deshalb hat Vattenfall dort investiert und sich 20 Prozent einer Firma gesichert, die Kautschukbäume zu Holzchips hackt. Deshalb gibt es in Deutschland jetzt Ärger. Das Unternehmen, das von Greenpeace vor zwei Jahren wegen seiner vielen Kohlekraftwerke zum klimaschädlichsten Stromanbieter ernannt wurde, befindet sich in Verteidigungshaltung. Der Unterschied ist diesmal nur, dass der Energiekonzern etwas mit einem gewissen Ökoanspruch ausprobiert. Die drei Berliner Biomassekraftwerke werden zu den größten in Europa zählen.

Bevor ihr Bau überhaupt beginnt, sind sie schon zum Testfall geworden. Können diese Anlagen klimafreundlich sein, wenn das Holz aus dem Ausland importiert wird, aus Afrika? Ist das „Ökoimperialismus“, wie Hauptstadt-Grüne beklagen?

Eine lässige Handbewegung der Baustellenleiterin, dann dröhnt der Motor der riesigen Sägemaschine über diese kahlen Hügel, eine Stunde von Liberias Hauptstadt Monrovia entfernt. Ein Roboterarm greift sich mehrere Stämme und schiebt sie in den Maschinenschacht, wo rotierende Messer das Holz in Stückchen, groß wie Streichholzschachteln, schneiden. In der Luft hängt Sägemehl und der Gestank von Maschinenöl. Die Holzchips regnen in bereitstehende Lastwagen. „Zwanzig Minuten, dann ist ein Truck voll“, brüllt die bullige Britin. Im Minutentakt verschwinden so Bäume, die vor Jahrzehnten auf der damals größten Kautschukplantage der Welt gepflanzt wurden. Aus dem Naturkautschuk macht der Reifenhersteller Firestone seit mehr als achtzig Jahren Reifen. Seit Anfang Januar ziehen Maschinen die toten Kautschukstämme aus dem Boden – wie faule Zähne. Zurück bleiben nackte Hügel, kilometerweit.

Ein Ire will helfen und das Richtige tun

Liam Hickey steht im Schatten der dröhnenden Sägemaschine. Hickey ist Direktor von Buchanan Renewables, der Firma, die hier fällen und häckseln lässt. Der Ire hat vorher für einen Handyhersteller gearbeitet. Für ihn ist das hier nicht nur ein Job: „Ich würde es nicht machen, wenn es nicht das Richtige wäre.“ Sein blau kariertes Hemd trägt er über der Hose, eine getönte Designerhornbrille unter den rotbraunen Haaren. Zu Hickeys Arbeit gehört es auch, zu erklären, warum es sinnvoll ist, Holz für Biomasseanlagen gerade von diesen liberianischen Hügeln zu holen. „Ein Kautschukbaum“, sagt er, „produziert vielleicht dreißig Jahre lang Kautschuk, danach ist er wirtschaftlich tot.“ An Kautschukbäumen herrscht in Liberia kein Mangel: Bis zum Bürgerkrieg in den 90er Jahren exportierte kein anderes Land so viel Naturkautschuk. Dann stürmten die Kindersoldaten des Kriegsherrn Charles Taylor das Land. Sie plünderten und vergewaltigten. Die Truppen des Putschisten Samuel Doe, der ab 1980 herrschte, waren nicht weniger gewalttätig. Überall kämpften Rebellen. Die Bevölkerung floh, auch von den Plantagen.

Fast zwei Jahrzehnte lagen die Farmen brach. Heute sind viele verlassen, und den zurückgekehrten Bauern fehlt das Geld, um neue Setzlinge zu pflanzen. „Da kommen wir ins Spiel“, sagt der Ire Hickey. „Wir holzen die alten Kautschukbäume ab, bezahlen für das Holz und ersetzen sie durch neue.“ Die alten Bäume wirft der Roboterarm zum Schreddern in den Schacht. Zehntausende Tonnen von Holzchips, die unten herausrieseln, werden als Brennstoff verkauft. Allein Vattenfall will eine Million Tonnen abnehmen, auch für deutsche Kraftwerke.

