piwik no script img

Archiv-Artikel

„Die Normen wurden gewaltsam hergestellt“

Schwule und Lesben feiern heute in Berlin den Christopher Street Day. Aus diesem Anlass führte die taz ein Gespräch mit zwei jungen lesbischen Frauen und einer Transgenderperson über ihren Weg zu sich selbst. Und über ihr Verhältnis zur Frauen- und Lesbenbewegung, die viele Freiheiten erst erkämpfte

Moderation Waltraud Schwab

taz: Heterosexuell ist der Mainstream. Seid ihr anders?

Sevgi Maviyoglu: Ich hatte vor vier Jahren den ersten und einzigen Freund, was ein kurzes Desaster war. Ich kann mich erinnern, dass wir Hand in Hand über die Straße liefen, und ich habe mich zu Tode geschämt.

Und wie ist es mit Freundinnen?

Maviyoglu: Das war für mich immer ganz selbstverständlich. Meine erste Freundin hatte ich mit 16. Aber mit diesem Freund, da bin ich kurz ins Strudeln geraten und hab mich gefragt: Bist du wirklich sicher, bei dem, was du bisher gelebt hast. Bist du vielleicht doch ins Lesbische reingerutscht? Das hat sich dann aber alles schnell geklärt.

Claudia Stritzel: Ich habe früh rausgefunden, dass ich lesbisch bin. Mir wurde entsprechend schnell klar, dass ich ständig so kleine Mini-Outings machen muss, um mich authentisch präsentieren zu können. Von der Gesellschaft werde ich ja immer erst mal als heterosexuell gelesen. Das fängt schon in der Grundschule an. Biologie dritte Klasse: Mann und Frau, Ehe und Kinder.

Wie sieht ein Mini-Outing aus?

Stritzel: Ich erinnere mich an eine Situation, wo die Freundin meiner Mutter mich fragte, wen ich toll finde. Es war klar, dass ich einen Schauspieler oder Klassenkameraden, Hauptsache männlich, nennen soll. Mit 12, 13 musste ich überlegen, antworte ich oder schweige ich lieber.

Marie-Tim Kraft: Bei mir passt das ganze Zweigeschlechtermodell nicht. Dabei ist die Verknüpfung mit der Heterosexualität in dieser Gesellschaft an allen Ecken und Enden deutlich. Darauf fußt sehr viel. Ich werde dabei nicht so wahrgenommen, wie ich wahrgenommen werden will.

Maviyoglu: Wie willst du wahrgenommen werden?

Kraft: Nicht als Mann oder Frau. Die Leute wollen das immer rausfinden. Entweder sie lesen mich als Frau, oder sie finden mich komisch oder – je nachdem wie ich ausgehe – manchmal auch als Typ. Aber immer als Entweder-Oder.

Wann hast du gemerkt, dass du nicht dazu passt?

Kraft: Mit 12 oder so, als ich mich zum ersten Mal in ein Mädchen verliebt habe. Da war klar, ich müsste mich eigentlich in Jungs verlieben. Ich hab angezweifelt, dass ich verliebt bin. Ich dachte, vielleicht will ich nur so sein wie sie. Später kam eine Phase, wo ich auch Affären mit Jungen hatte. Da dachte ich, ich sei bisexuell. Dann mit 17 oder 18 schien mir die lesbische Richtung doch die richtigere.

Wie hast du rausgefunden, dass du weder Mann noch Frau bist?

Kraft: Das war erst in Berlin. Angefangen hat es mit dem Genderstudium. Da merkte ich, dass Geschlecht konstruiert ist, und was das mit mir macht. Natürlich habe ich mich auch nach meinem Coming-out mit 18 schon viel mit Geschlechterrollen beschäftigt und damit experimentiert, als ich merkte, ich pass eh nicht ins Schema.

Stritzel: Noch mal zurück zu dieser provokanten Frage, ob wir anders sind. Ich wusste mit 12 schon, dass ich lesbisch bin. Aber dass ich anders bin, hab ich erst mit 15 gemerkt, als mir klar wurde, dass es nicht so normal ist, sich eine Freundin zu suchen.

Ist es für euch eine Belastung, so zu sein, wie ihr seid?

Maviyoglu: Mich nervt es, muss ich ehrlich sagen. Ich bin auch noch Ausländerin. Mich nervt, dass die Leute sich das nicht vorstellen können.

Was können sich die Leute nicht vorstellen?

Maviyoglu: Als ich vor ein paar Jahren nach Köln zog, hatte ich eine Mitbewohnerin. Von ihr kamen so Fragen wie: Bist du dir denn wirklich sicher? Und: Man sieht es dir ja gar nicht an. Meine Schwester ist auch so eine Kandidatin. Die ist Ärztin und kein weltfremder Mensch. Im Beruf hat sie natürlich mit Homosexuellen zu tun. Aber bitte nicht die eigene Schwester.

Wie haben deine Eltern reagiert?

