: Aussterben kommt billig
Die alternde Gesellschaft als Chance: Weniger Kinder heißt weniger Ausgaben. Laut einer Studie könnte NRW Milliarden sparen. Doch die Parteien wollen lieber in die Bildung investieren
VON SEBASTIAN HEISER
Die Menschen in Deutschland werden immer älter und bekommen zu wenig Kinder: Was für die Rentenkassen ein Problem ist, ist eine Chance für die Bildung. Denn weniger Kinder brauchen auch weniger Lehrer und weniger Klassenräume. Auf diesen Zusammenhang weist eine aktuelle Studie hin, die die Prognos AG im Auftrag der Robert-Bosch-Stiftung erstellt hat. In Nordrhein-Westfalen wird die Zahl der Schüler in den nächsten 14 Jahren um etwa 17 Prozent zurückgehen. Die Haushalte des Landes und der Gemeinden könnten also laut der Studie im Jahr 2020 im Vergleich zu jetzt 3,1 Milliarden Euro einsparen.
In der Landesregierung gibt es laut Schulministerium noch keine so weit in die Zukunft reichenden Pläne, was mit diesem Demographie-Gewinn passieren soll. Doch im Landtag herrscht Einigkeit, dass das Geld im Bildungssystem bleiben und nicht etwa Haushaltslöcher stopfen soll. Je weniger Schüler es gebe, desto besser müssten diese ausgebildet werden, heißt es etwa aus der CDU-Fraktion. Immer weniger Kinder müssten schließlich später auch die Renten für ihre Eltern finanzieren. Hier gelte die gleiche Marschrichtung wie bei Kindergärten: Auch dort soll das Geld, das durch frei werdende Kindergartenplätze nicht mehr ausgegeben werden muss, für Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren ausgegeben werden (taz berichtete).
Die FDP will nicht nur die Demographie-Gewinne im Schulsystem lassen, sondern noch zusätzlich investieren. Für Bildung und Jugend seien 260 Millionen Euro mehr bereitgestellt worden als im letzten Jahr unter Rot-Grün, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Landtagsfraktion der Liberalen, Ralf Witzel. Die individuelle Förderung jedes Schülers werde durch den demographischen Vorteil sogar noch unterstützt. Witzel: „Die Rechnung liegt auf der Hand: Weniger Schüler teilen sich steigende Ressourcen. Damit erzielen wir in doppelter Hinsicht einen positiven Effekt.“
„Der Bildungshaushalt ist keine Spardose des Finanzministers“ findet auch Sigrid Beer, die bildungspolitische Sprecherin der Grünen im Landtag. Es komme dabei darauf an, das Geld auch richtig zu investieren. Das Schulgesetz der Landesregierung sei dazu der falsche Weg, auch die Reform-Vorschläge der Bosch-Stiftung griffen zu kurz: Man müsse die Trennung von Hauptschule, Realschule und Gymnasium aufheben und zudem auch die Unterstützung der Schüler etwa durch Psychologen und Sonderpädagogen verbessern. Beer findet darüber hinaus den Begriff des Demographie-Gewinns verfehlt, schließlich gibt es an anderer Stelle auch große Probleme durch die Alterung der Gesellschaft (siehe unten). Beer spricht daher lieber vom „Demographie-Effekt“.
Renate Hendricks, Sprecherin der SPD-Abgeordneten in der Enquête-Kommission „Chancen für Kinder“ des Landtages, fordert eine gezielte Investition in die frühkindliche Bildung und Betreuung. „Allein die ungenügende Betreuungsquote der Unter-Dreijährigen, die im Jahr 2005 bei nur 2,8 Prozent in NRW lag, ist ein eindeutiges Indiz dafür, dass die finanziellen Mittel unbedingt in der Bildung bleiben müssen.“ Hendricks sagte, die „Einsparungen auf dem Rücken der Kleinen“ seien unverantwortlich.