In Deutschland gibt es zurzeit gut 250 Biomasseanlagen, fünfmal so viele wie noch vor zehn Jahren, stellt das Deutsche Biomasseforschungszentrum fest. Bisher würden vor allem „holzartige Reststoffe“ verbrannt. Dieser Markt für die Abfälle von Sägewerken und Tischlereien ist aber umkämpft. Die Nachfrage ist viel größer als das Angebot.

Der Bauer bekommt 1,50 Dollar für die Tonne. Verkauft wird das Holz für 55 Dollar. Das ist 37-mal so viel

Vattenfall braucht massenweise Holz. Im Plan steht allein für Berlin gut eine Million Tonnen jährlich, ab 2020. Das Holz soll das schwarze Kohle-Image des Konzerns aufhellen. Die umliegenden Brandenburger Forsten reichen nicht, um die geplanten Berliner Kraftwerke zu versorgen, das Unternehmen muss auch anderswo suchen. Die in Liberia nutzlosen Bäume werden in Deutschland gebraucht. Es klingt nach einer Lösung.

Umweltschützer warnen aber, dass es zu viel Kohlenstoffdioxid-Emission verursachen könnte, Millionen Tonnen Holz um den Globus zu transportieren.

Im Hafen von Buchanan liegen schon riesige Berge von Holzchips, die verschifft werden sollen. Dafür hat Buchanan Renewables die Kais renoviert. Ein Rheindampfer aus den Niederlanden wurde übergeführt. Statt wie bisher Kohle soll er bald Baumstämme über den Saint-John-Fluss transportieren. Die Route übers Wasser ist die einzig rentable, weil es in Liberia nur wenige Straßen gibt.

Der Weg von Buchanan nach Berlin ist weit. Es ist noch nicht klar, ob er über Hamburg führen wird, vielleicht über einen anderen deutschen Hafen. Es lässt sich noch keine exakte Umweltbilanz errechnen. Im Vergleich zur Kohle fällt sie besser aus. Auf mehr als 80 Prozent hat ein Report der EU-Kommission die CO2-Ersparnis von solcher Biomasse gegenüber fossilen Brennstoffen geschätzt. Daran ändere auch der Transport wenig.

Liam Hickey, der Buchanan-Direktor, sieht sich ohnehin nicht als Holzhändler, sondern eher als Entwicklungshelfer. „Wir wollen Holz vor allem von Kleinbauern kaufen und sie unterstützen, wieder eine Existenz aufzubauen.“ Die neu gepflanzten Kautschukbäume müssen sieben Jahre wachsen, bevor Kautschuk gezapft werden kann. „Die Bäume und das Land bleiben im Besitz der Bauern, aber wir kümmern uns in den sieben Jahren um die Pflege“, sagt Hickey. Zwischen die Bäume, verspricht er, setze Buchanan Renewables Nutzpflanzen, damit die Bauern ein Einkommen in der kautschuklosen Zeit haben. „Wir empfehlen Pfeffer, grüne Bohnen oder Erdnüsse.“ Ab dem siebten Jahr, wenn der weiße Kautschuk fließt, sollen die Bauern damit eine sichere Einkommensquelle haben. Nach etwa zwanzig Jahren will Buchanan die Bäume fällen, sodass der Kreislauf von Neuem beginnt. Das ist der Plan.

Hill Vivion kennt die Realität. Er ist einer der ersten Bauern, mit denen Buchanan Renewables einen Vertrag abgeschlossen hat. Vivion ist 67 Jahre alt. Er wohnt nicht weit vom Stammsitz der Firma. Seine Augen sind vom Rauch des Feuers in seiner kleinen Hütte gerötet, und vielleicht auch von all dem, was sie im Bürgerkrieg sehen mussten. Vier seiner zwölf Kinder sind bei den Kämpfen um Buchanan herum gestorben. Vivion hat sich versteckt und überlebt.

Nach dem Ende des Krieges kehrte er zurück auf die Kautschukbaumplantage, die seine Großeltern angelegt hatten. Als er versuchte, Kautschuk aus dem Stamm zu zapfen, kam nichts mehr. Die Bäume waren tot. Auf das Angebot von Buchanan Renewables ging er sofort ein.