Maviyoglu: Ich hab schon Schöneres gehört. Meine Eltern sind Muslime, wenngleich nicht gläubig. Aber die kennen das eben nicht. Wir reden nicht offen darüber. Meine Mutter meint bis heute, dass sich das geben wird, sobald ich den richtigen Mann treffe, am besten einen Juristen. Hast du noch keinen kennengelernt?, fragt sie immer. Nein, Mama. Aber du bist doch so eine hübsche Frau. Ja, Mama. Es ist auch kein Wunder, wenn du keinen findest, so wie du dich kleidest. – Ich habe aufgegeben, es ihr klar machen zu wollen. Es weiß es übrigens sonst niemand außer meinen Eltern und meiner Schwester. Für meine Verwandtschaft ist Lesbischsein wie Sodom und Gomorra. Da könnt ich nicht mehr lachen.

Stritzel: Bei mir ist es anders. Ich bekam schon mit 17 von meinen Eltern vermittelt: Hey, das ist in Ordnung. Ich habe auch viel investiert, habe sie früh teilhaben lassen. Ich erzähle ihnen, dass ich mit meiner 20 Jahre älteren Geliebten in einer nicht monogamen Beziehung glücklich bin. Genauso wie in der monogamen von vor vier Jahren. Darüber können wir sprechen, so dass alles andere als eine wohlwollende Reaktion für mich komisch wäre.

Maviyoglu: Ich finde das Rumgefrage nervig. Ich frag auch niemanden: Warum bist du heterosexuell?

Stritzel: Ich hab Spaß daran, zurückzufragen: Bist du sicher, dass du heterosexuell bist? Meinst du nicht, dass deine Heterosexualität nur eine Phase ist?

Maviyoglu: Das ist cool.

Sevgi, du willst nicht, dass öffentlich ist, dass du lesbisch bist?

Maviyoglu: Auf der Arbeit nicht, weil ich nicht in diese Schiene gedrückt werden will und dann alle Themen, die Homosexualität betreffen, bei mir landen. Für mich gibt es da keinen Diskussionsbedarf. Ich hab auch einen Freundeskreis, der überwiegend lesbisch ist, und da wird über Homosexualität nie gesprochen.

Stritzel: Für mich ist es ständig Thema, und mein Freundinnenkreis ist auch lesbisch.

Kraft: Bei mir hat es bisher nie geklappt, diesen Teil von mir auszublenden. Ich bin ein Kommunikationsmensch. Natürlich muss ich nicht jedem in der U-Bahn sagen, was mich bewegt. Aber mit Menschen, mit denen ich zu tun habe, möchte ich eine Auseinandersetzung darüber, wie ich leben will, mit wem ich leben will. Wenn ich auf heterosexuelle Personen treffe, die nur in zwei Geschlechtern denken, ginge gar nicht, dass ich da nicht auch mal von mir erzählte. Die Normen in unserer Gesellschaft wurden gewaltsam hergestellt.

Wie hat deine Familie reagiert?

Kraft: Mein Vater ist schwul. Das war eine Hilfe, als ich jung war. Ich hatte viel Ärger in der Schule, weil ich nicht so angepasst war. Da hat er zu mir gesagt: Du gehst morgens in die Schule, aber nachmittags zu Hause kannst du sein, wie du willst.

Maviyoglu: Wann hat sich dein Vater geoutet?

Kraft: Meine Mutter starb, als ich 15 war, und danach wurde es für mich und meine Schwester immer klarer, dass er schwul ist. Wir haben so Bücher gefunden. Am Anfang war das schwierig für mich. Ich dachte: Was war das für eine Ehe? Dann hab ich kapiert, dass meine Mutter das lange schon wusste und die beiden trotzdem zusammenblieben.

Die Identitätsfrage hat für dich also schon lange unterschiedliche Facetten?

Kraft: Ja.

Und jetzt hast du so was wie eine Zwischen-allen-Stühlen-Identität?

Kraft: Oder eine Außen-vor-Identität.

Sevgi, du bist Muslimin, bikulturell …

Maviyoglu: … und lesbisch. Ich bin nicht gläubig, aber die Prägung ist da. Ich esse zum Beispiel kein Schweinefleisch.

Stritzel: Na ja, ich bin weiß, deutsch, aus der Mittelschicht, lesbisch. Wobei lesbisch politisch definiert ist. Ich fühle mich als Lesbe, und ich finde es wichtig zu sagen, ich bin lesbisch. Ich finde die lesbische Unsichtbarkeit in unserer Gesellschaft ganz furchtbar.

Politisch definiert – heißt das, du hast auch Sex mit Männern?

Stritzel: Kann vorkommen.

Maviyoglu: Dann bist du doch gar nicht lesbisch.

Stritzel: Was wäre es für dich?

Maviyoglu: Ich bin lesbisch, aber ich hab keine Neigung zu Männern. Ich stehe auf Frauen. Sobald jemand was mit einem Mann hat, geht das für mich in eine bisexuelle Richtung.

Stritzel: Und sexuelle Fantasien – wie ordnest du die ein. Gehört das zur Handlungsebene?

