: Leder ahoi!Werder Bremen: Wer sich bewegt, verliert
FUSSBALL-BUNDESLIGA Nach 103 Tagen der Ödnis beginnt nächste Woche mit dem Supercup wieder die Fußballsaison. Doch vor dem Start der Bundesliga stellen sich Fragen: Wird Werder Meister? Kehrt der HSV nach Europa zurück? Hat der VfL Wolfsburg eine Zukunft? Ist die Hannöversche Krankheit überwunden? Und fährt der FC St. Pauli weiter Fahrstuhl? Fünf taz-Autoren geben Antwort
Die neue Saison beginnt zwar schon am 20. August, aber erst vierzehn Tage später mit Schließung der Wechselbörse haben die Bundesliga-Clubs Planungssicherheit. Vor zwei Jahren vollzog Werder den entscheidenden Transfer von Claudio Pizarro erst nach dem ersten Spieltag. In diesem Jahr könnte der Verein seinen besten Mann, WM-Star Mesut Özil, auch nach dem Saisonstart noch verlieren.
Dabei sind die Meldungen, Özil sei praktisch schon weg, genauso mit Vorsicht zu genießen wie die gestern durchs Dorf getriebene Nachricht: „Özil bleibt“. So sehr die Bremer Fans weitere Auftritte des Mittelfeldspielers herbeisehnen, so wenig dürfte den Werder-Verantwortlichen die reine Vertragserfüllung Özils in den Kram passen. Jetzt könnten sie bis zu 20 Millionen Euro für ihn kassieren, während sie nach dieser Saison keinen Cent mehr für ihn bekommen. Das Geld für die Ablöse, das Real Madrid oder ein anderer Großclub sparen würden, wandert dann zum Teil direkt auf Özils Konto. Kein Wunder, dass der jetzt beteuert, „den Vertrag stets respektiert und mit Freude erfüllt“ zu haben.
Trainer Thomas Schaaf und Geschäftsführer Klaus Allofs haben sich frühzeitig für die Nach-Özil-Zeit gewappnet. Mit dem Österreicher Marko Arnautovic wurde für 6 Millionen Euro ein Offensiv-Spieler verpflichtet, von dessen spielerischem Potenzial Wunderdinge berichtet werden. Und mit dem Brasilianer Wesley sind die Bremer ganz dicht an einem Spieler dran, der im Mittelfeld jede Position besetzen kann.
Unabhängig von der Zukunft Özils wird Werder auch in der kommenden Saison zu den Marktführern in Sachen Offensiv-Fußball gehören. Noch nicht in Sicht sind dagegen Verstärkungen in der Abwehr. Neben einem linken Verteidiger von internationalem Format wird dringend eine weitere Alternative für die Innenverteidigung gebraucht. Naldo laboriert an einer langwierigen Knieverletzung und für Abwehrchef Per Mertesacker interessiert sich angeblich Arsenal London.
Auch wenn Klaus Allofs eine Freigabe von Mertesacker ausschließt: Sollte man sich Ende August im Play Off für die Champions League qualifizieren, ist die Defensiv-Abteilung bei Werder zu dünn besetzt. Zuversichtlich stimmt allerdings, dass niemand das Mikado-Gesetz des Transfergeschäfts so beherrscht wie das Bremer Führungsduo: Cool bleiben. Wer sich bewegt, verliert. RALF LORENZEN
Hamburger SV: Sport ohne Sportchef
Der Hamburger SV startet in die Bundesligasaison mit fünf neuen Spielern, einem neuen Trainer und einem alten Problem. Wer ist Sportlicher Leiter? Dieses Problem schleppt der HSV seit dem 23. Juni 2009 mit, dem Tag, als Dietmar Beiersdorfer sich veranlasst sah, den Posten des HSV-Sportdirektors aufzugeben. Nach zwölf Monaten Schnitzeljagd wurde der Praktikant der Medienabteilung, Ex-Innenverteidiger Bastian Reinhardt, Sportlicher Leiter mit Sitz im Vorstand. Über ihm, aber ohne Sitz im Vorstand, sollte der Spielebeobachter von Bundestrainer Joachim Löw, Urs Siegenthaler, als Spiritus Rector fungieren.