2.460 Bäume hat Hickey vor zwei Jahren auf Vivions Farm schlagen lassen, 5.000 neue Bäume wurden gepflanzt, in einem exakten Raster. Doppelt so viele wie vorher. 1.225 Tonnen Holzchips hat der Schredder aus Vivions Bäumen gemacht, die Tonne zu 1,50 Dollar. „Das Geld ist längst weg“, sagt der alte Mann. „Ich habe eine große Familie, jeder wollte was abhaben.“ Seine Setzlinge sind zu dünnen Bäumchen herangewachsen, die der Wind wiegt. Wenn man ihn fragt, wie viel Geld er mit den Bohnen und Erdnüssen verdient, von denen Buchanan-Direktor Hickey erzählt hat, schaut Vivion erstaunt. „Bohnen? Das Einzige, was hier wächst, ist dieses Gras.“ Deckgras, aus Malaysia importiert. Es soll Schädlinge abhalten.

Nelson Hill steht neben Vivion und nickt. Der junge Liberianer ist nicht weit von hier geboren. Er hält für Buchanan den Kontakt zu den Bauern und organisiert die Austauschaktionen. „Wir haben versucht, zwischen den Setzlingen Bohnen zu pflanzen“, erzählt er. Es hat nicht funktioniert. „Die Bohnen wurden gestohlen, deshalb probieren wir das nirgends mehr.“ Die meisten Liberianer haben keinen Job. Auch geklaute Bohnensaat lässt sich zu Geld machen. Ohne Übergangsfrucht, die er verkaufen kann, ist Vivion auf die Erträge seines kleinen Reisfeldes angewiesen: „Wir haben sonst nichts, meine Söhne sind arbeitslos.“

Nelson Hill steigt in seinen weißen Landcruiser und fährt weiter. Hill Vivion bleibt zurück. Von Buchanans Gewinnen sieht er wenig.

Der Stoff: Das Holz für die Biomassekraftwerke stammt aus Tierparks, Forsten und Plantagen, soll aber auch von anderen Kontinenten importiert werden. Es gilt gerade für Fernwärme als sauberer Ersatz für Kohle und Öl, weil es genauso gut zu speichern ist, jedoch eine bessere CO[2]-Bilanz hat.

Das Zertifikat: Holzkraftwerke werden über das Erneuerbare-Energien-Gesetz gefördert. Für feste Biomasse gibt es keine anerkannte Zertifizierung. Vattenfall will versuchen, eigene Kriterien so streng zu halten, dass künftige gesetzliche Regelungen eingehalten würden. Es geht um den CO[2]-Ausstoß und die sozialen Bedingungen.

Menschenrechtler: fast wie zu Zeiten der Sklaverei

Wenn es Nacht wird, legt sich die Dunkelheit über Liberias zweitgrößte Stadt Buchanan. Strom gibt es nur da, wo Geschäftsleute am Abend einen ratternden Dieselgenerator anwerfen. Der einzige andere Brennstoff ist Holzkohle. Sieben Jahre nach Ende des Bürgerkriegs haben selbst in der Hauptstadt Monrovia längst nicht alle Viertel Strom. Der Generator des staatlichen Energieversorgers erzeugt nur vier Megawatt und fällt oft aus. Bislang hat sich kein Investor getraut, Liberias altes Wasserkraftwerk instand zu setzen. Das Risiko, dass es wieder Krieg gibt, ist zu groß.

Buchanan Renewables plant nun ein Biomassekraftwerk, das 36 Megawatt erzeugen und eine verlässliche Stromversorgung garantieren soll. „Wir machen das als Social Investment“, sagt Hickey, der Buchanan-Direktor. Ein Teil der Profite fließe in ein Gesundheitsprogramm, in den Aufbau von Berufsschulen. Das Unternehmen gehört mehrheitlich der Stiftung des kanadischen Millionärs John McCall MacBain. „Aber rechnen muss sich das Investment natürlich trotzdem“, stellt Hickey klar.

