: Den Faden verdichten
BUCHKUNST Der experimentelle US-amerikanische Schriftsteller Mark Z. Danielewski erzählt in „Das Fünfzig-Jahr-Schwert“ – mit Worten und Näharbeiten – eine ziemlich geradlinige Schauergeschichte
VON TIM CASPAR BOEHME
Et arma et verba vulnerant – Waffen wie Worte verletzen. Diese einigermaßen betagte Einsicht wird in Mark Z. Danielewskis Novelle „Das Fünfzig-Jahr-Schwert“ so unerwartet wie konsequent enggeführt. Eine Halloween-Geschichte, die von einer Feier erzählt, in deren Geschicke sich ein ungebetener und ziemlich unheimlicher Gast als Geschichtenerzähler einmischt, mit blutigen Folgen. In erster Linie ist es jedoch ein sehr schönes Buch.
Das beginnt beim Einband, dessen Gestaltung einen Hinweis darauf gibt, was die Leser im Inneren erwartet: In unregelmäßigen Abständen ist das Papier des Schutzumschlags leicht perforiert, als wäre ihm jemand mit Nadeln zu Leibe gerückt. Auf den eigentlichen Buchdeckeln darunter erblickt man kunstvoll arrangierte rote Fadenknäule. Auch wenn die Seiten dazwischen unversehrt sind – von der roten Fadenheftung einmal abgesehen –, tauchen die farbigen Nadelarbeiten hier ebenfalls wieder auf, gleichberechtigt zum Text, als Illustration oder Kommentar, je nach Perspektive.
Die Handlung selbst gibt sich so geradlinig wie übersichtlich. Eine geschiedene Näherin namens Chintana ist mehr oder minder unwillig der Einladung zu einer Halloween-Party gefolgt, auf der sie zu allem Übel auch noch auf ihre Rivalin Belinda trifft, die an diesem Abend – als Gast – in ihren 50. Geburtstag hineinfeiert. Chintana hält sich daher lieber an eine Gruppe von fünf Waisenkindern, die von einer Sozialarbeiterin mehr schlecht als recht betreut werden und für die ein Geschichtenerzähler erwartet wird, um sie ein wenig bei Laune zu halten.
Als dieser plötzlich wie ein Schatten aus dem Nichts auftaucht, entspricht sein Vortrag nicht so ganz den Erwartungen der Kinder. „Ich bin ein böser Mann und habe ein sehr schwarzes Herz“, beginnt er, um dann von sich und seiner gleichnishaften Suche nach einer Waffe zu erzählen, zu seinen Füßen eine längliche Kiste, in der, so vermuten die Kinder und der Leser irgendwann, ein Mordwerkzeug auf seinen Einsatz wartet. Chintana fürchtet um das Leben der Kinder, als dieser schließlich ein Schwert präsentiert. Dessen Klinge beendet am Ende tatsächlich auf grausige Weise ein Leben, die Waisen aber bleiben verschont.
Mann mit keinen Armen
Mit seinem Romandebüt „Das Haus“ hat sich Danielewski im Jahr 2000 an die Spitze der US-amerikanischen experimentellen Literatur der Gegenwart geschrieben. Das „House of Leaves“, wie es im Original heißt, ist – ebenfalls lose im Horror-Genre angesiedelt – eine kühne typografische Versuchsanordnung, in der verschiedene Textebenen – zum Teil gespiegelt oder auf dem Kopf – ineinanderlaufen, Wörter schief über die Seite kippen und manchmal nur in der Einzahl eine Seite bestreiten.
Im Vergleich zu diesem Albtraum eines jeden Verlagsherstellers ist „Das Fünfzig-Jahr-Schwert“ nahezu konventionell geraten. Die Sätze verteilen sich lediglich sehr luftig über die Seiten, erinnern an die Verse eines Langgedichts, deren größte typografische Finesse in den farbigen Anführungszeichen besteht, mit denen wechselnde Erzählerstimmen markiert sind. Allein an einer Stelle kippt der Text für einige Seiten um neunzig Grad. Ansonsten herrscht eine strenge Zweiteilung vor: Text findet sich auf den linken Buchseiten, die rechten Seiten sind den textilen Bildern der Künstlerinnen Regina Gonzales, Claire Kohne und Michele Reverte vorbehalten.
Die Fadenbilder deuten die Reise des finsteren Erzählers aus, der sich auf den Weg zum „Mann mit keinen Armen“ macht, um von ihm ein Schwert zu erhalten. Dazu reist er durch mysteriöse Wälder, Täler und Gebirge. Beim Mann mit keinen Armen angekommen, sieht er sich einer verwirrenden Vielzahl von Schwertern gegenüber, die alle sehr spezifischen Zwecken dienen. So gibt es Schwerter, die den Geschmack von Salz töten, andere, die die Farbe Grün töten – und solche, die Leben nehmen.
Nicht nur die geschilderten „Erlebnisse“ dieser Geschichte in der Geschichte haben etwas von Traumsequenzen, auch die Sprache, die gelegentlich in einen etwas antiquiert verschraubten Gestus verfällt, dockt mitunter vernehmlich an das Unbewusste an. Immer wieder baut Danielewski kleine Wortspiele in den Text ein, deren Verkettungen ihre eigenen Freud’schen Versprecher zu enthalten scheinen. Von „Immumifizierung“ ist die Rede, von „Kollillusion“ oder davon, dass die Protagonistin von einem Beschützerinstinkt „insispariert“ wird.
Spiel, Spaß und Entsetzen liegen dabei stets dicht beieinander, was einen der großen Reize dieses Buchs ausmacht. Dessen dramatische Qualitäten hat Danielewski wiederholt in Performances mit verteilten Sprechern und Schattenspielen erprobt. Diese Präsentationsform dürfte am besten geeignet sein, um beim Hörer existenzielle Schauer hervorzurufen, die in der keinesfalls völlig realitätsentrückten Geschichte durchaus angelegt sind. Denn wie Chintana eingangs feststellt: „Fast nichts geht ohne Gewalt!“
■ Mark Z. Danielewski: „Das Fünfzig-Jahr-Schwert“. Aus dem Englischen von Christa Schuenke. Tropen Verlag, Stuttgart 2013, 288 Seiten, 29,95 Euro