Siegenthaler, 62, hatte den Vertrag mit dem HSV im Februar 2010 unterschrieben, als es nach einer Trennung zwischen dem Deutschen Fußball Bund (DFB) und Löw aussah. Die Springer-Presse und interessierte Kreise im DFB betrieben Löws Ablösung und versuchten DFB-Sportdirektor Matthias Sammer als Nachfolger zu installieren. Nach der erfreulichen WM 2010 bleibt Löw und will sein Team weiter um sich haben. Mit Siegenthaler als Chefscout. Der wollte beides machen: HSV und DFB.
Am heutigen Montag sollte Siegenthaler in Hamburg anfangen. Es gab Kritik an einer Doppelbeschäftigung, die „der Liga schwer zu vermitteln wäre“, wie der Präsident der Deutschen Fußball Liga (DFL), Reinhard Rauball, zu Sport Bild sagte. Widerstand kommt etwa von Karl-Heinz Rummenigge, Vorstandsvorsitzender des FC Bayern München und im Umgang mit Doppelbeschäftigungen erfahren, arbeitet doch der Mannschaftsarzt der Bayern, Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, seit 1995 auch für den DFB. Für Hamburg will Rummenigge das nicht tolerieren: „Entweder arbeitet Siegenthaler für den DFB oder für den HSV.“ Das findet auch DFB-Generalsekretär Wolfgang Niersbach: „Eine Doppelfunktion wird nicht möglich sein. Es läuft darauf hinaus, dass er sich für den DFB oder den HSV entscheiden muss.“
Vor diese Alternative gestellt, entschied sich Siegenthaler vergangene Woche gegen den HSV. ROGER REPPLINGER
VfL Wolfsburg: VW kauft ein
Die interessanteste personelle Veränderung des VfL Wolfsburg 2010 / 11 betrifft die Innenverteidigung, deren mäßiges Funktionieren einen Anteil am Abschwung der vergangenen Saison hatte: Arne Friedrich, 31, kommt von Hertha BSC mit dem bei der WM erworbenen Ruf eines Weltklassespielers. Das muss er jetzt nur im Alltag bestätigen. Der andere Neuzugang auf dieser Position, Simon Kjaer, 21 und WM-Teilnehmer für Dänemark, entspricht stärker als Friedrich dem Profil eines modernen Innenverteidigers, der auch die vertikale Spieleröffnung beherrscht.
Interessant ist auch der Coach: Steve McLaren, 49, ist der erste englische Trainer in der Bundesliga. McLaren, nach seinem Scheitern als Nationaltrainer Englands 2008 praktisch von der Insel verbannt, wurde im vergangen Jahr niederländischer Meister mit Twente Entschede. Er will als Grundsystem 4-2-3-1 spielen lassen, das System, das die WM dominierte.
Das ist neu für Wolfsburg, das seit Jahren 4-4-2 mit Raute im Mittelfeld spielte. McLaren will mit einer Doppelsechs (vermutlich Josue und Neuzugang Cicero) defensiv stabiler werden, aber auch die Fixierung auf Konterfußball abstellen. Am Versuch, Felix Magaths Konterteam auf Ballbesitzfußball umzuschulen, war im Vorjahr Trainer Armin Veh gescheitert – und mit ihm der Versuch, die VW-Tochter nach Platz 5 und dem überraschenden Meistertitel 2009 unter den ersten Fünf festzusetzen. Am Ende war man Achter. McLarens Ziel ist und kann nur sein, „die Möglichkeiten, die der Verein hat, auszuschöpfen und ihn oben in der Bundesliga zu verankern“.
Mitten in der Vorbereitung sah sich Manager Dieter Hoeneß genötigt, offiziell mitzuteilen, dass die Hochqualitätsspieler Dzeko und Misimovic (beide bis 2013 unter Vertrag) blieben, „egal welche Angebote noch kommen“. Edin Dzeko, 24, ist amtierender Torschützenkönig und sicher der beste Fußballer, der bisher für den VfL spielte. Er dürfte auch im neuen System Bundesligaspitze sein. Ob das für das ganze Team gilt, ist nicht seriös einzuschätzen. Neun Teams spielen um die ersten fünf Plätze: Eines davon ist der VfL Wolfsburg.