Für den Profit muss möglichst viel Holz gefällt werden. „Wir haben hohe Fixkosten, Gewinne machen wir nur durch die Menge“, sagt Hickey. Vattenfall zahlt nach seinen Angaben pro Tonne 55 US-Dollar, das sind 42,50 Euro – und ist das fast 37fache dessen, was Hill Vivion dafür bekommen hat. Um den Output zu erhöhen, soll am Standort des Kraftwerks ein neuer Häcksler installiert werden. „Damit können wir im Jahr mehr als eine Million Tonnen Holzchips herstellen.“ Mithilfe von Satellitenbildern hat Buchanan Renewables hochgerechnet, dass es in Liberia etwa 250.000 Hektar Kautschukplantagen gibt. Das wären mehr als 60 Millionen Tonnen Holz.

Obwohl die meisten Plantagen Kleinbauern gehören, kommen derzeit noch zwei Drittel der Holzchips von Großplantagen, vor allem von Firestone. „Wir hoffen, dass wir eines Tages nur noch auf ein Drittel von Großplantagen angewiesen sind“, sagt Hickey. Auch die kleinen Plantagen aber gehören nicht den kleinen Leuten. Das Land, sagt Thomas Nah, ist im Besitz weniger einflussreicher Familien aus der politischen Klasse. Durch das einzige Fenster in seinem Büro in Monrovia dringt das Rumpeln der Lastwagen von der nahen Ausfallstraße herein. Es ist heiß und stickig, der Direktor von Transparency International Liberia hat keinen Strom, um eine Klimaanlage zu betreiben.

Bis zum Putsch vor dreißig Jahren herrschte in der Republik, die befreite amerikanische Sklaven 1847 gründeten, nur eine kleine Clique zugewanderter Amerikoliberianer. Die Ureinwohner, die 95 Prozent der Bevölkerung ausmachen, wurden von den ehemaligen Sklaven und ihren Nachkommen kaum anders als Sklaven behandelt. Die Einwanderer, reiche Beamte und Kaufleute aus Monrovia, kauften Kautschukplantagen und ließen sie von den Einheimischen bestellen. „Es war ein Apartheidsystem, und jene, die es damals unterstützt haben, profitieren jetzt von Buchanan Renewables“, sagt Nah. Mit dem Wiederaufbau der Plantagen, warnt er, werde das alte Unrecht manifestiert. „In den Achtzigern und Neunzigern hat das zum Bürgerkrieg geführt; das kann wieder passieren.“

Bei den Großbetreibern wie Firestone, von denen Buchanan Renewables derzeit den Großteil des Holzes bezieht, herrschen nach Angaben liberianischer Menschenrechtler Zustände wie zu Zeiten der Sklaverei. Sie beklagen, dass die Zapfer für 3 Euro Tageslohn 550 Bäume abarbeiten müssen, was sie nur mithilfe ihrer Kinder schaffen können. Das alles ohne Handschuhe oder Schutzhelme. Gifte aus der Kautschukbehandlung würden ungeklärt in Bäche eingeleitet, die den Dörfern als einzige Trinkwasserquelle dienen. Die von Buchanan Renewables neu gepflanzten Plantagen schaffen Arbeitsplätze für Zapfer. Die Frage ist, ob das wünschenswert ist. Und die Frage ist auch, wie sich solche Zustände mit den Ansprüchen eines europäischen Energieunternehmens vertragen.

Liberia, sagt Vattenfall-Vorstand Frank May, könnte auch Russland sein. Ganz normale Wirtschaft

Vor seinem leeren Latte-macchiato-Glas sagt Frank May in der Berliner Vattenfall-Zentrale, dass man zurzeit Kriterien für die Nachhaltigkeit erarbeite, für eine Zertifizierung. Feste Biomasse ist ein neuer Markt. Es existieren noch keine Standards wie für die flüssige, für Sprit aus Raps oder für Ethanol. Vattenfall könnte sich um ein Zertifikat des Forest Stewardship Council bemühen, einer internationalen Organisation, die „verantwortungsvolle Waldwirtschaft“ fördern will. Im Netz haben Firmensprecher das angekündigt. Wird der Konzern es tun? „Gehen Sie davon aus, dass wir einen nachhaltigen und vernünftigen Kriterienkatalog vorlegen werden“, antwortet May. Es wird auch um Arbeitsbedingungen gehen müssen, um die soziale Frage.