Maviyoglu: Wie meinst du das? Ich habe Fantasien mit Frauen.

Stritzel: Gut, wenn du sagst, lesbisch ist, wenn man auf Frauen bezogene sexuelle Fantasien und Handlungen hat, dann haben wir eine unterschiedliche Definition. Ich mache sexuelle Identität nicht nur am Geschlecht fest.

Wie ist es mit einer Identität als Transgender? Ist sie sichtbar oder unsichtbar?

Kraft: Ich hab mal mit einem Freund, der auch transgender lebt, gesprochen: Mist, ich kann nicht so leben, wie ich will. Er sagte damals zu mir: Hey, du wirkst auf mich gar nicht so verwirrt. Ich wirke für ihn angekommen im Dazwischen. Das hat mir schon geholfen. Ich dachte: Vielleicht gibt es doch eine Möglichkeit, jetzt erst mal so zu leben. Vielleicht finde ich doch einen Platz in dieser zweigeschlechtlich organisierten Welt, an dem ich mich wohl fühle. Mit Lesbischsein kann ich mich teils auch noch identifizieren, aber auf Women-only-Partys fühle ich mich nicht mehr wohl.

Versteht ihr euer Anderssein als politischen Auftrag?

Maviyoglu: Ich versuche, mich nicht aus der Betroffenenperspektive dafür einzusetzen, sondern generell. Ich will nicht, dass jemand aus meinem eigenen Lesbischsein so Schlüsse zieht wie: Ah sie ist selbst lesbisch, deshalb sagt sie das. Ich will nicht in diese Schublade gesteckt werden, ich will mich von einer neutralen Perspektive aus dafür einsetzen.

Kraft: Wenn du dich neutral präsentierst, wirst du dann nicht automatisch als heterosexuell gesehen?

Maviyoglu: Schon, aber ich finde, das Neutrale lässt mir mehr Möglichkeiten.

Spielen feministische Ideen – trotz eurer verschieden identifikatorischen Ansätze – für euch eine Rolle?

Stritzel: Lesben- und Frauengeschichte sind untrennbar miteinander verbunden. Ich studiere Politikwissenschaften, und da ist es immer wieder erstaunlich, wie wenig feministische Ideen eine Rolle spielen, obwohl durch sie so viel in der Gesellschaft erst in Bewegung kam.

Kraft: Ich hatte gestern auf ’ner Party eine Diskussion mit einer 21-jährigen Lesbe, die sich ganz klar von Feminismus und Kampflesben distanziert hat. Das hat mich richtig aggressiv gemacht. Ich hab ihr einen Vortrag darüber gehalten, dass die Freiheiten, die sie jetzt hat, von diesen schlimmen Kampflesben und Feministinnen geschaffen wurden. Dass es lange nicht selbstverständlich war, dass es Partys oder Sporträume für Lesben gibt, ja, noch nicht einmal, dass Frauen selbstständig ein Konto eröffnen konnten. Diese ganze Entwicklung hat sie nicht gesehen. Viele Jüngere interessieren sich nicht dafür. Sie halten ihre Freiheiten für selbstverständlich. Das find ich furchtbar.

Maviyoglu: Wir haben nichts davon, wenn wir uns von Frauen abgrenzen, die das erkämpft haben.

Werden diese ganzen alten Gleichberechtigungsthemen nicht wieder relevanter für euch, da ihr aufgrund der demografischen Lage nun wieder stärker in die klassische Rolle der Frau als Mutter hineingezogen werdet?

Stritzel: Auf jeden Fall. Das Ernährermodell ist überhaupt nicht aufgebrochen. Persönlich habe ich das Glück, dass ich das weniger an mich ranlassen brauche durch mein Umfeld.

Maviyoglu: Ich will viele Kinder. Gar nicht unbedingt eigene. Das ist aber ein ganz großes Problem. Denn zuerst will ich die Ausbildung beenden und dann arbeiten, damit ich mir eine eigene Zweizimmerwohnung leisten kann. Ich will erst mit 34 oder so Kinder, und das als lesbische Frau. Da weiß ich echt nicht, wie. Es muss irgendwie klappen, aber es ist ein ganz großes Unterfangen. Zukunft ist so ein großes Wort.

Stritzel: Ja, weil damit die Hoffnung verbunden ist, so leben zu können, wie es mir entspricht. Ach Gott, nächstes Jahr mache ich das und dann Diplom und dann?

Kraft: Ich plane mit Frauen-Lesben-Trans-Menschen unterschiedlichen Alters ein Kommuneprojekt. Das hat damit zu tun, dass ich mir nicht vorstellen kann, später nur zu zweit mit jemandem zu leben. Ich sehe mich eher in einem weit verzweigten Netzwerk. Da frage ich mich manchmal: Wo werden wir leben? Wie will ich leben? Was tut mir und anderen gut?

Das abgedruckte Interview ist gekürzt. Die vollständige Fassung steht im „Lesbenbewegungsgeschichtsbuch“, das im Frühjahr 2007 im Querverlag erscheint