: Die Fußspitze führt schon wieder
Ein Tisch mit lebendigen Beinen: Man bekommt viel zu sehen bei „Lucky Trimmer“, einer Tanz-Performance-Serie, die mit 10-Minuten-Stücken den Ruf Berlins als internationale Tanzstadt gut vertritt. Die nächste Ausgabe verreist sogar
Gut, dass dies kein Wettbewerb ist, kein „Berlin sucht den Tanzstar“ unter Tänzern und Choreografen der Stadt. Der Charme der schnellen Folge von acht kurzen Stücken wäre hin, müsste man sie auf Leistung und Vergleichbarkeit abtasten. „Lucky Trimmer“, Plattform für junge oder neu in die Stadt gekommene Choreografen, ist auch so sportiv genug: Wie da ein 10-Minuten-Stück auf das nächste folgt, ohne Umbaupause, Schlag auf Schlag. Da muss, jedes Mal neu, die Aufmerksamkeit sicher hergestellt werden. Dass dies in der achten Ausgabe am Wochenende im Tacheles fast immer gelang, spricht für die Professionalität der Künstler und Organisatoren.
„Lucky Trimmer“, so hieß ein Hometrainer, mit dem zu Hause, möglichst ohne Publikum, die Fitness hochgehalten wurde. Damit sich Tänzer und Choreografen aber, die im Netz der Tanzbühnen und -produzenten noch nicht angekommen sind, nicht einsam und ungesehen wie beim Hometraining fühlen, wurde „Lucky Trimmer“ im Februar 2004 ins Leben gerufen. Zu den Initiatoren gehören Uwe Kästner, Tänzer, Mediziner und Projektentwickler in der Tanzszene, und Clint Lutes, Tänzer aus den USA und seit 2002 in Berlin. Von Anfang an unterstützte eine Reihe von Sponsoren das Projekt, das zwei-, dreimal im Jahr acht bis zehn Miniaturen zeigt. Auswählen können die Kuratoren mittlerweile jedes Mal aus um die fünfzig Bewerbungen. Inzwischen wird „Lucky Trimmer“ auch eingeladen, zum Beispiel zur „Landpartie“ in das Wasserschloss Gross Leuthen (5. August) oder nach Freiburg und Heidelberg als Repräsentant für das Kribbeln in der Tanzstadt Berlin.
Das Programm berechtigt zu solchen Ansprüchen. Von den drei Tänzerinnen, die sich in Solos vorstellen, weiß jede ziemlich genau, was sie will. Sophisticated ist Annett Göhres (Choreografin am Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin) Solo „Abspann“ zu einer auch von Göhre mitgestalteten Collage aus gesungenen und gesummten Andeutungen von Motiven berühmter Ballette. Sie beginnt wie im klassischen Exercise mit einigen Degagées (die Fußspitze des Spielbeins wischt über den Boden und zurück zum Standbein) und Pliés (Kniebeugen, Knie auswärts), Einübungen in Haltung und genau gezirkelte Richtungen, die dann aber verschoben und anders zusammengesetzt den Weg von der Klassik zur Moderne zu Chiffren verkürzt nachbuchstabieren. Und das in zehn Minuten!
Überhaupt, der 10-Minuten-Takt: Er verführt ja zur Häppchenkultur und vereinfacht das Spiel mit der Zeit. Da funktionieren Figuren gut, deren Körper schon ein ganzes Programm ausdrücken wie in „Best Before – Phase I“ von Tomi Paasonen (aus Finnland), das demnächst (ab 25. Juli) im DOCK 11 laufen wird. Auf die Bühnen kommen ein Mann mit zu viel Muskeln, ein Mädchen, dünn wie ein Strich, und eine Frau, die vermutlich im Geschlecht eines Mannes auf die Welt kam. Nicht wie sie sich bewegen ist diesmal entscheidend, sondern in welchen Kontext ihre Körper gestellt werden. Sie sind der Gegenpol zum Fitness- und Schönheitswahn und diesem doch verwandt in der Nähe zum Schmerz und zum Leiden am eigenen Körper. Diesmal funktionieren die 10 Minuten als Teaser: Das könnte eine spannende Groteske über die Angst vor dem Verfall und die Sehnsucht nach Erneuerung werden.
Als Meisterin der Beiläufigkeit erweist sich Bianca Martin in „Availability still to be confirmed“ mit einem Tisch aus lebendigen Frauenbeinen und Tänzen, denen kaum mehr Bedeutung als dem Pizza-Essen auf der Szene zugemutet wird. Man sieht dann aber doch lieber den Beinen und Armen als den kauenden Backen zu.
Im Publikum der fast immer ausverkauften Vorstellungen finden sich alle Nationalitäten wieder, die sich über die Bühne bewegen: Koreaner, Deutsche, Amerikaner, Finnen, Dänen, Israelis – und nicht zuletzt deshalb ist „Lucky Trimmer“ auch ein hübsches Aushängeschild für das, was Berlin immer sein will: großzügig und international.
KATRIN-BETTINA MÜLLER
Infos unter www.luckytrimmer.de
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