Nelson Hill muss die Vorgaben für den Umweltschutz und für die Arbeitsbedingungen irgendwann auf den Äckern in Liberia umsetzen. Mit seinem weißen Landcruiser fährt er auch zu Sam Bonwin, der eine halbe Stunde von Buchanan entfernt lebt. 4.000 Bäume hat Buchanan Renewables auf Bonwins Plantage gefällt und danach 9.000 Setzlinge neu gepflanzt. Doch weil die meisten gestohlen wurden, ist das hüglige Feld noch immer so nackt wie vor einem Jahr. Wind und der starke Regen haben einen guten Teil des Bodens abgetragen, trotz der tiefen Abflussrinnen. Das zeigen die Messstäbe, die Buchanan Renewables selbst aufgestellt hat.

Sam Bonwin, der Bauer, ist 58 Jahre alt. Er hat bis vor elf Jahren als Anwalt in Monrovia gearbeitet. Jetzt sieht er jeden Tag, der beim Warten auf die Setzlinge vergeht, mit Sorge. Buchanan Renawables fordert, dass er seine Felder bewachen lässt. Erst dann soll er neue Setzlinge bekommen. Doch das kann er sich gar nicht leisten. Was ihn außerdem ärgert: Er muss Buchanan von dem Tag an, an dem er Kautschuk zapfen kann, ein Viertel seiner Erträge abtreten, weil er selbst nicht weiß, wie er sie pflegen soll. Früher hat das sein Vater getan. „Das sagt der Vertrag: Das erste Jahr Pflege der Setzlinge ist umsonst; wenn sie sich die weiteren sechs Jahre um die Bäume kümmern sollen, muss ich ihnen 25 Prozent meines Umsatzes geben.“ Nelson Hill bestätigt das. „Das ist unser Standardvertrag.“ Wem die 25 Prozent zu viel seien, der könne verhandeln. Doch mittellose Farmer wie Sam Bonwin oder Hill Vivion haben keine Alternative. Sie müssen akzeptieren, was Buchanan Renewables ihnen zugesteht.

Ökokriterien sind schwer zu kontrollieren

Wenn Vattenfall seinen Kriterienkatalog für die Nachhaltigkeit aufgestellt hat, wird es darum gehen, wie sich kontrollieren lässt, ob Buchanan Renewables die Anforderungen erfüllt. Das könnte in Liberia schwierig werden. Den Antikorruptionskämpfer Thomas Nah beschäftigt die Nähe von Buchanan zur Regierung. John McCall MacBain ist nicht nur Unternehmer, er ist auch der größte private Wohltäter im Land. Nah nennt das nicht social investment, sondern Interessenkonflikt. „Buchanan Renewables hat wegen seiner Spenden sehr gute Verbindungen zu Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf“, sagt er. Nah kritisiert, dass es im wichtigen Energiesektor keine öffentlichen Ausschreibungen gibt. Auf den Staat könnten deshalb unerwartete Kosten zukommen: „Dasselbe Unternehmen, das das Kraftwerk baut, ist später der einzige Lieferant des Brennstoffs, den das Kraftwerk braucht.“ Liberia ist von Buchanan abhängig. Der politischen Einflussnahme seien keine Grenzen gesetzt, was McCall MacBains Doppelrolle so schwierig mache. „Wenn man riesige Spenden zahlt und gleichzeitig Geschäfte mit dem Empfänger macht, ergibt das eine kritische Situation.“

Für 20 Prozent von Buchanan Renewables ist seit einigen Wochen Vattenfall verantwortlich. „Egal woher das Holz kommt, es muss nachhaltig produziert und transportiert worden sein“, sagt der Vorstand Frank May in seinem Büro. Weißliches Abendlicht fällt durch die Rollläden. Er wird sich einmal erkundigen, ob die Brandenburger Bäume genug Wasser haben.

Marc Engelhardt, 38, ist taz-Korrespondent in Nairobi

Johannes Gernert, 30, ist sonntaz-Redakteur in Berlin