PETER UNFRIED
Hannover 96: Ohne Moos nix los
Sie suchen noch. Nach einem Mittelfeldspieler, der die unterdurchschnittlich besetzte linke Seite beleben soll. Nach einem Spielmacher, der den Auftritten von Hannover 96 nicht nur Ruhe und Ordnung, sondern auch die lichten und unberechenbaren Momente geben soll, die in der Vergangenheit so selten waren. Und auch nach sich selbst. Angesichts des vorhandenen Kaders sei klar, „dass es nur um den Klassenerhalt gehen kann“, sagt Mirko Slomka, der Trainer.
Ganz freiwillig gehen ihm Sätze wie diese nicht von den Lippen. Vor sechs Monaten, als er die Nachfolge von Andreas Bergmann angetreten hatte und die graugrauen Niedersachsen in einem furiosen Saisonfinale zum Klassenerhalt führte, hatte er noch große Ziele – und sieht sich nun der schweren Aufgabe gegenüber, aus bescheidenen finanziellen Möglichkeiten eine bundesligataugliche Mannschaft zu formen.
Wirklich gelungen ist das aber noch nicht. Der Sportdirektor Jörg Schmadtke und der ihm unterstellte Slomka tun sich in der Rolle als Verwalter des Mangels alles andere als leicht – und haben es noch nicht geschafft, die Lücken, die erfahrene Spieler wie Hanno Balitsch, Arnold Bruggink oder Jiri Stajner hinterlassen haben, gleichwertig zu schließen.
Da erscheint ganz überraschend einer, den viele gesundheitlich und sportlich schon längst abgeschrieben haben, als der große Hoffnungsschimmer am Ende des dunklen Tunnels: Jan Schlaudraff. Der hochbegabte Angreifer, der es bisweilen versteht, Fußball wie Kunst aussehen zu lassen, ist in der Vergangenheit durch viele Verletzungen und eine grandiose Selbstüberschätzung aufgefallen.
Einen Spieler wie ihn könnten sie in Hannover momentan gut gebrauchen. Seine Allüren aber brauchen sie in einer Saison der neuen Bescheidenheit nicht.
CHRISTOPH ZIMMER
FC St. Pauli: Außenseiter mit guten Karten
„Wir sind der krasseste Außenseiter der Liga“, sagt Holger Stanislawski mit Blick auf die kommende Spielzeit, und natürlich muss er als Coach des FC St. Pauli so etwas sagen. Zumal der Klub erstmals seit acht Jahren wieder in der 1. Liga spielt. Doch ohne die Leistungssteigerung zu unterschätzen, die nun erforderlich sein wird: Wenn man sich anschaut, was die künftigen Konkurrenten um den Klassenerhalt (Freiburg, Nürnberg, Hannover, Köln) in der vergangenen Saison boten, muss niemanden am Millerntor der Angstschweiß ausbrechen. Hinzu kommt, dass Mitaufsteiger Kaiserslautern drei Schlüsselspieler verloren hat – Probleme, von denen St. Pauli verschont blieb. Kein Stammspieler hat den Klub verlassen.
Nimmt man die Breite des Kaders als Maßstab, ist St. Pauli noch nie so gut besetzt in eine Erstligasaison gegangen. Der von Schalke gekommene Gerald Asamoah war 2002 Vizeweltmeister, der dort ausgeliehene Peruaner Carlos Zambrano ist aktueller A-Nationalspieler, und Moritz Volz bringt Premier-League-Erfahrung mit. Die namhaftesten Neuzugänge standen in der vergangenen Saison allerdings nur achtmal (Asamoah) oder gar nicht auf dem Platz (Volz). Weiterer Makel: Das Angebot an Abwehrspielern (elf) ist zu groß, ein zusätzlicher Stürmer wäre nicht schlecht.
Optimistisch stimmt, dass das Auftaktprogramm mit Freiburg, Hoffenheim und Köln für einen Aufsteiger ideal ist, um den Rhythmus zu finden. Nicht zuletzt dürfte die neue Haupttribüne, die bei der Heim-Premiere gegen Hoffenheim eingeweiht wird, das Team in seinem Offensivstil beflügeln – bereits die Südtribüne hatte eine ähnliche Wirkung. Dass künftig 24.500 Fans am Millerntor sein werden, wird das Team zusätzlich motivieren. So viele Plätze gab es dort seit der Einweihung vor 49 Jahren noch nie. Prognose: St. Pauli bleibt drin. RENÉ MARTENS